Gerüchte aus dem Kreml: Verteidigungsminister Schoigu ist verschwunden – oder doch nicht?
Es ist ein Gerücht – aber ein gutes: Zwei enge Vertraute des russischen Präsidenten Wladimir Putin sollen seit dem 11. März verschwunden sein – der russische Verteidigungsminister, Sergei Schoigu, und der Chef des Generalstabes der Streitkräfte der Russischen Föderation, Waleriy Gerasimow. Wie vom Erdboden verschluckt. Niemand weiss, wo sie sind.
That the Russian Defense Minister Sergei Shoigu and the Russian chief of general staff General Valeriy Gerasimov have not been seen since March 11 suggest something is seriously wrong in the Kremlin. Can anybody tell me?
— Anders Åslund (@anders_aslund) March 24, 2022
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Wo hat das Gerücht seinen Ursprung?
Ursprung des Gerüchts ist ein Tweet des Journalisten Dmitry Treschanin. Dieser arbeitet für «Mediazona» – ein unabhängiges, russisches News-Portal, das ursprünglich von Menschenrechtsaktivisten gegründet wurde. Treschanin schrieb am 22. März: «Hören Sie, der grosse Minister Schoigu ist seit dem 11. März aus dem öffentlichen Raum verschwunden. ELF KRIEGSTAGE, in denen wir den Leiter des Verteidigungsministeriums nicht gehört haben. Ist er in Tschernobajewka?»
Der russische Telegram-Kanal «Агентство. Новости» (Agentur) listete daraufhin die bekannten Termine und Auftritte Schoigus während des Krieges auf, um den Tweet von Treschanin zu unterstreichen. Fazit: Am 11. März wird Schoigu zum letzten Mal von der Pressestelle des russischen Verteidigungsministeriums erwähnt, danach am 18. März noch einmal im russischen Staatsfernsehen. Vor dem 11. März sei Schoigu «alle paar Tage» von der Pressestelle des russischen Verteidigungsministeriums erwähnt worden:
- Am 11. März habe das Ministerium vermeldet, dass Schoigu ein Telefongespräch mit seinem türkischen Amtskollegen Hulusi Akar geführt. Am selben Tag berichtete die russische Nachrichtenagentur Interfax, dass Schoigu bei einem Besuch in einem Militärkrankenhaus russischen Soldaten staatliche Auszeichnungen überreicht hätte. Das Verteidigungsministerium veröffentlichte Videomaterial dazu. Die entsprechende Mitteilung auf der Seite des russischen Verteidigungsministeriums ist die letzte, die Schoigu auf dieser Website erwähnt.
- Am 18. März wird Schoigu in einer Erklärung auf der Website des Kremls erwähnt. Darin heisst es, dass Wladimir Putin mit den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats «die Fortschritte der Sonderoperation in der Ukraine» erörtert habe. Dem Bericht zufolge sei auch Schoigu beim Treffen anwesend gewesen.
- Am selben Tag, dem 18. März, soll «Chanel One» einen Bericht über Schoigu ausgestrahlt haben. Darin habe er Auszeichnungen im Militärspital verliehen. In der Meldung soll es geheissen haben, dass das Ereignis «heute» stattgefunden hätte. Das Video habe aber mit dem Video übereingestimmt, das am 11. März auf der Website des Verteidigungsministeriums veröffentlicht wurde. Dieser Beitrag ist von der Schweiz aus nicht abrufbar und darum nicht verlinkt.
Das Informationsvakuum über Schoigu nach dem 18. März ist besonders darum auffällig, da die Pressestelle des russischen Verteidigungsministeriums seit Beginn des Krieges alle paar Tage über Schoigus Auftritte und Termine informiert hatte:
- Am 24. Februar teilte die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf den Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums mit, dass Schoigu die Schaffung sicherer Korridore für ukrainische Militärangehörige angeordnet habe, wenn diese ihre Waffen niederlegten.
- Am 25. Februar fand ein Treffen mit dem armenischen Verteidigungsminister statt. Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte eine Medienmitteilung inkl. Fotos dazu.
- Am 27. Februar nahm Schoigu an einem Treffen mit Putin teil. Damals gab es die Anweisung, «Abschreckungswaffen in besondere Alarmbereitschaft» zu versetzen.
- Am 01. März führte Schoigu eine Telefonkonferenz mit der Führung der Streitkräfte durch. Das Verteidigungsministerium veröffentlicht dazu einen Bericht mit Bildern. Dabei erklärte er, dass die russische Armee die «Sonderoperation» in der Ukraine «bis zur Erreichung der gesetzten Ziele» fortsetzen werde. Auch dazu veröffentlichte das Verteidigungsministerium eine Mitteilung.
- Am 4. März berichtete das russische Verteidigungsministerium, dass Schoigu mit dem UN-Generalsekretär António Guterres telefoniert habe. Bilder dazu wurden nicht publiziert
«Agentur» schreibt nach diesen Ausführungen auf Telegram: «Nach dem 11. März wurden keine Ereignisse gemeldet, an denen der Chef des Generalstabs der russischen Streitkräfte, Waleri Gerassimow, beteiligt war.» Und ergänzt zwei Medienberichte, die die letzten sein sollen über Gerassimow.
Heute schrieb die «Washington Post», dass der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sowie der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, General Mark A. Milley, versucht hätten, Telefongespräche mit Schoigu und Gerasimow zu führen. Die Russen «haben es bisher abgelehnt, sich darauf einzulassen», wie Pentagon-Sprecher John Kirby erklärt habe.
Was sagt der Kreml?
Der Kreml tut alle Gerüchte als Unsinn ab: «Der Verteidigungsminister hat im Moment viel zu tun», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Es sei nicht die Zeit für Medienauftritte.
Erst am Donnerstag soll Schoigu Mitgliedern des nationalen Sicherheitsrats «über den Fortschritt der militärischen Spezialoperation» berichtete haben.
Peskow riet Journalisten: «Bitte wenden Sie sich an das Verteidigungsministerium.» Was «Agentur» ihrer Telegram-Nachricht zufolge zwar getan hatte, aber nie eine Antwort bekommen habe.
Das Gerücht ist also noch nicht vom Tisch.
(yam, mit Material der sda/dpa)
