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Sicherheitexperte: «Die Ukraine kommt voran – wenn auch langsam»

Sicherheitexperte: «Die Ukraine kommt voran – wenn auch langsam»

Die Ukraine meldet Erfolge an der Südfront und Truppenverstärkungen im Nordosten. Ein Sicherheitsexperte erklärt: Aktuell geht es hauptsächlich um Logistik.
16.08.2023, 22:0116.08.2023, 22:01
Charlotta Siemer / t-online
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t-online

Die militärische Lage in der Ukraine war zuletzt festgefahren, die monatelang geplante Gegenoffensive der ukrainischen Truppen schien lange nicht so recht zu zünden. Jetzt jedoch mehren sich Meldungen über kleinere und grössere Erfolge.

A Ukrainian soldier, code name Ara, who lost his hand a year ago in a battle with the Russian troops close to Bakhmut, holds his machine gun at the front line near Bakhmut, Donetsk region, Ukraine, Tu ...
Ukrainischer Soldat (Archivbild): Die Ukraine kann an der südlichen Front Erfolge verzeichnen.Bild: keystone

So hat die Ukraine im Süden des Landes nach eigenen Angaben unter anderem das tagelang umkämpfte Dorf Uroschaine zurückerobert. Zwar schlugen zugleich in den vergangenen Tagen auch russische Raketen weit im Westen des Landes ein, wurden in der Stadt Luzk zuletzt mindestens drei Menschen getötet.

Dennoch scheint sich die Situation für die ukrainischen Verteidiger ein wenig zu verbessern, wie Experten beobachten. «Die Ukraine kommt voran – wenn auch langsam», sagt etwa Nico Lange von der «Zeitenwende-Initiative» der Münchener Sicherheitskonferenz. In den vergangenen zwei Wochen habe sich die Balance des Krieges langsam, aber zuverlässig zugunsten der Ukraine verschoben, erklärt er im Gespräch.

Sicherheitsexperte Nico Lange
Nico Lange ist Senior Fellow der «Zeitenwende-Initiative» der Münchner Sicherheitskonferenz. Er war 2019 bis 2022 Leiter des Leitungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung. Lange lebte und arbeitete zuvor während längerer Zeit in der Ukraine und in Russland. Er spricht fliessend Ukrainisch und Russisch.

Inzwischen sei die Ukraine in der Lage, insbesondere die Logistik Russlands zu schwächen. So profitieren die ukrainischen Truppen aktuell beispielsweise von der erneuten Zerstörung der Krim-Brücke, weil diese Verbindung zum ukrainischen Festland eine wichtige Logistikroute Russlands ist.

Rückeroberung ist grosser Erfolg

Ein besonders wichtiges Symbol war unlängst ein Ort im Süden des Landes: «Uroschaine ist befreit», teilte die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Mittwoch auf dem Kurznachrichtendienst Telegram mit. Aktuell befestigen ukrainische Soldaten demnach ihre Stellungen am Ortsrand des Ortes. Der Generalstab in Kiew teilte in seinem Morgenbericht mit, russische Gegenvorstösse auf den Ort zwischen Saporischschja und Mariupol seien abgewehrt worden.

Auch Lange hält die Rückeroberung von Uroschaine für einen grossen Erfolg. Die ukrainische Armee sei «langsam und systematisch vorangekommen», sagt der Sicherheitsexperte. Russland habe in den Kämpfen extrem hohe Verluste erlitten.

Das Dorf liege an der ersten Verteidigungslinie Russlands. Die zu durchbrechen, sei besonders schwer. Zwar sei aus Satellitenbildern bekannt, dass es noch eine zweite und dritte russische Verteidigungslinie gebe, diese aber seien nicht so stark besetzt wie die erste, so Lange.

Ukraine verstärkt Truppen im Nordosten

Im Nordosten der Ukraine sieht die Lage derweil etwas anders aus. Die ukrainische Armee vergrössert dort in dem Ort Kupjansk ihre Truppenpräsenz. «Stellungen wurden verstärkt, gewisse methodische Empfehlungen gegeben und Reserven verlegt», sagte der Sprecher der Armeegruppe Ost, Serhij Tscherewatyj, im ukrainischen Nachrichtenfernsehen.

Die russische Armee sei bis auf sieben Kilometer an die Stadt Kupjansk herangerückt, berichten ukrainische und russische Militärbeobachter. Die örtlichen Behörden haben zudem bereits eine Evakuierung von Zivilisten um die Stadt angeordnet.

