Am Ende dieses Jahres fällt es schwer, nicht in Nostalgie abzudriften. Wie wunderbar war die Welt doch vor einem Vierteljahrhundert! Nach dem Kalten Krieg und dem Kollaps des real existierenden Sozialismus schien die liberale Demokratie alternativlos geworden zu sein. US-Präsident Bill Clinton war eine «Skandalnudel», aber wirtschaftlich lief es prächtig.
Der US-Staatshaushalt schrieb Überschüsse, und die Wahl 2000 drehte sich um die Frage, mit welchem Kandidaten man lieber ein Bier trinken würde, George W. Bush oder Al Gore. Was nicht ohne Ironie war, schliesslich war Bush ein «trockengelegter» Ex-Alki. Er wurde mit dem Recount-Drama in Florida unter fragwürdigen Umständen zum Präsidenten «ernannt».
Florida war ein dunkler Vorbote für das, was kommen sollte. Wenige Monate nach dem Amtsantritt des Republikaners ereigneten sich die Terroranschläge des 11. September 2001. Mit ihnen endete die sorglose «Spassgesellschaft», die die 1990er geprägt hatte. Der Rest von Bushs Amtszeit war durch die Überreaktion auf 9/11 und die Finanzkrise geprägt.
Letztere erwies sich im Rückblick als fatal. Sie führte in China und anderen Ländern zur Überzeugung, dass das westliche Modell aus liberaler Demokratie und Marktwirtschaft nicht so überlegen war, wie nach dem Kalten Krieg («Das Ende der Geschichte») angenommen wurde. In Moskau und Peking kamen zudem zwei antiwestliche Revanchisten an die Macht.
Ein solcher ist in gewisser Weise auch Donald Trump, verkörpert er doch die rückwärtsgewandte Sehnsucht nach einem weissen, konservativen Amerika, das Waren in alle Welt exportiert und sie nicht von dort importiert. Seine erste Amtszeit schien ein «Betriebsunfall» der Geschichte zu sein, doch jetzt ist er zurück und gefährlicher denn je.
Trumps Sieg war nicht so spektakulär, wie er in seiner üblichen Art behauptet, obwohl er als erster Republikaner seit Bush 2004 auch das Volksmehr errungen hat. Man kann lange über die Fehler der Demokraten lamentieren. Kamala Harris war keine starke Kandidatin. Ihr Team unterschätzte die Bedeutung von Kanälen wie dem Podcast von Joe Rogan.
Donald Trump hingegen führte einen exzellenten Wahlkampf, trotz seiner Hasstiraden und kognitiven Aussetzer. Der «Nahtod» beim Attentat in Pennsylvania liess ihn unzerstörbar wirken. Sein Werben um das «Bro Vote» brachte ihm viele Stimmen von Afroamerikanern und vor allem Latinos ein, die sicher nicht zu seiner MAGA-Stammwählerschaft gehören.
Jetzt kehrt er ins Weisse Haus zurück, und man sollte mit allem rechnen. Trumps Comeback beflügelt rechte, restaurative Kräfte in Europa. In einigen Ländern regieren sie direkt oder indirekt mit, in Deutschland feiert die AfD Wahlerfolge, und auch der Labour-Triumph in Grossbritannien ist verblasst. Davon profitiert der «Trump-Klon» Nigel Farage.
In der Ukraine gewinnt Russland zunehmend die Oberhand, allerdings trotz Überlegenheit an Mensch und Material nur sehr langsam. Die Ukrainer wehren sich heroisch, doch unter Trumps Ägide könnte es zu «Friedensverhandlungen» kommen. Die Europäer bereiten sich vor. Exponenten wie Emmanuel Macron denken über eine Friedenstruppe nach.
Der Ukraine-Krieg ist ein Grund für das Auftrumpfen rechter Kräfte. Hinzu kommen Frust über Corona, hohe Preise und unkontrollierte Migration sowie eine als anmassend empfundene Wokeness. Nimmt man eine wachsende Geschichtsblindheit hinzu, erstaunt es wenig, dass im «Superwahljahr» 2024 so viele Regierungen abgewählt wurden.
Die Schweiz wird von dieser Entwicklung nicht verschont. Im «Wahlbarometer Extra» verpasste die SVP die 30-Prozent-Marke, die seit Einführung der Proporzwahl 1919 noch nie eine Partei auf nationaler Ebene «geknackt» hat, nur um Haaresbreite. Gleichzeitig feierte die Linke bei Abstimmungen Erfolge, die bis vor wenigen Jahren undenkbar waren.
