International
Schweiz

AfD-Wahlerfolg: Die Partei ist weder harmlos noch «schweizerisch»

epa11575519 Supporters of far-right Alternative for Germany (AfD) party await the speech of faction chairman in the regional parliament of Thuringia Bjoern Hoecke and top candidate for the upcoming 20 ...
AfD-Parole im Thüringer Wahlkampf.Bild: keystone
Analyse

Die AfD ist nicht harmlos – und gar nicht «schweizerisch»

Die Wahlerfolge der AfD im Osten Deutschlands erzeugen Schockwellen. In Schweizer Medien gibt es eine irritierende Tendenz, die rechtsextreme Partei zu verharmlosen.
07.09.2024, 10:0907.09.2024, 12:23
Mehr «International»

Die Landtagswahlen vom letzten Sonntag sorgten weit über Deutschland hinaus für Aufregung. Die vom Verfassungsschutz als «gesichert rechtsextremistisch» eingestufte Alternative für Deutschland (AfD) errang im Bundesland Thüringen einen klaren Sieg und landete im benachbarten Sachsen nur knapp hinter der CDU auf dem zweiten Platz.

Weltweit fragte man sich verwundert und entsetzt, wie es exakt 85 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs zu diesem Erfolg einer rechtsradikalen, nationalistischen Partei kommen konnte. Gründe gibt es einige, von der dysfunktionalen Ampel-Regierung in Berlin bis zum Gefühl vieler Ostdeutscher, sie seien Bundesbürger zweiter Klasse.

epa11575649 Bjoern Hoecke, far-right Alternative for Germany (AfD) party faction chairman in the regional parliament of Thuringia and top candidate for the upcoming 2024 Thuringia state election speak ...
Thüringens Wahlsieger Björn Höcke: Soll man diesem Mann eine Regierung anvertrauen?Bild: EPA

Längst nicht alle Wähler der AfD sind rechtsextrem. Viele wählen sie aus Protest. Das ist ein Grund zur Sorge, aber kein Anlass für Hysterie. Die Demokratie in Deutschland ist nicht in Gefahr. Bundesweit kommt die AfD in den Umfragen auf knapp 20 Prozent. Das ist nicht wenig, aber von einer «Machtergreifung» in Berlin ist die Partei ziemlich weit entfernt.

«Ministerpräsident Höcke, na und?»

Gleichzeitig aber gibt es eine irritierende Tendenz, die AfD zu verharmlosen, besonders in Schweizer Medien. Nicht ganz überraschend gehört dazu die NZZ, deren Chefredaktor das altehrwürdige Blatt auf eine Geisterbahnfahrt nach Deutschland geführt hat. In seinem wöchentlichen Kommentar propagiert er eine AfD-Regierung in Thüringen.

«Ministerpräsident Höcke, na und?», meint er mit Verweis auf den dortigen AfD-Vorsitzenden. Klar kann man das fordern. Man blendet Björn Höckes völkische Remigrations-Fantasien einfach aus, ebenso die wirtschaftsfeindliche Rhetorik von ihm und anderen Vertretern des rechtsradikalen «Flügels», die sich gegen Grosskonzerne wie auch KMUs richtet.

Nicht mit Höcke ins «Lotterbett»

Es wäre naiv zu glauben, die AfD werde sich an der Macht «entzaubern». Obwohl sie keine Mehrheit hätte, würde sie versuchen, die demokratisch-rechtsstaatlichen Institutionen zu untergraben. Fragt sich nur, wer ihr dabei helfen soll. NZZ-Chef Eric Gujer spricht sich für eine Minderheitsregierung mit Unterstützung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aus.

epa11579872 Sahra Wagenknecht Alliance (BSW) co-chairwoman Sahra Wagenknecht talks on the phone prior to a press conference at the convention center of the Federal Press Conference (Bundespressekonfer ...
Sahra Wagenknecht kann sich aussuchen, wen sie bei der Regierungsbildung unterstützen will.Bild: keystone

Die linkspopulistische Partei hat in Sachsen und Thüringen aus dem Stand zweistellige Ergebnisse erreicht und käme im Erfurter Landtag zusammen mit Höckes AfD auf eine Mehrheit der Sitze. Doch Gujer muss einräumen, dass Wagenknecht für eine solche Allianz kaum zu haben wäre. Sie ist zu schlau, um sich mit Höcke ins «Lotterbett» zu legen.

