Lange Zeit konnte man nicht sicher sein, ob die russische Winteroffensive wirklich schon begonnen hat. Doch nun ist es klar: Der Angriff ist in vollem Gang. Wie schon bei früheren Gelegenheiten sucht die russische Militärführung aber nicht den Durchbruch an einer bestimmten Stelle der langen Front. Vielmehr verstärkt sie den Druck an mehreren neuralgischen Punkten, wohl auch um herauszufinden, wo die ukrainische Verteidigung am schwächsten ist.
Die heftigsten Kämpfe toben derzeit um die kleine Ortschaft Bachmut. Seit dem August versuchen dort Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe, den Ort einzunehmen. Ein auf Telegram veröffentlichtes Video zeigt Wagner-Kämpfer, die auf einer Ruine eine Fahne schwenken.
Laut Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin soll sich die Szene «praktisch im Stadtzentrum» von Bachmut abgespielt haben. Ukrainische Videos zeigen demgegenüber, dass sich immer noch Verteidiger in der Ortschaft aufhalten. Der ukrainische Generalstab dementierte ausserdem, dass man vorhabe, sich aus der Stadt zurückzuziehen.
Fakt ist: die Stadt ist auf drei Seiten umzingelt. Im Ostteil sind die Wagner-Söldner fast bis zum kleinen Bachmut-Fluss vorgedrungen. Sie haben damit nicht nur die grosse Sektfabrik von Bachmut unter ihre Kontrolle gebracht, sondern praktisch den ganzen Osten und befinden sich damit nur noch wenige hundert Meter vom «Kulturpalast» und den Verwaltungsgebäuden im Stadtzentrum entfernt.
Sofern man ukrainischen Quellen Glauben schenken kann, kämpfen im Süden der Stadt inzwischen vor allem Angehörige russischer Luftlandetruppen. Schon vor Tagen haben die Angreifer versucht, die wichtige Strassenverbindung Richtung Westen zu kappen und das auf einem Hügelzug gelegene Tschasiw Jar zu erobern.
Das ist ihnen zwar nicht gelungen, doch mussten die Ukrainer eine wichtige Brücke an dieser Strassenverbindung sprengen, um den Russen den weiteren Vormarsch zu erschweren. Hier wurden die Invasoren zwar zurückgeworfen, doch können die Ukrainer die wichtige Teerstrasse nun nicht mehr für ihren Nachschub benützen.
Bachmut wird jetzt über Tschasiv Jar und eine kleinere Strasse versorgt. Doch auch diese läuft nun Gefahr, gekappt zu werden, weil Wagner-Einheiten von Norden her in Richtung dieses letzten Nachschubwegs vorstossen. Die Ukrainer haben in der Folge einen oder mehrere Dämme von Wasserreservoirs im Nordwesten des Stadtgebiets gesprengt, um mit den daraus folgenden Überflutungen den Angriff zu stoppen.
Nach wie vor ist die Gefahr einer totalen Umzingelung aber nicht gebannt, auch wenn die ukrainische Führung Verstärkungen nach Bachmut beordert hat. Quellen bei Bachmut berichten, dass es sich um die schwersten und verlustreichsten Kämpfe seit Beginn der Wagner-Offensive im letzten August handelt.
Probleme haben die Ukrainer in und um Bachmut auch wegen ihrer eigenen Fehler. Ein Teil der ukrainischen Militärführung denkt immer noch wie Kommandanten in der Sowjetzeit: Generäle entwerfen grosse Pläne und Verteidigungsstellungen weit weg von der Front in ihrem Hauptquartier und erteilen dann Befehle, diese Stellungen um jeden Preis zu halten.
Dabei würden lokale Kommandanten sich lieber an anderen, besser geeigneten Orten eingraben und anders vorgehen, weil sie mit den lokalen Begebenheiten besser vertraut sind. Gerade unter jungen Offizieren in der Region von Bachmut hat dies zu grossen Frustrationen geführt.
Die Generäle befehlen ihnen, in Schützengräben auf die Wagner-Söldner zu warten, doch diese finden die Stellungen mit ihren kleinen Aufklärungsdrohnen und beschiessen sie mit schwerer Artillerie. Am Schluss kommen Wellen von Infanteristen, bis die ukrainischen Stellungen überrannt sind.
Wagner-Kommandanten entscheiden dagegen lokal. Sie haben einfach den Auftrag, Bachmut zu erobern, koste es, was es wolle. Wie sie das genau erledigen, liegt in ihrer eigenen Entscheidungskompetenz. Dies ist der wichtigste Grund, warum die Wagner-Gruppe - trotz entsetzlicher Verluste - in Bachmut erfolgreich ist und auch wesentlich besser abschneidet als die regulären russischen Truppen. Deren Offiziere sind noch weit mehr als die ukrainischen von der alten sowjetischen Doktrin geprägt.
Wohin das führt, lässt sich am zweiten Brennpunkt der Donbass-Front erkennen: Bei der Ortschaft Wuhledar im Süden versuchen reguläre russische Einheiten ohne Unterstützung durch die Wagner-Gruppe eine Bresche in die ukrainischen Linien zu schlagen.
Hintergrund sind die nur wenige Kilometer östlich von Wuhledar gelegenen Eisenbahn- und Strassenverbindungen. Diese sind für die Versorgung der Krim und der russischen Truppen im südlichen Donbass extrem wichtig. Bei Wuhledar wollen die Russen die Verteidiger zurückdrängen, damit die wichtigen Nachschublinien nicht mehr von der ukrainischen Artillerie erreicht werden können.
Doch wie sind die russischen Angriffe ausgegangen? Während rund dreier Wochen haben die Generäle russische Panzerverbände immer wieder in ukrainische Minenfelder geschickt, wie es scheint ohne Sinn und Verstand. Drohnenvideos zeigen, wie ein Panzer nach dem andern auf Minen fährt und explodiert. Den Rest erledigen ukrainische Artilleriegranaten und Panzerabwehrraketen. Die Kämpfe bei Wuhledar endeten vorerst in einem totalen russischen Desaster - mit mehreren Dutzend verheizten Kampf- und Schützenpanzern.
Nördlich von Bachmut befindet sich der dritte Frontabschnitt, an dem es immer wieder zu Kämpfen kommt. Dort, bei den Städten Swatowe und Kreminna, konnten die Russen die bis dahin höchst erfolgreiche Herbstoffensive der Ukrainer stoppen. Dabei half ihnen ein Fluss, der von Swatowe nach Süden in den Donez fliesst. Inzwischen haben die Russen den Spiess umgedreht und einen Teil des im Herbst verlorenen Gebiets wieder zurückerobert.
In der Ukraine ist es seit Mittwoch offiziell Frühling, und in Bachmut erreichen die Temperaturen am Tag wieder deutliche Plusgrade. Der Schnee ist weitgehend geschmolzen, und der Boden im Bachmut-Tal und den Hügeln westlich davon hat sich in Schlamm verwandelt. Dies erschwert es den Ukrainern, die Stadt zu evakuieren.
Das könnte auch ein Grund sein, warum die ukrainische Führung Bachmut zur «Festung» erklärt hat und die Stadt nun unbedingt halten will. Die Entscheidungsschlacht um die kleine Ortschaft ist vollends entbrannt. (aargauerzeitung.ch/oee)
Wenn das der Fall ist dann muss dieser Teil der ukrainischen Militärführung schnellsten von ihrem Kommando enthoben werden. Es ist vernünftiger gut ausgebildeten Kommandeuren vor Ort die freie, taktische Entscheidung zu überlassen statt aus der Ferne Detailentscheidungen zu treffen.