Die Landtagswahlen vom letzten Sonntag sorgten weit über Deutschland hinaus für Aufregung. Die vom Verfassungsschutz als «gesichert rechtsextremistisch» eingestufte Alternative für Deutschland (AfD) errang im Bundesland Thüringen einen klaren Sieg und landete im benachbarten Sachsen nur knapp hinter der CDU auf dem zweiten Platz.
Weltweit fragte man sich verwundert und entsetzt, wie es exakt 85 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs zu diesem Erfolg einer rechtsradikalen, nationalistischen Partei kommen konnte. Gründe gibt es einige, von der dysfunktionalen Ampel-Regierung in Berlin bis zum Gefühl vieler Ostdeutscher, sie seien Bundesbürger zweiter Klasse.
Längst nicht alle Wähler der AfD sind rechtsextrem. Viele wählen sie aus Protest. Das ist ein Grund zur Sorge, aber kein Anlass für Hysterie. Die Demokratie in Deutschland ist nicht in Gefahr. Bundesweit kommt die AfD in den Umfragen auf knapp 20 Prozent. Das ist nicht wenig, aber von einer «Machtergreifung» in Berlin ist die Partei ziemlich weit entfernt.
Gleichzeitig aber gibt es eine irritierende Tendenz, die AfD zu verharmlosen, besonders in Schweizer Medien. Nicht ganz überraschend gehört dazu die NZZ, deren Chefredaktor das altehrwürdige Blatt auf eine Geisterbahnfahrt nach Deutschland geführt hat. In seinem wöchentlichen Kommentar propagiert er eine AfD-Regierung in Thüringen.
«Ministerpräsident Höcke, na und?», meint er mit Verweis auf den dortigen AfD-Vorsitzenden. Klar kann man das fordern. Man blendet Björn Höckes völkische Remigrations-Fantasien einfach aus, ebenso die wirtschaftsfeindliche Rhetorik von ihm und anderen Vertretern des rechtsradikalen «Flügels», die sich gegen Grosskonzerne wie auch KMUs richtet.
Es wäre naiv zu glauben, die AfD werde sich an der Macht «entzaubern». Obwohl sie keine Mehrheit hätte, würde sie versuchen, die demokratisch-rechtsstaatlichen Institutionen zu untergraben. Fragt sich nur, wer ihr dabei helfen soll. NZZ-Chef Eric Gujer spricht sich für eine Minderheitsregierung mit Unterstützung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aus.
Die linkspopulistische Partei hat in Sachsen und Thüringen aus dem Stand zweistellige Ergebnisse erreicht und käme im Erfurter Landtag zusammen mit Höckes AfD auf eine Mehrheit der Sitze. Doch Gujer muss einräumen, dass Wagenknecht für eine solche Allianz kaum zu haben wäre. Sie ist zu schlau, um sich mit Höcke ins «Lotterbett» zu legen.
Obwohl es Berührungspunkte zwischen AfD und BSW gibt, vor allem bei Migration oder einem «Frieden» mit Russland, bevorzugt Sahra Wagenknecht ein Zusammengehen mit der CDU. «Wie alle Populisten ist sie vor allem Opportunistin», meint der NZZ-Chef und hat sicher nicht unrecht. Doch sein Kommentar ist ganz AfD-konform nichts als eine Provokation.
Ähnliche Irritationen kamen bei der Lektüre eines «Blick»-Artikels auf. Dieser ortet bei der AfD «ein erstaunlich gemässigtes Parteiprogramm». Viele ihrer Forderungen seien in der Schweiz längst Realität. Dazu gehören etwa mehr direkte Demokratie und «Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild». Liest sich gut, ist aber bestenfalls die halbe Wahrheit.
Unter direkter Demokratie verstehe man in Ostdeutschland «nicht unbedingt das schweizerische Modell, sondern eher das populistische Modell», sagte der Politologe Hans Vorländer im Interview mit watson. Das passt auch zu den Vorstellungen der AfD. Sie findet Volksabstimmungen gut – allerdings nur, wenn sie in ihrem Sinn ausfallen.