Zeigt sich darin wieder einmal der «Sonderfall» Schweiz, oder passen das Ja zur 13. AHV-Rente und das Nein zum Autobahnausbau zum restaurativen Trend? Steckt dahinter die Sehnsucht nach einer Zeit, in der die Gesellschaft vermeintlich egalitärer und das Land «überschaubarer» war? In diesem Fall wären es nur bedingt linke Erfolge.
Ganz ohne Lichtblicke verlief das Jahr aber nicht. In Georgien, Moldau und Rumänien opponieren viele Menschen gegen die Gefrässigkeit des russischen Bären, mit offenem Ausgang. Irans «Achse des Widerstands» gegen Israel ist schwer ramponiert. Und die immer noch junge Demokratie in Südkorea wehrte den Putschversuch ihres Staatsoberhaupts ab.
In Bangladesch wurde die autokratische Regierungschefin vertrieben, und selbst der Sturz von Baschar al-Assad in Syrien kurz vor Jahresende kann auf der Positivseite abgebucht werden. Zwar ist es weitgehend unklar, welche Richtung das gepeinigte und ausgepowerte Land einschlagen wird. Aber Russland und vor allem Iran wurden blossgestellt.
Und auch auf der persönlichen Ebene gab es positive Erlebnisse mit drei spannenden Frauen, die ich in diesem Jahr treffen oder live erleben konnte.
Im Februar starb Alexej Nawalny, der bekannteste russische Oppositionelle, an den Folgen von Vergiftung und Lagerhaft. Knapp drei Monate später hatte seine Witwe Julia Nawalnaja einen Auftritt am St.Gallen Symposium. Die Trauer war ihr anzusehen, denn Julia und Alexej waren mehr als ein Ehepaar, sie waren ein eigentliches «Dream Team».
Eindrücklich schilderte sie, wie Wladimir Putin versucht, die russische Jugend von der Politik fernzuhalten. Ihr Engagement würde sein Mafiasystem gefährden. Es gelingt nicht immer. Zur Trauerfeier für Alexej Nawalny, die in einen Aussenbezirk Moskaus «verbannt» wurde, erschienen Tausende, obwohl sie wussten, in welche Gefahr sie sich begaben.
Alexej Nawalny war eine schillernde Figur. Sein Flirt mit Nationalisten stiess nicht nur in der Ukraine auf Ablehnung. Sein Tod aber hinterlässt eine enorme Lücke. Niemand in der russischen Opposition verfügt über seine Mischung aus Charisma, Eloquenz und Mut. Auch deshalb war der Auftritt seiner Witwe in St.Gallen ein spezielles Erlebnis.
Ganz andere Anliegen vertritt die deutsche Ethnologin Susanne Schröter, die ich ebenfalls im Mai zum Interview traf. Sie ist eine konservative Islamismus- und Wokeness-Kritikerin, deren argumentative Schärfe aber weit entfernt ist vom plumpen AfD-Populismus. Längst nicht alle Argumente überzeugen, aber Stimmen wie ihre bereichern den Diskurs.
Im November folgte als eigentliches Highlight das Interview mit Anne Applebaum, einer der wichtigsten Intellektuellen der Gegenwart. Die Umstände waren speziell. Sie kam verspätet nach Zürich (die Deutsche Bahn …), war übermüdet und litt unter Kopfschmerzen. Nach 20 Minuten war Schluss, und doch war es für Kollege Löpfe und mich ein echtes Erlebnis.
In gewisser Weise sah Applebaum Assads Sturz voraus. Sie verwies darauf, dass schon die amerikanischen Gründerväter vor Typen wie Donald Trump gewarnt hatten. Und sie erinnerte daran, dass die lange Erfolgsgeschichte der liberalen Demokratie vor allem Glück war: «Jetzt kehren wir zu einem Zustand zurück, der historisch betrachtet normaler ist.»
Dies gilt es zu bedenken, wenn man nostalgisch wird und eine Vergangenheit verklärt, die so wunderbar nicht war. Kaum war der Kalte Krieg zu Ende, brach der blutige Bürgerkrieg in Jugoslawien aus, gefolgt vom Genozid in Ruanda. Doch wie sagte schon der legendäre Münchner Komiker Karl Valentin: «Heute ist die gute, alte Zeit von morgen.»
Guter, demokratiepolitisch legaler Rat ist sehr teuer!
Ich hoffe, dass Folgendes sehr sehr bald passiert:
- Verbot von X weltweit (und dann nach Trump)
- Immer wieder Facebook, Instagram und Tik Tok abschalten, wenn diese nicht konsequent gegen Hass, Fakenews und Bots vorgehen.