Mehrere Tage reiste eine Gruppe Schweizer Politiker durch Eritrea. Sie wollten sich ein persönliches Bild von der politischen Lage im afrikanischen Land machen. Denn aus Eritrea stammen die meisten Asylsuchenden in der Schweiz. Am Samstag bei ihrer Rückkehr sprach die Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli vor den Medien über die Reise: "Ich sah viel Positives - die Schweiz muss anders mit Eritrea umgehen."
Die Politikergruppe um Hochuli will nun Asylministerin Simonetta Sommaruga zum Gespräch treffen und über die Eindrücke berichten. Im Interview mit der «Nordwestschweiz» nimmt nun auch der Schweizer Toni Locher, Honorarkonsul Eritreas in der Schweiz, Stellung. Er hat die umstrittene Reise der Schweizer Politiker organisiert und geleitet.
Herr Locher, wir müssen Ihnen gratulieren: Sie haben die Reise eingefädelt, deretwegen die Politiker die eritreische Diktatur beschönigen – ganz so, wie Sie es sich wünschen.
Toni Locher: Es waren von der SP bis zur SVP praktisch alle Parteien auf der Reise vertreten, das freut mich tatsächlich. Ich habe das aber nicht eingefädelt. Am Ursprung steht die Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli, die im Herbst auf mich zugekommen ist. Ich war nur der Reiseleiter.
Sie haben das Reiseprogramm bestimmt. Wieso waren die eritreischen Gefängnisse nicht Teil davon?
Das wäre lächerlich. Es ist nicht die Aufgabe der Politiker, Gefängnisse zu besuchen. Beim Gefängnis Limmattal in Dietikon schaut auch kein ausländischer Politiker nach, was dort falsch läuft. Schauen Sie: Das internationale Recht hält ganz klar fest, welche Gremien befugt sind, um die Gefängnisse auf der Welt zu begutachten. Das ist einzig und allein der Menschenrechtsrat der UNO. Auf unserer Reise haben wir eine Delegation des Büros des Menschenrechtsrats getroffen, der Gefängnisse besucht hat.
Die Schweizer Politiker haben sich hingegen die schönen Seiten von Eritrea angesehen. Was bringt das?
Es wird immer wieder gefordert, dass die Schweiz mit Eritrea in einen Dialog tritt. Dafür sind Gespräche mit der eritreischen Regierung nötig. Solche Gespräche habe ich vermittelt. Das war gar nicht so einfach, ist mir aber gelungen. Zwischen den Gesprächen war die Schweizer Reisegruppe meistens alleine unterwegs. Ich fungierte keineswegs als Aufpasser, das wäre lächerlich.
Gespräche mit der Regierung sind sicher spannend. Aber sprechen Sie auch mit Eritreern, die vor dem Regime in die Schweiz geflüchtet sind?
Ich habe viel Kontakt mit jungen Eritreern in der Schweiz. Ich erlebe ihre Frustration. Alle Träume scheitern, die sie sich von Europa erhofft haben. Genau darum werden zunehmend Eritreer wieder in ihre Heimat zurückkehren, weil die Schweiz eben kein Paradies ist.
Dafür ist Eritrea ein Paradies?
Nein, es ist ein armes Land mit grossen wirtschaftlichen Problemen. Mit den Einkünften aus dem Bergbau wird sich das verbessern. Aber das Land unterliegt internationalen Sanktionen, weshalb kein Ausländer investieren will. Auch die Bedrohungslage ist noch real.
Welche Bedrohung meinen Sie?
Die Opposition führt Anschläge durch. Und Äthiopien akzeptiert die Unabhängigkeit Eritreas immer noch nicht.
Sie skizzieren die Bedrohung von aussen. Für das Asylwesen zählt aber die Bedrohung durch Folter und Zwangsrekrutierung.
Das ist lächerlich. Wir Schweizer werden auch zwangsrekrutiert, wenn wir ins Militär müssen. Der sogenannte Nationaldienst steckt zudem im Umbruch: Der tiefste Sold wurde von 500 auf 2000 Nakfa erhöht (115 statt 29 Franken). Die Regierung hat begriffen, dass die Jungen sonst abhauen.
Ein Bericht des Bundes sieht die Lage in Eritrea ganz anders als Sie.
Den Bericht habe ich mir angeschaut. 90 Prozent der Quellen sind oppositionsnah, das ist doch nicht unabhängig.
Sie selber sind auch nicht unabhängig. Trotzdem: Was sagen Sie zur Menschenrechtslage in Eritrea?
Es gibt Probleme, so wie in allen afrikanischen Ländern. Auch die Schweiz verletzt die Menschenrechte, man schaue sich nur mal unseren ökologischen Fussabdruck an. An der Dürre in Eritrea sind wir mitschuldig. Bei den sozialen Menschenrechten ist Eritrea vorbildlich: Von allen Ländern am Horn von Afrika hat Eritrea die höchste Lebenserwartung.
Würden Sie eritreische Asylbewerber guten Gewissens zurückschicken?
Ich würde niemanden zurückschicken. Diese jungen Männer machen auf dem Weg nach Europa Schlimmes durch. 2005 hat die Schweiz mit dem Entscheid der Asylrekurskommission die Türe für Eritreer weit aufgemacht. Wer seine Türe weit aufmacht, soll seine Gäste anständig behandeln. Eritrea nimmt seine Leute aber gerne zurück, wenn sie freiwillig kommen. Aus Israel sind seit 2014 über tausend Eritreer zurückgekehrt, da Israel eine heftige Abschreckungspolitik fährt.
Wieso vertreten Sie Eritrea als Honorarkonsul in der Schweiz?
Eritrea kann sich keine Lobbyisten leisten, darum übernehme ich diese Arbeit. Ich unterstütze die Regierung, weil sie gute Arbeit leistet. Bricht diese Regierung zusammen, hätten wir einen weiteren «failed state» wie Somalia. So würden noch mehr Eritreer flüchten.
Würden Sie am liebsten gleich selber mit Frau Sommaruga sprechen?
Ich schätze die menschliche Haltung der Bundesrätin sehr. Jetzt ist es wichtig, dass das von der Parlamentariergruppe gewünschte Gespräch mit der Bundesrätin bald stattfindet. Selber will ich mich nicht in der Politik exponieren, ich bin in erster Linie Frauenarzt.