Die USA waren einst ein Untertanengebiet der britischen Krone. Dieses Verhältnis hat sich längst umgekehrt. In den 1980er Jahren, als Premierministerin Margaret Thatcher als treue Gefolgsfrau von US-Präsident Ronald Reagan auftrat, nannten Spötter Grossbritannien den «51. Bundesstaat der USA». Tony Blairs «Nibelungentreue» zu George W. Bush verstärkte diesen Eindruck.
Donald Trump hat es bei seinem dreitägigen Staatsbesuch im Königreich auf die Spitze getrieben. Er beschimpfte den Londoner Bürgermeister Sadiq Khan. Ausserdem machte er klar, dass für ihn nur ein schneller und «harter» Austritt aus der EU in Frage kommt. Und dass Boris Johnson der perfekte Nachfolger für die am Brexit gescheiterte Premierministerin Theresa May wäre.
Als Sohn einer Schottin mag sich der US-Präsident dazu berufen fühlen, den Briten den Tarif durchzugeben. Die Unverfrorenheit, mit der Trump sich in die inneren Angelegenheiten eines befreundeten Landes einmischte, müsste jedoch allen Verfechtern von nationaler Souveränität die Scham- oder Zornesröte ins Gesicht treiben. So funktioniert das Recht des Stärkeren.
Im Land selbst spielte Trump in gewohnter Manier sowohl den Bad Cop wie auch den Good Cop. Er traf sich mit dem Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage und telefonierte mit Johnson (eine persönliche Begegnung kam wohl wegen der befürchteten Negativ-PR für den Ex-Aussenminister nicht zustande). Dann wieder lobte er Mays «gute Arbeit» bei den Brexit-Verhandlungen.
Bei der gemeinsamen Medienkonferenz mit der am Freitag abtretenden Premierministerin stellte Trump den Briten ein «phänomenales» Freihandelsabkommen in Aussicht. Gleichzeitig betonte er, es werde bei den Verhandlungen «alles auf den Tisch kommen». Dabei schloss er ausdrücklich den National Health Service (NHS) ein, den staatlichen britischen Gesundheitsdienst.
Damit stach der US-Präsident in ein Wespennest, denn der NHS ist den Briten geradezu heilig. Keine Regierung hat es gewagt, ihn zu privatisieren, nicht einmal jene der «eisernen Lady» Margaret Thatcher. Dabei ist der NHS in mancher Hinsicht marode und ineffizient und von Personal aus der EU abhängig, das sich nach dem Brexit womöglich schwieriger rekrutieren lässt.
BREAKING: Donald Trump admits that everything, including the NHS, is on the table in any US-UK trade talks, which means opening our NHS up to US companies.
— People's Vote UK (@peoplesvote_uk) June 4, 2019
Pls RT so everybody knows that when it comes to a post-Brexit trade deal with the US, Trump has a very clear agenda: pic.twitter.com/o4FNIzFipO
Boris Johnson warb im Brexit-Abstimmungskampf vor drei Jahren mit dem Argument, die 350 Millionen Pfund, die Grossbritannien angeblich pro Woche an die EU überweist, sollten besser dem NHS zukommen. Es war eine blanke Lüge. Die reale Summe etwa nach Abzug des «Briten-Rabatts» ist deutlich tiefer. Johnson muss sich deshalb vor Gericht verantworten.
Eine Öffnung des Gesundheitsdienstes für US-Anbieter könnte die Preise nach oben treiben. So kann der NHS (noch) durchsetzen, dass Medikamente von US-Herstellern billiger sind als in Amerika selbst. Gesundheitsminister Matt Hancock, der sich um die May-Nachfolge bewirbt, twitterte sinngemäss, ein Einbezug des NHS in den Freihandel erfolge «nur über meine Leiche».
Darauf ruderte Donald Trump zurück. Im Interview mit dem Fernsehsender ITV erklärte er, der NHS sei für das Abkommen kein Thema, weil er «nicht zum Handel gehört». Dennoch sollte die Schweiz aufhorchen. Die zuletzt intensiveren Kontakte mit den USA, durch die Besuche von Bundespräsident Ueli Maurer bei Trump im Weissen Haus und von Aussenminister Mike Pompeo in der Schweiz, haben Hoffnungen auf ein Freihandelsabkommen geweckt.
Einzelne Medien und EU-Kritiker frohlocken bereits ob der vermeintlich goldenen Perspektiven für die Schweizer Wirtschaft durch bessere Handelsbeziehungen mit den USA. Dabei muss Trumps Aussage, wonach «alles auf den Tisch» kommen müsse, die Schweiz beunruhigen. Denn ob die USA ähnlich nachgiebig sind wie beim britischen Gesundheitsdienst, ist zu bezweifeln.
Die «staatlichen Beihilfen», ein Hauptstreitpunkt beim institutionellen Abkommen mit der EU, könnten auch in Verhandlungen mit den USA zum Thema werden. Besonders sensibel ist im Fall der Schweiz die Landwirtschaft. An ihr ist 2006 ein erster Anlauf für ein Freihandelsabkommen gescheitert. Bei einer Neuauflage werde sie nicht ausgenommen, betonen US-Vertreter.
In Grossbritannien sorgt die Landwirtschaft ebenfalls für Kontroversen. Es gilt als sicher, dass die USA die Einfuhr von Hormonfleisch und mit Chlor behandelten Poulets durchsetzen wollen. Beides ist heute gemäss EU-Regeln verboten. Erst diese Woche betonte die britische Regierung, man werde auch nach dem Brexit keine Schwächung der Lebensmittel-Standards dulden.
Die Aussichten für das «phänomenale» Handelsabkommen sind durchzogen. Die im Vergleich zum Königreich deutlich leichtgewichtigere Schweiz wird kaum auf bessere Konditionen hoffen dürfen. Noch gibt es kein Verhandlungsmandat, geschweige denn ein Datum für erste Gespräche. Aber einfacher als 2006 wird sich der Traum vom freien Handel mit den USA kaum realisieren lassen.
Die deutsche Zeitung «Die Welt» brachte es in Anspielung auf den Brexit-Slogan «Take Back Control» auf den Punkt: «Wer sich von dem angeblichen Joch Brüssels befreit, wird eben nicht Herr seines nationalen Schicksals, sondern steht allein den Molochen USA und China gegenüber. Wenn bei Tierhaltung, Lebensmittel- und Medikamentensicherheit, Arbeitsrecht und Wettbewerb nicht EU-Standards gelten, gelten eben amerikanische oder chinesische.»
1. Für ihn gibt es nur win-lose, kein win-win.
2. Im Zweifelsfall hält er sich eh nicht dran oder kündet es aus einer Laune heraus wieder auf (und zwar per Twitter).
Szenario 1: Die "Bauern-Partei" SVP zeigt ihr wahres Gesicht und drückt den Freihandel trotzdem durch.
Szenario 2: Die SVP knickt vor den Bauern ein und es gibt kein abkommen.