Kurz vor der Annahme des Verhüllungsverbots kündigte Julia Küng von den Jungen Grünen an, Frauen unterstützen zu wollen, die vor Gericht ihre Freiheitsechte einklagen – «notfalls bis nach Strassburg». Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) dürften solche Klagen allerdings erfolglos bleiben. Das zeigt ein Blick in die Gerichtspraxis.
Es ist brandgefährlich, wenn eine Mehrheit per Abstimmung Grundrechte einer Minderheit angreift.
— Julia Küng (@Julia_Kueng) March 7, 2021
Bei einem Ja zum #Burkaverbot sind wir Junge Grüne und @PhilipStolkin bereit, Frauen zu unterstützen, vor Gericht ihre Freiheitsrechte durchzusetzen - notfalls bis nach Strassburg.
Die Diskussion, dass ein Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum die Grundrechte verletze, ist keine neue. Nachdem Frankreich das Verbot im Jahr 2011 angenommen hat, zog eine 24-jährige Muslimin mit ihrer Klage bis nach Strassburg. Sie sah sich in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt.
Im Jahr 2014 erklärte der EGMR das Verbot für rechtmässig: Es stelle keine Verletzung der Menschenrechte dar, urteilten die Richterinnen und Richter.
Der EGMR befand, es sei legitim, wenn der Staat mit solchen Massnahmen das Zusammenleben in der Gesellschaft wahren wolle. Ausserdem könne eine staatliche Behörden die Situation vor Ort besser bewerten als ein internationales Gericht. Die Entscheidung, ob eine Vollverschleierung akzeptiert werde oder nicht, sei eine Entscheidung der Gesellschaft.
Auf dieses Urteil verwies der EGMR auch bei weiteren Verfahren, etwa jenen aus Belgien im Jahr 2017. Damals klagten drei Frauen gegen das Vollverschleierungsverbot.
So wandte sich eine muslimische Belgierin gegen drei belgische Gemeinden. Das Verschleierungsverbot verletze ihre Rechte auf Religionsfreiheit, Achtung des Privatlebens und Freiheit von Diskriminierung.
Gegen das nationale Verhüllungsverbot gingen zudem eine Belgierin und eine Marokkanerin vor. Eine der beiden Klägerinnen führte an, dass sie entgegen ihrer religiösen Überzeugung auf die Vollverschleierung verzichte, aus Angst vor einer Geld- oder Gefängnisstrafe. Die andere fühlte sich in ihrer Bewegungs- und Entfaltungsfreiheit gehindert, weil sie nun überwiegend zu Hause bleiben müsse.
Die drei Klägerinnen hatten beim EGMR keinen Erfolg. Der Gerichtshof befand, dass das nationale sowie die kommunalen Verhüllungsverbote in Belgien nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstosse.
Die Rechtsprechung des EGMR ist relativ klar: Die Richterinnen und Richter überlassen es den Staaten, ob sie Frauen in Niqab oder Burka akzeptieren. Entsprechend verstösst ein Verbot nicht gegen Menschenrechte wie die Relegionsfreiheit oder Freiheit von Diskriminierung. Das Recht des Staates, die Verwendung religiöser Symbole zu reglementieren, gewichtet der EGMR höher als das individuelle Recht auf Religionsausübung.
Diese Haltung vertrat der Gerichtshof bei einem ähnlichen Verfahren aus der Schweiz: Ein muslimisches Elternpaar aus Basel klagte in Strassburg, weil sie ihre Töchter nicht in den obligatorischen Schwimmunterricht schicken wollte. Im Januar 2017 wies der EGMR die Klage ab. Das Recht auf soziale Integration sei höher zu gewichten als das Recht auf freie Religionsausübung.
In der Schweiz mussten sich die hiesigen Bundesrichterinnen und -richter bereits mit dem Tessiner Verhüllungsverbot auseinandersetzen. Dort haperte es mit dem Gesetzestext.
So befand das Bundesgericht das Tessiner Verhüllungsverbot im Jahr 2018 als unverhältnismässig. Jedoch nicht in Bezug auf den Niqab oder die Burka, sondern bezüglich der Meinungsäusserungsfreiheit bei politischen Kundgebungen sowie der Wirtschaftsfreiheit, etwa bei kommerzieller Werbung.
So wurde das Tessiner Kantonsparlament dazu verdonnert, das Gesetz zu verbessern. Ob es auch bei anderen Kantonen zu Klagen kommen wird, wird sich zeigen. Mit der Annahme des nationalen Verhüllungsverbotes sind diese nun beauftragt, eigene Ausführungsgesetzte zu formulieren.
Nein, wir sind nicht die ersten in Europa mit diesem Verbot. Dort ist die Welt bisher nicht untergegangen (wie auch nicht in St. Gallen oder im Tessin) und das wird sie auch bei uns nicht.
Das nach Strasbourg zu ziehen ist eine reine Polit-Show.