Es klingt verrückt – und selbst für die Wirtschaftsverbände war es eine überraschende Entdeckung: Arbeiten Grenzgänger aus Frankreich künftig im Homeoffice, macht sich ihr Schweizer Arbeitgeber unter Umständen strafbar.
Dazu muss man wissen: Während der Pandemie hat sich die Schweiz mit den Nachbarländern darauf geeinigt, bei den Grenzgängerinnen und Grenzgängern gewisse Regeln auszusetzen, damit sich trotz Homeoffice bezüglich Sozialversicherungen und Steuern nichts ändert. Diese Spezialregeln gelten teils bis Ende März, teils bis Ende Juni – oder unbestimmt. Wann sie aufgehoben werden, lässt sich laut Bund noch nicht mit Gewissheit sagen. Danach folgt die Rückkehr zum alten Regime – nichts Aussergewöhnliches, könnte man meinen.
Doch: Als Westschweizer Verbände letzten Sommer einen Leitfaden zum Thema Homeoffice und Grenzgänger erarbeiten wollten, stiessen sie auf das Problem mit den Frontaliers. «Das war auch für die Experten eine böse Überraschung», sagt Marco Taddei, Ressortleiter Internationales beim Arbeitgeberverband. Frankreich hatte 2019 das Steuergesetz geändert, was damals hierzulande keine Wellen schlug. Danach kam die Coronakrise – und die Homeoffice-Spezialregeln. Wenn diese auslaufen, kommt das neue Steuergesetz zum Tragen.
In gewissen Kantonen ist Homeoffice dann grundsätzlich ein Problem, weil sie keinem internationalen Abkommen mit Frankreich angeschlossen sind. Das trifft ausgerechnet Genf, wo über 92'000 Frontaliers arbeiten. Für einen Genfer Arbeitgeber heisst das konkret: Lässt er einen französischen Grenzgänger im Homeoffice arbeiten, müsste er laut französischem Gesetz einen Fiskalvertreter in Frankreich ernennen, also einen Steuervertreter.
Nur: Tut er das, verstösst er gegen Schweizer Gesetz. Die Ernennung eines Fiskalvertreters gelte als «verbotene Handlungen für einen fremden Staat», sagt Taddei. Anders gesagt: Entweder wird das französische oder das Schweizer Recht verletzt.
Dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) ist das Problem bekannt. «Es finden Gespräche mit Frankreich statt», so Sprecher Mario Tuor. «Deren Ausgang ist jedoch weiterhin offen.» Betroffen sei neben Genf und Freiburg vor allem der Aargau, erklärt das SIF. Dort arbeiten knapp 2300 Grenzgänger aus Frankreich.
In anderen Kantonen wie etwa Basel-Stadt, das deutlich mehr Frontaliers zählt, gibt es dank einer Vereinbarung mit Frankreich einen gewissen Spielraum, wie aus dem Leitfaden zum Thema hervorgeht, den der Arbeitgeberverband im Januar publiziert hat: Maximal 20 Prozent Homeoffice sind möglich, bei einem Vollzeitpensum also ein Tag pro Woche. Über dieser Grenze wäre laut Taddei ebenfalls die Einsetzung eines Fiskalvertreters nötig.
Deutschschweizer Verbände rufen mit Verweis auf den Leitfaden nun zur Zurückhaltung auf. Der Arbeitgeberverband Basel beispielsweise rät, bei Frontaliers aus Frankreich «äusserste Vorsicht» walten zu lassen und Homeoffice auf höchstens 20 Prozent zu beschränken.
Das Problem bei den Frontaliers ist indes nur die Spitze des Eisbergs. Auch bei Grenzgängern beispielsweise aus Deutschland oder Österreich ist die Arbeit von zuhause aus ab einer gewissen Grenze heikel. «Wir empfehlen, Homeoffice bei Grenzgängern auf höchstens 20 Prozent zu beschränken», sagt Juristin Daniela Beck vom Arbeitgeberverband Basel. Derzeit sei diese Beschränkung wegen der Corona-Sonderregelung nicht nötig.
Voraussichtlich ab Juli gilt aber wieder: Ab 25 Prozent Homeoffice müssen Grenzgänger ihre Sozialabgaben nicht mehr in der Schweiz, sondern im Land ihres Wohnsitzes erbringen müssen. Sozialversicherungen wie die Altersvorsorge oder Unfallversicherung laufen dann nicht mehr über die Schweiz, sondern beispielsweise bei deutschen Grenzgängern über Deutschland. Arbeitnehmende merken das unter Umständen im Portemonnaie, da es für sie beispielsweise höhere Abzüge oder Einbussen in der Altersvorsorge bedeutet.
Diese Regel galt zwar schon vor der Pandemie – nur ist Homeoffice inzwischen Homeoffice viel stärker verbreitet und der eine oder andere Angestellte hat Gefallen daran gefunden. Das zeigt sich beispielhaft beim Pharmaunternehmen Novartis. Dieser teilt auf Anfrage mit: «Die meisten Mitarbeitenden wünschen sich in Zukunft ein Modell, bei dem sie zwei bis drei Tage im Büro und zwei bis drei Tage pro Woche ausserhalb des Büros arbeiten können.»
Eine Quote dazu plane Novartis nicht. «Unsere Mitarbeitenden definieren die für sie beziehungsweise ihr Team besten Arbeitsweisen», erklärt eine Sprecherin. Dabei gelte es, die rechtlichen Bedingungen einzuhalten.
Was klingt denn daran verrückt? Wie fände es denn die Schweiz, wenn auf einmal tausende Leute im Land arbeiteten, die ihre Sozialabgaben ganz woanders (oder gar nicht) entrichteten?