Russland unterschätzt laut einer Studie die Verluste von eigenen Soldaten im Krieg gegen die Ukraine deutlich. Wie ein internationales Forschungsteam mit Schweizer Beteiligung zeigte, starben im ersten Jahr des Ukraine-Krieges fast fünf Mal mehr Russen als Ukrainer.
«Wir haben versucht, von den begrenzten Informationen die es gibt, die korrekten Zahlen zu schätzen», sagte Niklas Stoehr von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (ETH Zürich) am Dienstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Er ist spezialisiert darauf, schwer messbare Dinge statistisch zu erfassen.
In Zusammenarbeit mit Forschenden der University of North Carolina und der University of Chicago in den USA hat der Informatiker ein Modell entwickelt, das Verluste während Konflikten schätzen kann. Es basiert auf der sogenannten bayesschen Statistik. Die Ergebnisse des wurden in der neusten Ausgabe des Fachblatts «Pnas Political Science» veröffentlicht. «Länder oder politische Akteure, die in Konflikte verwickelt sind, haben Anreize, diese Zahlen zu verbergen oder zu manipulieren, während Dritte möglicherweise keinen Zugang zu zuverlässigen Informationen haben», hiess es in der Studie.
Angewandt auf das erste Jahr des Russischen Angriffskrieges in der Ukraine sind laut Schätzung des Modells rund 76'700 russische und rund 17'200 ukrainische Militärangehörige im Krieg getötet worden. Für jeden toten Militärangehörigen in Russland meldeten russische Quellen nur 0.3 Verluste, wie es in der Studie hiess. Für jeden getöteten Ukrainischen Militärangehörigen meldeten russische Quellen hingegen 4.3 Verluste.
Auch ukrainische Quellen überschätzen laut der Statistik die Toten der Gegenseite, sie gaben knapp doppelt so viele Tote an wie die Schätzung des neuen Programms. Für eine systematische Verzerrung in ukrainischen Berichten über ukrainische militärische Todesfälle fanden die Autorinnen und Autoren hingegen keine Hinweise.
Die Forscherinnen und Forscher verwendet für ihr Modell öffentlich zugängliche Daten. Insgesamt verarbeiteten sie 4609 Berichte zu zivilen Opfern und gefallene Soldaten auf sozialen Medien, in Nachrichten und von verschiedenen staatlichen Quellen. In den verschiedenen Berichten wurden dabei Zahlen von täglichen, sowie von kumulativen Verlusten genannt. «Diese stimmen teilweise im gleichen Medium nicht überein», erklärte Stoehr. «Zwischen den verschiedenen Quellen gibt es erst recht keine Übereinstimmung.»
Das Modell interpoliert Verlustzahlen verschiedener Quellen und berechnet aus diesen Zahlen, auf Basis verschiedener transparenter Annahmen, einen Mittelwert. Als Inspiration diente den Forschenden dazu das sogenannte «German tank problem». Ein bekanntes statistisches Problem, das während des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten entwickelt wurde, um die Anzahl der deutschen Panzer zu schätzen.
Wie viele Tote es wirklich gab, werde man wohl nie genau wissen, sagte Stoehr. Die Schätzung des Modells korrigiere aber bestimmte Motivationen von den verschiedenen Parteien. Anwendbar sei das Modell ausserdem auch in anderen Szenarien, in denen verschiedene Parteien ein natürliches Interesse haben, Zahlen zu fälschen und kumulative und absolute Werte nicht zwingend konsistent sind. Man könnte damit etwa die Infektionszahlen einer Pandemie untersuchen, erklärte der Wissenschaftler.
Stoehr hofft, dass die Schätzungen mehr Transparenz schaffen, wie er im Gespräch mit Keystone-SDA sagte. «Wir sitzen hier in der sicheren Schweiz und machen statistische Auswertungen über schreckliche Dinge. Da macht man sich schon Gedanken», sagte der Forscher.
(dab/sda)
Selbstverständlich gehen diese Quellen nicht von "Anzahl Gräbern" aus, wie man hier mitunter – absurderweise – in manchen Kommentaren lesen kann, sondern aufgrund von nachrichtendienstlichen Informationen (Truppenstärken der einzelnen Verbände, Pat-Anfall, etc.).
Und es gibt auch unabhängige RU-Medien im Ausland, die aufgrund von Todesanzeigen relativ verlässliche Daten bzügl. der RU-Seite berechneten.