Noch ist nicht klar, wann Artem Rybchenko, ukrainischer Botschafter in Bern, mit seiner Familie nach Kiew zurückreist. «Zurzeit laufen die bürokratischen Verfahren», sagt er. «Das Aussenministerium der Ukraine wird diesen Entscheid treffen.»
Dass er geht, ist definitiv. Präsident Wolodimir Selenskyj hat ihn abberufen. Vielleicht wird er noch das WEF in Davos besuchen. «Wir haben mit den Vorbereitungen bereits begonnen», sagt er. «Es ist eine wichtige Plattform für die Ukraine. Wir danken der Schweiz für diese Gelegenheit.»
Rybchenko war ab Juni 2018 Botschafter in der Schweiz. «Ich habe vor, im diplomatischen Dienst zu bleiben», sagt er. «Ziel ist es, die Ukraine zu schützen und wieder aufzubauen.» Er würde gerne fortsetzen, was er mit der Wiederaufbaukonferenz in Lugano begonnen habe.
Der 39-Jährige war beliebt. Er trat ganz anders auf als Andrij Melnyk, abberufener ukrainischer Botschafter in Deutschland. Dieser hatte die Politlandschaft mit scharfen Forderungen aufgemischt. In Bern schätzte man den konsensuellen Rybchenko umso mehr.
«Ich attestiere ihm einen enormen Einsatz und Topleistungen», sagt EVP-Nationalrat Nik Gugger. «Er fand immer die richtige Balance, um die Schweiz für sein Land zu sensibilisieren.» Gugger betont, dass die 100 Millionen Franken, die der Bundesrat als Winterhilfe für die Ukraine gesprochen hat, mitunter auch ein Verdienst Rybchenkos seien.
Dieser sei «Tag und Nacht unterwegs» gewesen, sagt Andrej Lushnycky, Präsident des Ukrainischen Vereins Schweiz und Honorarkonsul der Ukraine für die Romandie. «Er war sehr nahe bei den Leuten und sehr präsent.»
Allem Lob zum Trotz: Präsident Selenskyj will die Gangart in der Schweiz verschärfen, wie Recherchen zeigen. Er wird demnächst die ehemalige Generalstaatsanwältin Irina Wenediktowa zur Botschafterin in der Schweiz ernennen. Sie sei, sagt Lushnycky, «keine Diplomatin mit klassischer Karriere». Es handle sich um eine «politische Ernennung».
Wenediktowa besitzt grosses Know-how im Bereich Korruption und Kriegsverbrechen. So sammelte sie minutiös Beweise gegen Wladimir Putin, gegen Regierungsvertreter und Militärkommandanten – wegen der Zerstörung ukrainischer Städte und der Tötung von Zivilisten. Als ehemalige Rechtsprofessorin an der Universität von Charkiw ist sie zudem juristisch versiert.
Sie gilt als enge Vertraute von Selenskyj, auch wenn er sie als Generalstaatsanwältin absetzte. 2018 war sie erst Rechtsberaterin von Selenskyj und dann Mitglied seiner Wahlkampfzentrale für das Präsidentenamt. 2020 schlug Selenskyj Wenediktowa dem Parlament als Generalstaatsanwältin vor.
Der ukrainische Rechtswissenschafter Artem Samorodov, seit Ende Februar in der Schweiz, kennt Wenediktowa persönlich. Beide stammen aus Charkiw, beide haben sich immer wieder getroffen bei wissenschaftlichen und akademischen Zusammenkünften.
Samorodov ist öffentlich wenig bekannt in der Schweiz. Es war das ukrainische Parlament, das ihn am zweiten Kriegstag in den Westen entsandte, wie er sagt. «Ich muss Hilfe für das ukrainische Volk organisieren.» Er wählte dafür die Schweiz aus, weil sie «ein sehr wichtiges Land mit internationaler Ausrichtung» sei.
Samorodov ist Leiter der Beratergruppen des ukrainischen Parlaments und dessen Bevollmächtigter in der Schweiz. Man sagt ihm einen sehr engen Draht zu Ruslan Stefantschuk nach, dem ukrainischen Parlamentspräsidenten. Verbindungen hat er auch ins Büro von Präsident Selenskyj.
Samorodov lobt Rybchenko als «guten Botschafter mit viel Erfahrung». Sein Rücktritt habe ihn überrascht. Gleichzeitig hält er fest, im Krieg seien neue Qualifikationen gefragt: «Präsident Selenskyj hat andere Erwartungen an die neue Botschafterin.»
Was ist Wenediktowas Aufgabe? «Sie soll über ihr internationales Netzwerk gegen Oligarchen und Kriegsverbrecher vorgehen», sagt er. «Sie muss dafür sorgen, dass die Schweiz die Sanktionen gegen russische und ukrainische Oligarchen verschärft und deren Gelder einfriert.»
Ähnliches hatte Selenskyj bei seinem virtuellen Auftritt an der Universität Zürich gesagt: Er würde sich freuen, wenn die Schweiz «die russischen Vermögen blockieren würde». Organisiert wurde der Auftritt von Samorodov, mit Botschafter Rybchenko.
Auch der Botschafter betont, Selenskyj habe gegenüber Präsident Ignazio Cassis klar formuliert, die russischen Oligarchen müssten an den Wiederaufbau der Ukraine zahlen. Dafür brauche es in der Schweiz aber einen rechtlichen Mechanismus, sagt Rybchenko.
Im Moment benötige die Ukraine vor allem «möglichst viele Generatoren, um im Winter Energie für die Zivilbevölkerung produzieren zu können», sagt er. Für Lushnycky liegt das zentrale Problem hingegen bei den Schweizer Unternehmen, die noch immer in Russland tätig sind. «Sie bezahlen dort Steuern und liefern Material nach Russland.»
Die ukrainische Gemeinschaft hat damit begonnen, sich in der Schweiz besser zu vernetzen. Sie will in Zürich, Zug, Luzern, Basel, Lugano und Genf eigene Zentren eröffnen. «Daran arbeiten wir jetzt», sagt Samorodov. Integration und bilaterale Beziehungen sollen verstärkt werden.
Auf dem Botschafterposten gebe es nun eine Art «Vakuum», sagt Samorodov. Wenediktowa sei in der Ukraine noch nicht offiziell zur Botschafterin ernannt worden. Und Rybchenko sei zwar nach ukrainischem Recht nicht mehr Botschafter, erfülle aber all seine Aufgaben nach wie vor. Spätestens Ende Januar sollte dieses Problem gelöst sein. (cpf/aargauerzeitung.ch)