Die russische Armee in der Ukraine:

Bild
grafik: heike assmann/t-online

Hintergrund für die Truppenverlegungen: Die Ukraine will so weitere Vorstösse Russlands verhindern, sagt Lange. Kupjansk sei ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt und spiele im Krieg immer wieder eine Rolle. Erst im vergangenen Jahr war der Ort während einer erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive aus russischer Besatzung befreit worden. Jüngst ist Russland Langes Beobachtungen zufolge im Nordosten der Ukraine aktiver geworden.

Was genau sie mit Rückeroberungen und Truppenverlegungen erreichen will, darüber lasse die Ukraine die Welt zu Recht im Unklaren, sagt Lange. Ob ein spezifisches geografisches Ziel hinter den neuesten Entwicklungen steckt, sei dabei nicht entscheidend. Die Ukraine konzentriere sich besonders auf die Zerstörung der Logistik Russlands. «Wenn sie das schaffen, dann haben sie auch mehr Erfolg», erklärt Lange.

Ukraine verstärkt Truppen im Nordosten

In den kommenden Tagen könnte sich die Lage unter anderem entlang der Donau zuspitzen. Aus der Luft griff Russland in der Nacht zu Mittwoch wichtige Häfen an der Donaumündung an der Grenze zu Rumänien an. Auch über den Gebieten Odessa und Mykolajiw wurden der ukrainischen Luftwaffe zufolge 13 Kampfdrohnen iranischer Bauart abgeschossen.

In this photo provided by the Odesa Regional Administration Press Office, a granary destroyed in a Russian drone attack at night is seen in a Danube port near Odesa, Ukraine, early hours Wednesday, Au ...
Getreidespeicher an einem Donauhafen in der Nähe von Odessa: Russland hat die Häfen in der Nacht aus der Luft angegriffen.Bild: keystone

Ein möglicher Grund dafür: Seit Mitte Juli blockiert Russland wieder ukrainische Getreideexporte über das Schwarze Meer und greift auch Häfen an der Donau an, die eine wichtige Ausweichroute ist.

Die fehlende Luftüberlegenheit der Ukraine sieht Sicherheitsexperte Lange als Problem. Es gebe zu wenig ukrainische Luftangriffe, insbesondere an der Front. Die wenigen Flugabwehrwaffen der Ukraine werden für die Verteidigung der Städte benötigt, erklärt Lange. Und auch die bombardiert Russland regelmässig.

(t-online)

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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sälüzäme
16.08.2023 23:07registriert März 2020
Fehlende Luftaberwehr und die Schweiz ist immer noch nicht bereit die Munition in Deutschland freizugeben. Wie können diese Leute ruhig schlafen mit dem Wissen schuldig am Tod von Kindern zu sein?
Ich finde es eine Schande und es wird der Schweiz als gesamtes in Zukunft noch weh tun, mehr als wir jetzt erahnen können.
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MartinZH
16.08.2023 22:32registriert Mai 2019
Die Expertise von Lange deckt sich soweit mit den Meinungen von weiteren, seriösen Experten, wie z.B. Ex-Nato-General Bühler im aktuellen ARD-Podcast: https://lmy.de/IJBSmcZX

Die UA-Truppen kommen gut voran. Und der Befehlshaber, General Saluschnyj, geht absolut intelligent und durchdacht vor, so dass die UA voranschreitet, aber die Verluste in Grenzen hält – soweit dies mit den beschränkten Luftmitteln überhaupt nur möglich ist.

Und: Büzgl. der Artillerie-Gegenwehr opperiert die UA sehr gezielt: Die ruZZischen Verbände geraten zunehmend in die Defensive.

Слава Україні! 🇺🇦 Slawa Ukrajini!
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John Galt
16.08.2023 23:07registriert November 2014
Die Meldungen über Veränderungen des Frontverlaufs nehmen etwas zu viel Aufmerksamkeit in Anspruch. Wichtiger ist, wer mit seinen Ressourcen besser umgeht. Sich hier ein verlässliches Bild zu machen ist schwierig, aber die Vorteile sollten auf Ukrainischer Seite liegen (Russland ist bekannt dafür, seine Menschen als Verbrauchsmaterial anzusehen).
Die 2. und 3. Linie könnte sich plötzlich als kleineres Problem herausstellen, weil die Ressourcen zum Halten der 1.Linie aufgebraucht wurden.
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