Einer der schärfsten Kritiker der russischen Militärführung bringt den Gedanken eines Bürgerkriegs ins Spiel – offenbar vor dem Hintergrund einer möglichen Niederlage Russlands im Ukrainekrieg. Igor Girkin sieht die Selbstbewaffnung von Städten als eine mögliche Grundlage dafür. «Die Idee steht im Raum. Als Schutz vor Terror- und Luftangriffen in jeder Stadt sollten diese ihre eigene Armee gründen, da die nationale Armee ihren Job nicht macht», schrieb jetzt der ehemalige Kommandeur Igor Girkin auf Telegram.
Zuvor hatte der russische General Andrey Kartapolov vorgeschlagen, dass einheimische Firmen Luftabwehrsysteme kaufen sollten, um sich vor Angriffen zu schützen. Der ehemalige Vize-Verteidigungsminister hatte eingestanden, dass die Flugabwehrsysteme nur militärische und wichtige staatliche Einrichtungen schützen können.
Dass sich Städte und Regionen selbst bewaffnen, sei in Russland nicht neu, «Das geschah schon zuvor, im Bürgerkrieg», schrieb Kriegsbefürworter Girkin. Hunderte Selbstverteidigungseinheiten und Gangs hätten gegeneinander gekämpft und mit Staaten, die während des Kriegs entstanden und wieder verschwanden. «Können wir das wiederholen?»
Girkin ging nicht weiter darauf ein, wie ein solcher Bürgerkrieg in Russland aussehen könnte und ob er die Folge russischer Misserfolge und einem wachsenden Druck auf den Kreml sein könnte. Der Nationalist hat sich in den letzten Monaten als deutlicher Kritiker der Kreml-Militärstrategie hervorgetan, steht aber hinter dem Einmarsch in die Ukraine. Er hatte bereits im Januar vor einem Bürgerkrieg gewarnt, der für Millionen Tote in Russland sorgen könnte.
Der russische Bürgerkrieg war 1917 zwischen den kommunistischen Bolschewiki (der Roten Armee) und gemässigten Nationalisten und Demokraten (der Weissen Armee) ausgebrochen. Er kostete bis zu 10 Millionen Menschen das Leben und endete 1922 mit der Gründung der Sowjetunion.
Der Anwalt Mark Feygin, der unter anderem auch die Punk-Band Pussy Riot vertrat, hatte in einem Interview mit dem amerikanischen Magazin «Newsweek» ebenfalls vor einem Bürgerkrieg in Russland gewarnt, sollte Putin den Krieg in der Ukraine verlieren. Im Falle einer Niederlage gebe es zwei Möglichkeiten: Die russische Elite vertreibe Putin aus dem Kreml und verhandelt mit dem Westen. Ein zweites Szenario zeichnet ein eher düsteres Bild. «Russische Eliten brechen in sich selbst in verschiedene Fraktionen auf; eine unterstützt Putin, andere unterstützen ihn nicht und versuchen, ihn zu stürzen», sagte er. «Das könnte zu einem Bürgerkrieg führen.»
Igor Girkin war einer der führenden Militärs beim russischen Einmarsch auf die Krim. Er führte später eine Gruppe von Separatisten an und wurde zeitweise zum Verteidigungsminister der selbsternannten Volksrepublik Donezk ernannt. Girkin wurde nach dem Abschuss des Flugs MH 17 entlassen und im November in Abwesenheit in den Niederlanden wegen des Mordes an 298 Menschen zu lebenslanger Haft verurteilt. In der Ukraine wird er wegen Terrorismusvorwürfen gesucht. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine betätigt er sich als Militärblogger und kritisiert immer wieder die russische Führung.
Im Oktober 2022 soll er sich als Freiwilliger gemeldet und in den Krieg gezogen sein. Girkin hatte die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Lage der Nation öffentlich kritisiert. «40 Minuten lang wurde nichts gesagt», schrieb er auf Telegram. Mehr als eine Viertelstunde habe es Beschwerden über Partner gegeben. Putin habe «kein einziges Wort» darüber verloren, wie Russland auf Sanktionen des Westens reagieren werde, kommentierte Girkin.
Wirklich eine beeindruckende Leistung, Herr Putin 🤮