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Russland: Warum der Gefangenenaustausch die Kaltblütigkeit von Putin zeigt

Warum der Gefangenenaustausch die ganze Kaltblütigkeit des Putin-Regimes zeigt

Der russische Präsident presst Mörder und andere Kriminelle frei. Der Westen erhält im Gegenzug politische Gefangene aus Moskau. Der Deal offenbart den Charakter des Systems Putin.
02.08.2024, 18:2102.08.2024, 18:21
Inna Hartwich, Moskau / ch media
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Wie der Staat, so seine Helden: Als am Donnerstagabend die Maschine aus Ankara am Moskauer Flughafen Wnukowo landet, rollt der Kreml den acht Männern und Frauen sowie zwei Kindern den roten Teppich aus. Die Ehrengarde steht bereit. Moskau heisst seine Mörder, Spione, Cyberkriminelle willkommen.

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Wladimir Putin mit Familienangehörigen der russischen Straftäter, die er aus dem Westen freigepresst hat.Bild: keystone

Sie hätten die «Pflicht an ihrem Heimatland» erfüllt, wird Russlands Präsident Wladimir Putin später im Kreise der Heimgekehrten sagen und ihnen Orden versprechen. Höchstpersönlich war er hierher geeilt, steht mit Blumen an der Gangway. Das russische Staatsfernsehen überträgt live. Ein staatlicher wie stattlicher Empfang für all die, die Gerichte in Deutschland, den USA, Slowenien, Norwegen und Polen wegen teilweise schwerster Verbrechen zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt hatten.

Putin umarmt die Angekommenen, herzt sie zuweilen und zeigt sich ganz gelöst. «Hey, Kumpel», murmelt er kaum hörbar, an Wadim Krassikow gerichtet. Den Mann, der in Deutschland als sogenannter «Tiergartenmörder» zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. «Staatsterrorismus» hatte Berlin dem FSB-Killer vorgeworfen, vor knapp fünf Jahren hatte dieser am helllichten Tag mitten in Berlin einen ehemaligen georgisch-tschetschenischen Feldkommandeur Selimchan Changoschwili getötet.

In this image provided by Russian Federal Security Service, Russian Vadim Krasikov, who was convicted in 2021 of shooting to death Zelimkhan "Tornike" Khangoshvili, walks up into a Russian p ...
Auch der als Tiergartenmörder bekannte Wadim Krassikow ist zurück in Russland.Bild: keystone

Hätten zwei Jugendliche den Auftragsmörder auf Geheimmission nicht beim Umziehen im Gebüsch entdeckt, wäre Krassikow alias Wadim Sokolow so schnell entschwunden, wie er aufgetaucht war. Putin wollte den 59-Jährigen seit langem zurückhaben, immer wieder sprach er von ihm als «Helden». Die beiden verbindet wohl eine gemeinsame Ausbildung beim Geheimdienst. Und die «Seinen», so erklärt der russische Präsident immer wieder, lasse man nicht im Stich.

Erinnerungen an die Zeit des Stalinismus

Die «Seinen» sind loyale Patrioten, die die «Pflicht am Heimatland» so ausüben, wie dieses Heimatland es ihnen befiehlt. Solche «Patrioten» dürften sich nun bestätigt fühlen: Der Boss hält sein Wort, egal, wer einen enttarnt hat und wie entlarvt man nun selbst dasteht. Der Vorgang zeigt einmal mehr die Kaltblütigkeit des russischen Regimes, das alles dafür tut, um die «Seinen» aus dem Westen freizupressen.

Das zynische Mittel dafür: Geiseln, die Moskau unter fadenscheinigen Erklärungen in seine noch zu Gulag-Zeiten gebauten Strafkolonien schickt, samt Urteilen, die ebenfalls an Zeiten des Stalinismus erinnern. So verhält sich kein Rechtsstaat. So agiert eine Verbrecherbande.

Dass der Westen einen Mörder und etliche Spione freilässt, um Menschen den Krallen des Putin'schen Staates zu entreissen, hinterlässt gemischte Gefühle. Und doch: Es zeigt, dass Humanismus einer der wichtigsten Werte von Demokratien ist. Durch den Deal werden Leben gerettet - und mögen es «nur» sechzehn sein von mehr als tausend politischen Gefangenen in russischen Strafkolonien seit Februar 2022.

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US-Präsident Joe Biden (links) und Vize-Präsidentin Kamala Harris empfangen den freigelassenen Journalisten Evan Gershkovich.Bild: keystone

Den kranken Wladimir Kara-Mursa hätte womöglich schon bald ein ähnliches Schicksal ereilt wie den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. Auch Nawalnys Name stand offenbar auf der Austauschliste. Doch er hat im Februar seinen Kampf für ein «schönes Russland der Zukunft» mit dem Leben bezahlt. Kara-Mursa darf bald seine drei Kinder umarmen.

Der Kreml hat nicht nur den US-Journalisten Evan Gershkovich, den früheren US-Soldaten Paul Whelan, die russisch-amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva sowie deutsche wie deutsch-russische Staatsbürger in die Freiheit gelassen. Auch acht russische Regimekritiker entkamen dem brutalen russischen Bestrafungssystem. Das ist bemerkenswert, zeigt aber auch hier, wen der russische Staat nicht toleriert: die «Nicht-Seinen». «Feinde», «Verräter», hetzen Kreml-Sprecher Dmitri Peskow und der frühere Präsident Dmitri Medwedew.

Medwedew wünscht den freigelassenen Russinnen und Russen ganz unverhohlen den Tod. Das Regime entscheidet, wen es willkommen heisst und wen es höchstens duldet. Die anderen wirft es wie einen nassen Lappen einfach weg. Ohne dass diese jemals die Wahl und die Chance hätten, sich in Russland zu entfalten. (aargauerzeitung.ch)

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73 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kolleg_Essigsauretonerde
02.08.2024 18:35registriert Oktober 2023
Dank Putin wird Russland für den Westen in der Bedeutungslosigkeit versinken. Seine ebenfalls fragwürdigen Freunde nutzen ihn aus und kaufen billig bei ihm ein oder liefern eigentlich nicht mehr brauchbaren Müll. Orban und der irre Weissrusse sind seine Schuhputzer, Sachen gibts.
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Sitzplätzler
02.08.2024 19:17registriert April 2017
Also nimmt Putin einfach alle westlichen Personen (wieso geht man noch dahin??) fest und setzt sie für Gefangenenaustausche in Zukunft ein...
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P. Meier
02.08.2024 21:45registriert März 2017
Die Bestätigung, dass der Tiergarten-Mörder ein Russischer Agent war, zeigt klar auf, wie ehrlich und vertrauenswürdig Aussagen des rus. Regimes sind.
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