«Gemässigtes Parteiprogramm»

Obwohl es Berührungspunkte zwischen AfD und BSW gibt, vor allem bei Migration oder einem «Frieden» mit Russland, bevorzugt Sahra Wagenknecht ein Zusammengehen mit der CDU. «Wie alle Populisten ist sie vor allem Opportunistin», meint der NZZ-Chef und hat sicher nicht unrecht. Doch sein Kommentar ist ganz AfD-konform nichts als eine Provokation.

Ähnliche Irritationen kamen bei der Lektüre eines «Blick»-Artikels auf. Dieser ortet bei der AfD «ein erstaunlich gemässigtes Parteiprogramm». Viele ihrer Forderungen seien in der Schweiz längst Realität. Dazu gehören etwa mehr direkte Demokratie und «Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild». Liest sich gut, ist aber bestenfalls die halbe Wahrheit.

Turbulente Geschichte

Unter direkter Demokratie verstehe man in Ostdeutschland «nicht unbedingt das schweizerische Modell, sondern eher das populistische Modell», sagte der Politologe Hans Vorländer im Interview mit watson. Das passt auch zu den Vorstellungen der AfD. Sie findet Volksabstimmungen gut – allerdings nur, wenn sie in ihrem Sinn ausfallen.

AfD leader and top-candidate of the Alternative fuer Deutschland party (alternative for Germany) Bernd Lucke celebrates after hearing first results of the Eurepean elections in Berlin, Germany, Sunday ...
Bernd Lucke hatte die AfD 2013 mitbegründet. Schon zwei Jahre später war er weg.Bild: AP/AP

Wer die AfD als quasi «schweizerisch» verharmlost, sollte sich ihre noch recht junge Geschichte vor Augen führen. Gegründet wurde sie 2013 als wirtschaftsliberale und eurokritische Partei. Der Name Alternative für Deutschland war eine direkte Reaktion auf die von Bundeskanzlerin Angela Merkel als «alternativlos» bezeichneten Euro-Rettungsübungen.

Von der Rechten gekapert

Zu den «Gründervätern» gehörten der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel, der ehemalige Präsident des deutschen Industrieverbands. Doch schon bald wurde die AfD von der identitären Rechten gekapert, mit Björn Höcke als Strippenzieher. Zwei Jahre nach der Gründung traten Lucke und Henkel aus – oder sie wurden herausgeekelt.

Anderen erging es ähnlich, etwa der ehemaligen Parteichefin Frauke Petry, die schon ziemlich weit rechts stand. Oder dem ehemaligen Bundeswehr-Offizier Georg Pazderski, den die NZZ – wieder sie – vor einigen Jahren als «guten AfDler» hochzujubeln versuchte. Anfang 2022 warf schliesslich der damalige Co-Vorsitzende Jörg Meuthen das Handtuch.

«Karriereplan in eigener Sache»

Heute warnt er vor seiner einstigen Partei. Er habe «die finstere völkisch-nationalistische Rechtsaussenecke» mit Björn Höcke oder Maximilian Krah «komplett unterschätzt», sagte Meuthen im Interview mit der «NZZ am Sonntag». Die heutige Co-Parteichefin Alice Weidel habe «keine Überzeugungen, sondern vor allem einen Karriereplan in eigener Sache».

epa11579329 Alternative for Germany (AfD) right-wing political party deputy chairwoman Alice Weidel arrives for an AfD party press conference in Berlin, Germany, 02 September 2024. The far-right Alter ...
Ist Co-Chefin Alice Weidel mehr als eine Karrieristin?Bild: keystone

Eine Partei ist eben mehr als ihr Programm, meint der Deutschland-Korrespondent von CH Media, der aus der Leserschaft wegen des vermeintlich harmlosen Inhalts für die Bezeichnung der Partei als «rechtsradikal» kritisiert wird: «Aus den Reihen der AfD sind rassistische Entgleisungen bekannt, die zu zahlreich sind, um als Einzelfälle abgetan werden zu können.»

