Es war im Mai 2016, Gianni Infantino war seit gut zwei Monaten Fifa-Präsident. In einer internen Sitzung des Fifa-Rats sagte er laut der deutschen FAZ, es gebe Menschen, die das Leben «kompliziert» machten. Solche Menschen, das war Infantinos Botschaft, hatten nichts in den Kontrollgremien des Weltfussballverbands zu suchen.
Ein halbes Jahr zuvor hatten diese Gremien das Leben von zwei Funktionären ziemlich «kompliziert» gemacht: Der abtretende Fifa-Präsident Sepp Blatter und sein designierter Thronfolger, Uefa-Boss Michel Platini, waren Ende 2015 von den Fifa-Ethikern für Jahre gesperrt und aus dem Verkehr gezogen worden. Ihnen war jene mittlerweile berühmte Zahlung von zwei Millionen Franken zum Verhängnis geworden, die Blatter 2011 an Platini genehmigt hatte.
Auslöser war gewesen, dass die Bundesanwaltschaft (BA)am 25. September 2015 bei der Fifa in Zürich einmarschierte und wegen der Zahlung ein Strafverfahren gegen Blatter eröffnete: Verdacht auf ungetreue Geschäftsführung und Veruntreuung. Platini war nicht beschuldigt, er war lange «nur» Auskunftsperson, trotzdem nannte die BA öffentlich seinen Namen.
Aber schon am 28. September 2015, wie nach Drehbuch, eröffnete die Ethik-Untersuchungskammer der Fifa, vom strengen Schweizer Cornel Borbély geleitet, ein Verfahren gegen das Duo. Am 7. Oktober 2015 suspendierte die Fifa Blatter und Platini vorübergehend für 90 Tage von allen Funktionen; die Sperre konnte um 45 Tage verlängert werden. Platinis Kandidatur für die Blatter-Nachfolgewahl, für den 26. Februar 2016 angesetzt, war klinisch tot.
Unter Verdacht, mit dem 2-Millionen-Tipp etwas zu tun haben, steht namentlich der heutige Fifa-Chef Infantino selbst, es gibt verschiedene Indizien in seine Richtung. So tauchte sein Vertrauter und Jugendfreund, der Walliser Staatsanwalt Rinaldo Arnold, am 8.Juli 2015 bei Bundesanwalt Michael Lauber und dessen Informationschef André Marty auf. Ab diesem Zeitraum begann sich die BA für Platinis Bankdaten zu interessieren. Infantino selbst streitet ab, irgendetwas mit der Sache zu tun zu haben. Er habe damals nicht mal von der Zahlung gewusst. Im Umfeld der heutigen Fifa-Spitze kursiert vielmehr die These, dass der Tipp im Sommer 2015 aus der Fifa kam, womöglich von Ethikern selbst. Andere glauben, zwei Lager hätten sich damals gefunden im Bestreben, Platini zu verhindern.
Nach Platinis Aus war die Bahn jedenfalls frei für den damaligen Uefa-Generalsekretär Infantino, der haarscharf vor Ablauf der Meldefrist am 26.Oktober 2015 seine Kandidatur ankündigte.
Am 26. Februar 2016 wurde er zum Fifa-Präsidenten gewählt. Sogleich machte er sich daran, die Leute auszuschalten, die das Leben «kompliziert» machten. Schon am Kongress vom Mai 2016 in Mexiko liess sich das Präsidium ermächtigen, für ein Jahr über die Besetzung und Abberufung der Mitglieder der unabhängigen Überwachungskommissionen entscheiden zu dürfen.
Das war damals namentlich auf den Schweizer Domenico Scala gemünzt, den Compliance-Chef der Fifa, der auch Infantinos Lohn hatte deckeln wollen. Noch auf dem Rückflug aus Mexiko reicht Scala seinen Rücktritt ein: Die Gremien seien nicht mehr unabhängig. Tatsächlich: Scala wurde wenig später durch einen Slowenen ersetzt, der Infantino in der Folge keine Probleme machen sollte.
Die Ethik-Kontrolleure Cornel Borbély und Hans-Joachim Eckert, der deutsche Chef der rechtssprechenden Kammer, blieben vorerst an Bord, angeblich glaubten sie, alles sei halb so wild. Doch der als ebenso berechnend wie misstrauisch geltende Infantino hatte sie ab jetzt im Griff, sagen Beobachter rückwirkend: Schon im August 2016 wurde bekannt, dass die Fifa-Ethikkommission Ermittlungen gegen Infantino eingestellt hatte. Es war von Interessenkonflikten die Rede gewesen, es ging unter anderem um teure Flüge, etwa zum Papst, von der Fifa bezahlt oder von Oligarchen.
Wenn die gleichen Massstäbe angelegt worden wären wie bei Blatter-Platini, wäre Infantino seit damals nicht mehr Präsident, sagt ein Insider. Aber die Schere im Kopf der vom Rauswurf bedrohten Fifa-Ethiker habe damals gewirkt, glaubt er. Infatino habe zudem Glück gehabt, dass Borbély, weil er Schweizer ist, nicht selbst gegen Infantino ermitteln durfte.
Im Mai 2017 waren die Chefs der Ethiker Borbély und Eckert selbst an der Reihe. Ohne Vorwarnung entschied der von Infantino geleitete Fifa-Rat, sie nicht zur Wiederwahl zu nominieren. Nachfolgerin des ehemaligen Zürcher Staatsanwalts Borbély wurde in Bahrain die Kolumbianerin Maria Claudia Rojas, die keine Erfahrung in Strafrecht hatte und die schon bald als willfährige Gehilfin gelten sollte. Aus Kolumbien brachte sie den Ruf mit, sehr gut befreundet zu sein mit umstrittenen Fussball-Funktionären. Laut Süddeutscher Zeitung etwa galt sie als «Super-Amiga» der dortigen Fussball-Bosse.
Für Infantino zahlte sich dies augenscheinlich aus: Dass der ausserordentliche Bundesanwalt Stefan Keller im Zug der «Schweizerhof»-Affäre im Sommer 2020 ein Strafverfahren gegen Infantino eröffnete, blieb ohne Folgen für den Fifa-Chef. Rojas stellte im August 2020 rasch eine Voruntersuchung wegen «mangelnder glaubhafter Beweise» gegen Infantino ein.
Unter anderem ging es wieder um den Vorwurf von Geldverschwendung: um einen angeblich unnötigen, etwa 200'000 Franken teuren Flug von Surinam nach Genf. Aber trotz eingeleitetem Strafverfahren wurde Infantino nicht suspendiert - das war 2015 bei Blatter noch anders.
Die Leute, die es «kompliziert» machen, waren alle längst weg.
Infantinos Anwälte verstanden es wenig später auch, Sonderermittler Keller auszuschalten. Das Bundesstrafgericht erklärte ihn für befangen. Ob Kellers zwei Nachfolger als Sonderermittler es «kompliziert» machen, wird sich zeigen. Sie hüllen sich zu den Ermittlungen gegen Infantino und Ex-Bundesanwalt Lauber derzeit in Schweigen. Man sagt, die Sache mit dem Surinam-Flug werde eingestellt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Apropos: Blatter und Platini wurden im Juli 2022 vom Bundesstrafgericht bekanntlich vollumfänglich freigesprochen.