Seit ich denken kann, bestimmen die USA mein Leben. Als Kind liebte ich Micky Maus und (in Deutschland produzierte) Western-Comics. Mit meinen Freunden spielte ich Cowboy und Indianer. Mein Fernsehkonsum wurde durch Hollywood-Filme und Serien wie «Bonanza», «Columbo» und «Raumschiff Enterprise» getaktet. Amerika war mein Leitstern.
Seiner Omnipräsenz und kreativen Superpower konnten sich selbst Verächter der «oberflächlichen» Konsumkultur nicht entziehen. Vieles, was wir für selbstverständlich nehmen, stammt aus den USA, seien es Supermärkte oder so ziemlich alles, was digital ist. Kein Land kann auch nur annähernd so viele Nobelpreisträger vorweisen.
Ich konnte es kaum erwarten, als ich mit immerhin 26 Jahren erstmals ins Land meiner Träume reisen durfte. Es war ein grossartiges Erlebnis, auch wenn mir vor Ort bewusst wurde, dass nicht alles so toll war, wie es die Perspektive aus der Distanz vermuten liess. Ohnehin habe ich die Schattenseiten der amerikanischen Geschichte nie ausgeblendet.
Das betrifft nicht nur die Sklaverei oder die Vernichtung der indigenen Bevölkerung. Eine ruhige Phase gab es eigentlich nie. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war geprägt durch einen ungeheuren Wirtschaftsboom, aber auch den Kampf für die Bürgerrechte, die Hatz gegen angebliche «Kommunisten» und damit verbunden den Vietnamkrieg.
Politisch habe ich immer wieder mit den USA gehadert, vor allem, wenn die Republikaner regierten. Als Kantischüler war ich entsetzt über den reaktionären Ex-Schauspieler Ronald Reagan. Im Rückblick wirkt er geradezu «heilig», denn nie stellte er die Demokratie infrage. Und als Michail Gorbatschow dem alten Kommunistenfresser die Hand reichte, griff er zu.
Der nächste Aufreger war George W. Bush, der nach dem Terror am 11. September 2001 – auch etwas, das sich wohl nur in den USA ereignen konnte – falsch machte, was er falsch machen konnte. Das betrifft besonders den ohne Legitimation angezettelten Krieg im Irak. Mit Abu Ghraib und Guantánamo verpulverte er den Goodwill nach 9/11.
Bush war ein simples Gemüt, doch auch er stand zur Verfassung und den Institutionen. Als der Oberste Gerichtshof entschied, dass Guantánamo-Insassen gegen ihre Haft vor einem US-Gericht klagen konnten (ein Urteil, das in der heutigen Zusammensetzung kaum noch vorstellbar ist), reagierten Bush und seine Regierung wütend, doch sie hielten sich daran.
Schlimmer als mit Bush kann es kaum kommen, dachten ich und viele andere damals. Es kam viel, viel schlimmer, denn Donald Trump betrat die politische Bühne. Er war schon bei seinem ersten Wahlsieg 2016 eine fragwürdige Figur. Ein erfolgreicher «Businessman» war er nur im Reality-TV. Im wahren Leben war er ein mehrfacher Bankrotteur und Hochstapler.
Seither wurde er vom Kongress zweimal impeached. Seine einwandfreie Niederlage gegen Joe Biden 2020 hat er nie akzeptiert. Am 6. Januar 2021 wollte er seinen Machtverlust mit einem Staatsstreich vereiteln. Gegen ihn laufen mehrere Strafverfahren. Trump soll Frauen sexuell belästigt oder gar vergewaltigt haben. Man könnte viele weitere Dinge aufzählen.
Und trotzdem haben die Amerikaner ihn nicht nur erneut zum Präsidenten gewählt. Sie haben ihn durchschlagend gewählt, sogar mit der Mehrheit der Stimmen. Also einen Mann, den zwei Ex-Generäle als Faschisten bezeichneten. Der im Wahlkampf rassistische und sexistische Widerwärtigkeiten absonderte und sich in Rachegelüste hineinsteigerte.
Donald Trump ist ein Mensch, der die Demokratie und ihre Institutionen verachtet. Trotzdem wird er am 20. Januar 2025 zum zweiten Mal als Präsident vereidigt werden. Und das in einem Land, das schon die ersten Siedler im 17. Jahrhundert als «City upon a Hill» verklärten, als leuchtendes Vorbild, das Präsidenten immer wieder beschworen.
Die Realität war nicht immer strahlend, und doch hat die amerikanische Demokratie zahlreiche Krisen überstanden. Wie konnte es da zum Comeback von Trump kommen? Die Demokraten tragen sicherlich eine Mitschuld. Joe Biden klammerte sich zu lange an sein Amt. Kamala Harris hatte Defizite, trotz des starken Auftritts in der TV-Debatte mit Trump.
Vermutlich aber hätten die Demokraten sogar mit Abraham Lincoln gegen Trump verloren. Denn viele in Amerika sind in einer Weise frustriert und auf Krawall gebürstet, die selbst scharfsinnige Beobachter wie Michael Moore und James Carville nicht wahrhaben wollten. Trumps Tiraden werden von seinen Wählerinnen und Wählern ignoriert oder verharmlost.
Und dann gibt es jene, die ihn genau deshalb gewählt haben. Sie wollen einen «Strongman», so die «New York Times», der mit harter Hand aufräumt, auch wenn die amerikanische Demokratie irreparabel beschädigt wird. Ein wesentlicher Grund für diese Sehnsucht nach einem «Diktator» ist die Wirtschaft. Es stimmt eben schon: It’s the economy, stupid!