«20 bis 30 Prozent weniger»

Es mag in der AfD vor allem auf Gemeindeebene halbwegs vernünftige Leute geben, die an Sachpolitik interessiert sind. Aber es gibt auch jene, die einfach in den Gemeinderäten sitzen und schweigen. Kläranlagen oder Schulen interessieren sie offenbar nicht. Mit solchen Leuten Politik zu machen, ist – gelinde gesagt – anspruchsvoll.

Mit den Nazis kann man die AfD nicht vergleichen. Dazu fehlen ihr die paramilitärischen Strukturen. Und die Welteroberungs-Gelüste. Sie will im Gegenteil eine Festung errichten, hinter deren Mauern sie ihre «biodeutsche» Heimattümelei kultivieren kann. Wer nicht in dieses Bild passt, wird «remigriert». Dazu gehören auch Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft.

«Wir werden auch ohne Probleme mit 20 bis 30 Prozent weniger Menschen in Deutschland leben können», sagte Björn Höcke Ende letzten Jahres an einer Veranstaltung in Gera. Die Folgen für die Wirtschaft oder das Gesundheitswesen scheinen ihm egal zu sein. Solche Dinge gilt es zu bedenken, ehe man ihn zum Ministerpräsidenten machen will.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Rechtsextremer Terror in Deutschland – die schlimmsten Taten
1 / 13
Rechtsextremer Terror in Deutschland – die schlimmsten Taten
Rechtsextremer Terror und Mordanschläge haben in Deutschland Tradition. In dieser Bildstrecke geht es um die schlimmsten Taten der vergangenen Jahrzehnte – bis heute.
quelle: ap
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Verpiss dich!» – Journalistin wird an AfD-Demonstration hart angegangen
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
300 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
YvesM
07.09.2024 10:57registriert Januar 2016
Deutschland ist an einem Scheideweg angelangt. Im Moment ist es doch so, dass die AfD gar nicht viel machen muss. Die aktuelle Regierung in Berlin erledigt die Arbeit für sie.

Die AfD kann nur geschlagen werden, wenn sich die demokratischen Kräfte endlich um die Sorgen und Anliegen der Wähler kümmert. Die Politik hört sich gerne sprechen und verspricht viel und liefert sehr wenig. Mehr Liefern und weniger Laffern wäre angesagt
15034
Melden
Zum Kommentar
avatar
Gugus123
07.09.2024 10:40registriert Oktober 2023
Anstatt mit dem Finger auf die AfD zu zeigen, sollten die Parteien in der deutschen Regierung eventuell das machen, was die Bevölerung gem. Umfragen will. Sonst wächst es Rechts der Mitte. Relativ einfach....
19499
Melden
Zum Kommentar
avatar
mrmikech
07.09.2024 10:23registriert Juni 2016
"Mit den Nazis kann man die AfD nicht vergleichen. Dazu fehlen ihr die paramilitärischen Strukturen. Und die Welteroberungs-Gelüste."

Die Populisten sind Teil von Putins Welteroberungsplänen. Er macht es vor, und seine militärischen Strukturen haben bereits viele Schritte unternommen – die Ukraine ist nur eines von vielen Zielen. Wer ist als Nächstes dran? Die baltischen Staaten sehen das nicht so locker wie wir; sie kennen Putins Pläne gut. Man kann Putin – und damit auch die Populisten – durchaus mit den Nazis vergleichen. Alles Teil eines grösseren Plans...
15787
Melden
Zum Kommentar
300
    Sandoz macht vorwärts mit den Fett-Weg-Spritzen – und legt eine Trump-Zollrechnung vor
    Der Basler Generikariese produziert hauptsächlich in Europa. Dennoch fürchtet er die US-Zölle nicht. Viel verspricht sich Konzernchef Richard Saynor von seinen Kopien für Abnehmspritzen.

    «Ich bin Optimist», sagt Sandoz-Chef Richard Saynor über sich, und das kommt ihm in diesen struben Tagen zu Hilfe. Täglich treibt US-Präsident Donald Trump die Welt mit neuen Einfällen vor sich her. In der Pharmabranche sind es vor allem die angedrohten Zölle von 25 Prozent für europäische Arzneimittel, die Konzernchefs derzeit auf Trab halten.

    Zur Story