Ja, auch in Russland gibt es noch so etwas wie eine politische Opposition. Eine der wenigen Kreml-kritischen Stimmen ist die 70-jährige Lyudmila Narusova: Sie blieb als Parlamentarierin der Abstimmung über den Kriegseinmarsch Russlands fern. Am Freitag gab sie zudem eine Ansprache in einer Sitzung des Föderationsrates, in der sie öffentlich über gefallene russische Soldaten spricht.
Narusova ist dabei nicht (bloss) irgendeine Hinterbänklerin einer kleinen russischen Randregion: Sie ist die Witwe vom ersten Bürgermeister von St. Petersburg, Anatoli Sobtschak, der als politischer Ziehvater von Präsident Wladimir Putin gilt. Als politische Gotte haben ihre Worte zumindest symbolisches Gewicht. Diese lieferte sie am Freitag.
Das Video ihrer Rede kursiert seither im Internet und wurde bereits tausendfach verbreitet. Wir zeigen hier die Hintergründe und was sie genau sagte.
Das Video von Lyudmila Narusova zeigt eine Kommissionssitzung des russischen Föderationsrates (vergleichbar mit dem Schweizer Ständerat), auf der Traktandenliste stand das Fake-News-Gesetz, mit dem angebliche Falschinformationen über russische Streitkräfte mit sehr hohen Geld- und Freiheitsstrafen verfolgt werden sollten. Im Ausland wird diese Gesetzesänderung als Zensurversuch kritisiert.
Narusova stellte während der Sitzung die rhetorische Frage, wer denn «die Beweislast für die Glaubwürdigkeit» von angeblichen Falschinformationen trage. Sie lieferte daraufhin ein Beispiel für ihre Skepsis:
Diese Worte verbreiten sich derzeit wie ein Lauffeuer durch die sozialen Medien und sollen aufzeigen, welch «enorme Verluste» die russische Armee in der Ukraine verzeichnete. Das ist aber nicht die ganze Geschichte hinter dem Video: Narusova nutzte diese Worte, um die Absurdität des Fake-News-Gesetzes aufzuzeigen.
Sie habe nämlich am selben Tag beim russischen Militär angerufen und eine Bestätigung dieser Information gefordert. Sie erzählt daraufhin weiter:
Kommissionspräsident und quasi Putins Parteifreund Andrej Klischas unterbrach sie mit der Bemerkung, dass das eine «andere Frage sei». Als Narusova nicht lockerliess, erklärte Klischas daraufhin die rechtsstaatlichen Prinzipien: Der Staat stehe in der Beweislast, Ermittler müssten Beweise liefern, Staatsanwaltschaften würden diese prüfen und über eine Anklage entscheiden. Am Ende würde es dann zu einem Gerichtsverfahren kommen, wo nach einem «kontradiktorischen Prozess» ein Urteil gefällt werde.
Narusova sagte daraufhin spitzfindig und wohl nicht ohne Hintergedanken: «Genau das wollte ich hören.»
Narusova wollte oder konnte zumindest nicht faktisch aufzeigen, dass 96 Soldaten gestorben seien. Ihre Geschichte mit den «unterschriebenen Dokumenten» diente als Beispiel, dessen Glaubwürdigkeit wir nicht überprüfen können. Bestätigte und unabhängige Informationen gibt es dazu ohnehin nicht: Russland gab bislang lediglich 498 gefallene Armeeangehörige zu. Die Ukraine behauptet, dass über 10'000 russische Soldaten gestorben seien.
Mit ihrem Auftritt sorgte sie aber dafür, dass im Parlamentsprotokoll, in russischen Medien und auf offiziellen Kanälen klar gemacht wurde: Wenn Russland die Fake-News-Strafnormen zur Zensur verwenden will, wird die Justiz nach rechtsstaatlichen Normen arbeiten und die Schuld beweisen müssen. Ansonsten begeht die russische Führung Wortbruch.
Aber eigentlich ist dieses Gesetz sowieso ein Witz. Denn die, die die meisten Fake News verbreiten, sind Putin, seine Helfer und die Propaganda.
Eigentlich haben sie sich selber15 Jahre Haft auferlegt. Aber eben, ob Fake oder nicht, liegt im Auge des Betrachters.
Kennen wir von fast allen Grossmächten.