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Mit einer alten Idee aus der EU-Blockade?

Will der Bundesrat mit einer alten Idee aus der Blockade? Bislang war die EU skeptisch

Statt mit einem grossen Wurf könnte der Bundesrat der EU vorschlagen, die institutionellen Fragen in jedem Vertrag einzeln anzugehen. Bloss: In der Vergangenheit hat Brüssel das abgelehnt.
20.12.2021, 07:1220.12.2021, 07:16
Remo Hess, Brüssel / ch media
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Im Aussendepartement (EDA) brütet man derzeit über der Frage, was der Bundesrat der EU nach dem Ende des Rahmenabkommens als Alternative anbieten kann. Maros Sefcovic, der Vizepräsident der EU-Kommission, fordert von Aussenminister Ignazio Cassis bis zu ihrem Treffen am Weltwirtschaftsforum in Davos bekanntlich einen «Fahrplan», wie die Schweiz die institutionellen Fragen angehen will. Ansonsten, das hat die EU klargemacht, wird sie die bestehenden bilateralen Verträge nicht mehr aktualisieren.

Ignazio Cassis und Maros Sefcovic
Ignazio Cassis und Maros Sefcovic am 15. November in Brüssel.Bild: twitter/ignaziocassis

Jetzt zeigt sich, wohin die Reise gehen dürfte: Die Fragen der Übernahme von EU-Recht und der Streitbeilegung sollen nicht in einem übergeordneten Rahmenvertrag, sondern separat in jedem bilateralen Abkommen angegangen werden.

Das hätte erstens den Vorteil, dass die sogenannte «Guillotine-Klausel» entfallen würde, wonach die EU bei einem Regelverstoss in einem Abkommen gleich sämtliche bilateralen Verträge kündigen kann. Zweitens könnte sich die Schweiz dadurch erhoffen, massgeschneiderte Ausnahmen in einzelnen Abkommen zu verhandeln.

EU hat ähnliche Ansätze zuletzt abgelehnt

Der Gesamtbundesrat soll sich laut «NZZ am Sonntag» in seiner Sitzung am Freitag grundsätzlich hinter diese Linie gestellt haben. Damit hätte Cassis etwas in der Hand, das er dem EU-Vizepräsidenten bei seinem Treffen Mitte Januar auf den Tisch legen kann.

Einer, der sich schon etwas weitergehende Gedanken gemacht hat, ist FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann. Er hat sein Modell, das ebenso eine «vertikale Dynamisierung» der einzelnen Abkommen vorsieht, dem EDA bereits vorgelegt. Noch vor dem Treffen in Davos wird Bundesrat Ignazio Cassis dazu in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats Stellung nehmen.

Hans-Peter Portmann, FDP-ZH, spricht waehrend der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 15. Juni 2021 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann.Bild: keystone

Portmann will neben der Dynamisierung der einzelnen Verträge in einem sogenannten «Modellvertrag» festhalten, wie die Übernahme von EU-Recht und die Streitschlichtung grundsätzlich ablaufen. Er sagt: «Der Modellvertrag bildet keinen übergeordneten Rahmen, sondern steht gleichwertig neben den anderen Verträgen.»

Portmann ist überzeugt, dass die EU seinen Vorschlag, der mit dem FDP-Präsidium abgesprochen sei, nicht rundheraus ablehnen werde. Portmann: «Es ist ein Kompromiss für beide Seiten.»

Das Problem: In der Vergangenheit hat die EU ähnliche Ansätze bereits verworfen. Schon Anfang der 2010er-Jahre versuchte die damalige Energieministerin Doris Leuthard die Lösung der institutionellen Fragen in einem Stromabkommen exemplarisch einzuarbeiten, das dann als Blaupause für alle anderen Abkommen dienen würde.

Auf Anfrage von CH Media sagt ein Sprecher der EU-Kommission: «Das Ziel eines übergeordneten Rahmenabkommens ist es, die breite und tiefe Beteiligung der Schweiz am Europäischen Binnenmarkt zu steuern.» Das EU-Recht in den einzelnen Abkommen von Fall zu Fall und nach den Interessen der Schweiz zu übernehmen, könne nicht der Weg vorwärts sein. Es brauche gerade bei den Staatsbeihilfen und der Streitschlichtung eine übergreifende, also eine horizontale Lösung.

Skepsis: Mehr als Schweizer Rosinenpickerei?

Die Skepsis seitens der EU hat einen Grund: die Personenfreizügigkeit. Die EU befürchtet, dass die Schweiz bei einer sektoriellen Klärung der strittigen Fragen sich einer Diskussion über Personenfreizügigkeit verweigern werde. Immerhin befinden sich in diesem Bereich die heikelsten Streitfragen wie die Sicherung des Schweizer Lohnschutzes und der Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie, auf welche die EU drängt.

«Das ist die alte Rosinenpickerei», kommentiert man in EU-Kreisen die Idee aus Bern. Portmann will diesem Vorwurf begegnen, indem der Modellvertrag einen verbindlichen Zeitplan festlegen würde. «Für mich kann man die Freizügigkeit gleich zu Beginn angehen, zum Beispiel zusammen mit einem Stromabkommen», schlägt Portmann vor.

Wozu die EU bereit wäre und was nicht, ist schwierig abzuschätzen, solange kein konkreter Vorschlag des Bundesrats auf dem Tisch liegt. Ein EU-Diplomat formuliert es so: «Selbst für den Fall, dass wir uns auf so etwas einlassen würden: Das Erste, worüber wir reden werden, ist die Personenfreizügigkeit.»

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36 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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balzercomp
20.12.2021 08:57registriert Januar 2016
Die EU macht seit Jahren klar, dass sie keine x-Verträge mehr separat pflegen und verwalten will. Sie hat mit keinem anderen Staat auch nur annähernd so viele bilateralen Abkommen. Ein Modellvertrag würde es vielleicht etwas vereinfachen, aber das Grundproblem nicht lösen. Und die EU wird ganz sicher nicht auf eine Art Guillotineklausel verzichten. Wenn sie etwas aus dem Verhalten der Schweiz in den letzten Jahren gelernt hat, dann das.
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ingmarbergman
20.12.2021 09:05registriert August 2017
„Die Definition von Wahnsinn ist, immer das gleiche zu tun und dabei andere Resultate zu erwarten.“
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