Russlands Wirtschaft taumelt: Empfindlicher Schlag für Putins Kriegskasse
Russlands Ölgeschäft ist für die Wirtschaft des Landes ein zentrales Standbein. Präsident Wladimir Putin nutzt die Einnahmen unter anderem, um den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu finanzieren. Umso empfindlicher treffen den Kremlchef die Ende Oktober verhängten US-Sanktionen gegen die beiden Ölkonzerne Rosneft und Lukoil, die für die Hälfte von Russlands Ölexporten verantwortlich sind. Lukoil hat dabei die grösste Präsenz auf internationalen Märkten.
Zunächst zeigten diese Sanktionen ihre Wirkung eher schleichend. Doch inzwischen reagieren zunehmend mehr Länder mit konkreten Schritten, jüngst der Irak.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters hat das Land aus Angst vor US-Sanktionen Geldzahlungen und Rohöllieferungen an Lukoil eingestellt. Für Russland ist diese Entscheidung laut Reuters die bislang grösste Folge der US-Sanktionen, denn im Irak liegt das grösste Ölfeld von Lukoil im Ausland.
West Qurna-2 heisst das Feld, in dem das Rohöl lagert, auf das Lukoil angewiesen ist. Es liegt 65 Kilometer nordwestlich des Hafens der irakischen Stadt Basra, macht etwa neun Prozent der gesamten irakischen Ölproduktion aus und produziert derzeit rund 480'000 Barrel pro Tag.
So schwächt der Irak Russlands Wirtschaft
Lukoil hat am 4. November einen Brief an das irakische Ölministerium geschickt. Darin erklärte das Unternehmen, dass es aufgrund «höherer Gewalt» nicht in der Lage sei, den normalen Betrieb in West Qurna-2 fortzusetzen. Genauer sei Lukoil wegen der US-Sanktionen nicht in der Lage, seine Mitarbeiter auf dem Ölfeld zu bezahlen. Wie CNN berichtet, sind die meisten von ihnen Iraker.
Ein solcher Fall ist rechtlich genau geklärt: Liegt sogenannte höhere Gewalt vor, können Unternehmen von ihren Leistungspflichten befreit werden und es besteht kein Anspruch auf Schadensersatz. Als höhere Gewalt gelten dabei unvorhersehbare, von aussen kommende und unabwendbare Ereignisse, die die Erfüllung eines Vertrags unmöglich machen oder erheblich erschweren.
Ein hochrangiger Vertreter der irakischen Ölindustrie teilte mit: Wenn die Gründe für diese höhere Gewalt nicht innerhalb von sechs Monaten behoben werden, werde Lukoil die Produktion einstellen und sich vollständig aus dem Projekt zurückziehen.
Ebenfalls am 4. November berichtete Reuters unter Berufung auf namentlich nicht genannte Quellen, dass die staatliche irakische Vermarktungsgesellschaft SOMO (State Organization for Marketing of Oil) die Verladung von drei Rohölladungen aus Lukoils Eigenproduktion auf dem Ölfeld gestrichen hat. Der Grund für die Streichung waren auch hier Bedenken wegen der verhängten westlichen Sanktionen.
Am 10. November meldete die Nachrichtenagentur dann, erneut unter Berufung auf namentlich nicht genannte Quellen, der Irak habe aufgrund der Sanktionen alle Bar- und Rohölzahlungen an Lukoil eingestellt. Etwa 4 Millionen Barrel Rohöl sollen vorgesehen gewesen und nun storniert worden sein.
Die Zahlungen an Lukoil sollen eingefroren bleiben, bis eine vertragliche Anpassung erfolgt sei, die einen Mechanismus für die Erschliessung des Ölfeldes und eine Möglichkeit zur Zahlung an nicht sanktionierte Unternehmen sicherstellt. Das teilte ein Beamter des Ölministeriums mit.
Immer weniger Kontrolle im Ausland
Auch an anderer Front bröckelt das Auslandsgeschäft von Lukoil: Bulgarien verabschiedete in der vergangenen Woche die gesetzliche Grundlage, um die Kontrolle über eine Raffinerie des russischen Lukoil-Konzerns im Land zu übernehmen. Im Gegensatz zu dem Ölfeld im Irak, das Lukoil als Quelle nutzt, steht hier die Weiterverarbeitung des Öls im Vordergrund.
Betroffen ist die Neftochim-Raffinerie in Burgas, an der Lukoil 99,85 Prozent der Anteile hält. Sie ist die grösste Raffinerie auf dem gesamten Balkan und zugleich Bulgariens grösstes Unternehmen. Indem Bulgarien nun die Kontrolle über die Raffinerie übernimmt, will die Regierung des Landes verhindern, dass die Raffinerie ihren Betrieb einstellt. Immerhin hat die dazugehörige Vertriebseinheit mit einem Netzwerk aus Öldepots, Tankstellen sowie Unternehmen, die Schiffe und Flugzeuge beliefern, auf dem bulgarischen Markt eine Quasi-Monopolstellung.