Man konnte in letzter Zeit häufig lesen, wie grandios es in der US-Wirtschaft läuft und wie hoch die Durchschnittslöhne selbst im Vergleich mit Europa sind. Ich konnte damit nie viel anfangen. Diese makroökonomische Perspektive ignoriert, dass Millionen sich von Paycheck zu Paycheck hangeln müssen und kaum Reserven für Notfälle besitzen.
Über die Teuerung der letzten Jahre ärgern sich selbst Menschen, deren Kaufkraft dank Lohnerhöhung kaum gelitten hat. Das hat nicht nur mit Küchenpsychologie zu tun. In einem Land ohne vernünftigen Sozialstaat und mit einem teuren Gesundheitssystem tut jeder Cent weh, den man im Supermarkt oder an der Tankstelle zusätzlich bezahlen muss.
Wie teuer das Leben in den USA geworden ist, kann ich aus eigener Erfahrung schildern. In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre lebte ich für ein Jahr in meiner Lieblingsstadt New York. Ich war freischaffend, verdiente nicht besonders viel, zehrte von Reserven. Und doch konnte ich mir eine kleine Wohnung mitten in Manhattan sowie das eine oder andere «Extra» leisten.
Als ich im Wahljahr 2012 für ein halbes Jahr zurückkehrte, als «Sonderkorrespondent» für «20 Minuten Online», war ich bereits froh über meinen fixen Schweizer Lohn. New York war keine günstige Stadt mehr. Und bei meinem letzten Besuch vor zwei Jahren, nach dem Trump- und dem Corona-Chaos, konnte ich über die teilweise exorbitanten Preise nur staunen.
Ein Beispiel: Das legendäre Pastrami-Sandwich bei Katz’s Delicatessen in Lower Manhattan kostet heute fast 30 Dollar. Das ist selbst mit «Touristenfallen-Zuschlag» obszön. Während meines ersten Aufenthalts vor bald 30 Jahren war es nicht einmal halb so teuer. Und selbst ausserhalb des kostspieligen New York sind die Preise stark gestiegen.
Ich kann die Wut der Amerikaner über die Inflation nachvollziehen. Aber rechtfertigt dies, dass Männer ihre Ehefrauen in die Wahlkabinen «begleiteten», um sie daran zu hindern, für Kamala Harris zu stimmen? Das erinnert an jene fürchterlichen Zeiten, in denen Schwarze teilweise mit Gewalt daran gehindert wurden, ihr Wahlrecht auszuüben.
Rassismus ist eben auch ein Bestandteil der Trump-Begeisterung, obwohl die Wirtschaft ohne «illegale» Migranten kollabieren würde. Auch mit seinen Tiraden gegen die Wokeness konnte Trump stärker punkten, als viele Linke wahrhaben wollten. Daraus ergibt sich selbst bei jungen Leuten eine dumpfe Sehnsucht nach einer «guten alten Zeit», die es so nie gab.
Manche «Trump-Versteher» meinen, er werde sich im Weissen Haus mässigen. Schon in seiner ersten Amtszeit sei alles halb so schlimm gewesen. Doch da war er unvorbereitet, umgab er sich mit «Erwachsenen», die ihn mehrfach an Dummheiten hinderten. Jetzt weiss Donald Trump Bescheid, wird er die wichtigen Ämter mit beinharten Ideologen besetzen.
In zwei Jahren feiern die USA ihren 250. Geburtstag, unter der Ägide eines Präsidenten, der mit der Demokratie auf Kriegsfuss steht. Der erste Präsident George Washington zeichnete sich dadurch aus, dass er die Königskrone ablehnte und nach acht Jahren freiwillig abtrat. Donald Trump kann wohl nur durch einen zunehmenden kognitiven Verfall gestoppt werden.
«Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt», sagte einst der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck. Mit Blick nicht nur auf die USA fragt man, ob sich diese auf das Unternehmertum gemünzte Erkenntnis nicht auch auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit anwenden lässt.
Lichtblicke gibt es (Amerikaner sind bekanntlich hoffnungslose Optimisten). In Kalifornien formiert sich nach dem ersten Schock der Widerstand gegen Trump und Angriffe auf die Umweltvorschriften. Und während Trump in Endlosschlaufe gegen Transmenschen hetzte, wurde im Staat Delaware erstmals eine Transperson in den US-Kongress gewählt.
Nein, die amerikanische Demokratie ist nicht tot. Aber sie macht derzeit einen komatösen Eindruck. So ergeht es auch meiner lebenslangen Liebe zu den USA. Sie ist ins Koma gefallen. Ob sie wieder erwacht? Es gibt immer noch vieles, das man an diesem Land bewundern kann. Aber etwas ist kaputtgegangen und lässt sich nicht mehr reparieren.
Eine Starke Europäische Identität neue Lebenswerte. Den die USA ist stehen geblieben schon vor Trump nun aber total.Da helfen die paar innovativen aus dem Silicon Valley auch nicht.
Es bleibt zu hoffen das die Kontinental Europäer aufwachen wenn ein USA wie Wir es alle gekannt haben sich zu einer Katastrophe entwickelt. Ich hoffe echt das die Mexikaner u Kanadier es schaffen noch neben diesem Molchen zu bestehen. Es wird noch mehr die Zeit von “ Ich” und recht des Stärkeren auf uns alle zukommen.