Wer die AfD als quasi «schweizerisch» verharmlost, sollte sich ihre noch recht junge Geschichte vor Augen führen. Gegründet wurde sie 2013 als wirtschaftsliberale und eurokritische Partei. Der Name Alternative für Deutschland war eine direkte Reaktion auf die von Bundeskanzlerin Angela Merkel als «alternativlos» bezeichneten Euro-Rettungsübungen.
Zu den «Gründervätern» gehörten der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel, der ehemalige Präsident des deutschen Industrieverbands. Doch schon bald wurde die AfD von der identitären Rechten gekapert, mit Björn Höcke als Strippenzieher. Zwei Jahre nach der Gründung traten Lucke und Henkel aus – oder sie wurden herausgeekelt.
Anderen erging es ähnlich, etwa der ehemaligen Parteichefin Frauke Petry, die schon ziemlich weit rechts stand. Oder dem ehemaligen Bundeswehr-Offizier Georg Pazderski, den die NZZ – wieder sie – vor einigen Jahren als «guten AfDler» hochzujubeln versuchte. Anfang 2022 warf schliesslich der damalige Co-Vorsitzende Jörg Meuthen das Handtuch.
Heute warnt er vor seiner einstigen Partei. Er habe «die finstere völkisch-nationalistische Rechtsaussenecke» mit Björn Höcke oder Maximilian Krah «komplett unterschätzt», sagte Meuthen im Interview mit der «NZZ am Sonntag». Die heutige Co-Parteichefin Alice Weidel habe «keine Überzeugungen, sondern vor allem einen Karriereplan in eigener Sache».
Eine Partei ist eben mehr als ihr Programm, meint der Deutschland-Korrespondent von CH Media, der aus der Leserschaft wegen des vermeintlich harmlosen Inhalts für die Bezeichnung der Partei als «rechtsradikal» kritisiert wird: «Aus den Reihen der AfD sind rassistische Entgleisungen bekannt, die zu zahlreich sind, um als Einzelfälle abgetan werden zu können.»
Es mag in der AfD vor allem auf Gemeindeebene halbwegs vernünftige Leute geben, die an Sachpolitik interessiert sind. Aber es gibt auch jene, die einfach in den Gemeinderäten sitzen und schweigen. Kläranlagen oder Schulen interessieren sie offenbar nicht. Mit solchen Leuten Politik zu machen, ist – gelinde gesagt – anspruchsvoll.
Mit den Nazis kann man die AfD nicht vergleichen. Dazu fehlen ihr die paramilitärischen Strukturen. Und die Welteroberungs-Gelüste. Sie will im Gegenteil eine Festung errichten, hinter deren Mauern sie ihre «biodeutsche» Heimattümelei kultivieren kann. Wer nicht in dieses Bild passt, wird «remigriert». Dazu gehören auch Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft.
«Wir werden auch ohne Probleme mit 20 bis 30 Prozent weniger Menschen in Deutschland leben können», sagte Björn Höcke Ende letzten Jahres an einer Veranstaltung in Gera. Die Folgen für die Wirtschaft oder das Gesundheitswesen scheinen ihm egal zu sein. Solche Dinge gilt es zu bedenken, ehe man ihn zum Ministerpräsidenten machen will.
Die AfD kann nur geschlagen werden, wenn sich die demokratischen Kräfte endlich um die Sorgen und Anliegen der Wähler kümmert. Die Politik hört sich gerne sprechen und verspricht viel und liefert sehr wenig. Mehr Liefern und weniger Laffern wäre angesagt
Die Populisten sind Teil von Putins Welteroberungsplänen. Er macht es vor, und seine militärischen Strukturen haben bereits viele Schritte unternommen – die Ukraine ist nur eines von vielen Zielen. Wer ist als Nächstes dran? Die baltischen Staaten sehen das nicht so locker wie wir; sie kennen Putins Pläne gut. Man kann Putin – und damit auch die Populisten – durchaus mit den Nazis vergleichen. Alles Teil eines grösseren Plans...