Nicht nur in Bulgarien besitzt das Unternehmen eine Raffinerie, sondern auch in Rumänien. Nach Ansicht von Energieminister Bogdan Ivan muss das Land auch hier die Kontrolle über die rumänische Lukoil-Tochtergesellschaft übernehmen. Was der Staat genau übernehmen soll und auf welche Weise, erläuterte der Minister bislang nicht. Lukoil betreibt in Rumänien 320 Tankstellen sowie die drittgrösste Raffinerie des Landes und ist an der Suche nach Gasvorkommen vor der rumänischen Küste im Schwarzen Meer beteiligt.
Abkommen mit der Schweiz geplatzt
Ohnehin versucht Lukoil seit der Verhängung der Sanktionen, sein Auslandsgeschäft zu verkaufen. Es umfasst Hunderte Tankstellen in etwa 20 Ländern und mehrere Raffinerien. Die Frist für eine Trennung von den Auslandsaktiva läuft bis zum 21. November.
Ein Verkauf an den Schweizer Energiehändler Gunvor war wegen Widerspruchs aus den USA jüngst gescheitert. Das Schweizer Unternehmen hatte sein Angebot zurückgezogen, nachdem das US-Finanzministerium Gunvor als «Marionette des Kremls» bezeichnet und Widerstand gegen das Geschäft signalisiert hatte. Solange der russische Präsident Wladimir Putin das «sinnlose Morden» fortsetze, werde Gunvor niemals eine Lizenz erhalten, erklärte das Ministerium auf der Plattform X.
Ein Gunvor-Sprecher nannte die Erklärung des Ministeriums «grundlegend falsch informiert und unwahr». Man begrüsse die Gelegenheit, dieses «eindeutige Missverständnis» zu korrigieren. «In der Zwischenzeit zieht Gunvor seinen Vorschlag für die internationalen Vermögenswerte von Lukoil zurück.»
Wichtiges Standbein für Russlands Wirtschaft schwächelt
Die jüngsten US-Sanktionen dürften auf Russlands Exportgeschäft deutliche Auswirkungen haben. Bereits im vergangenen Monat sind Russlands Öl- und Gaseinnahmen massiv eingebrochen. Im Vergleich zu Oktober 2024 sind sie um 27 Prozent zurückgegangen, wie am 6. November veröffentlichte Daten des russischen Finanzministeriums zeigen. Auch das wurde bereits als schwerer Schlag für die Kriegsfinanzen des Kremls gewertet. Dabei sind die Auswirkungen der US-Sanktionen vom 22. Oktober gegen Rosneft und Lukoil hier noch nicht eingerechnet.
In konkreten Zahlen hat Russland im Oktober 888,6 Milliarden Rubel (ca. 9,5 Milliarden Euro) an Öl- und Gassteuern eingenommen. Im Vorjahresmonat waren es noch rund 1,2 Billionen Rubel (ca. 12,8 Milliarden Euro). Neben bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden westlichen Sanktionen wird der starke Rückgang auch mit schwachen Rohölpreisen und einem stärkeren Rubel begründet.
Insgesamt beliefen sich die russischen Öl- und Gaseinnahmen in diesem Jahr auf 7,5 Billionen Rubel (ca. 80 Milliarden Euro) gegenüber 9,5 Billionen (ca. 101 Milliarden Euro) in den ersten zehn Monaten 2024. Das entspricht einem Rückgang von 21 Prozent.
Experten dämpfen Erwartungen auf Kriegsende
Dass durch diese Einbussen die Kriegskassen des Kreml massiv getroffen werden, bezweifeln Experten jedoch. Selbst wenn die Sanktionen die russische Wirtschaft in eine Rezession stürzen, würden sie Putins Kriegsanstrengungen nicht stoppen.
Energieprodukte seien zwar «wichtig für den Inlandsmarkt und in gewissem Masse auch für den Export, stellen aber keine wesentliche Einnahmequelle für den Staatshaushalt dar, um den Krieg fortzusetzen», zitiert «Euronews» etwa Elina Ribakova, Mitarbeiterin des Brüsseler Thinktanks Bruegel.
Russland exportiert neben Öl und Gas auch weitere wichtige Rohstoffe, darunter Düngemittel, Weizen und Edelmetalle. Zudem hat der Kreml Wege gefunden, Sanktionen zu umgehen, etwa mit einer russischen Schattenflotte von Öltankern.

