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Menschen aus dem Reagenzglas – der Ethiker ordnet ein

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Wettstreit um den ersten Menschen aus dem Labor – jetzt spricht der Ethiker

Zwei Forschungsgruppen ist es praktisch gleichzeitig gelungen, menschliche Embryonen im Labor herzustellen. Das ist ein Durchbruch für die Erforschung des Lebens. Aber macht sich der Mensch damit nicht auch zum Schöpfer? Ethiker Markus Zimmermann ordnet ein.
05.07.2023, 06:0705.07.2023, 06:07
Stephanie Schnydrig / ch media
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Ein Embryo im Mutterleib, Symbolbild.
Ein Embryo im Mutterleib (Symbolbild).Bild: Shutterstock

Ei + Spermium = Embryo. So lautet das unumstössliche Gesetz der Fortpflanzung. Wenn ein Spermium des Mannes in die Eizelle der Frau eindringt, verschmelzen deren Zellkerne und neues Leben entsteht. Zwei aufsehenerregende Arbeiten rütteln nun an dieser Regel.

Mitte Juni verkündete die polnisch-britische Entwicklungsbiologin Magdalena Żernicka-Goetz, im Labor künstliche Embryonen erschaffen zu haben - ohne Eizelle, ohne Spermium, sondern aus umprogrammierten menschlichen Stammzellen. Ihre Sensation stellte sie an der Jahrestagung der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung in Boston vor. Nur einen Tag später zog das konkurrierende Forschungsteam um den Stammzellenbiologen Jacob Hanna vom israelischen Weizmann-Institut nach und veröffentlichte ein Papier, wonach ihm dasselbe gelungen sei.

Aus einer Hautzelle wird ein Lebewesen

Für die Erschaffung des künstlichen Embryos griffen beide Teams auf sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen zurück, kurz iPS. Diese gehen auf eine Entdeckung des Japaners Shinya Yamanaka zurück, der dafür 2012 gemeinsam mit dem Briten John Gurdon mit dem Medizinnobelpreis geehrt wurde. Der Stammzellen-Pionier fand heraus, dass sich alle Körperzellen, zum Beispiel eine Hautzelle, zurückprogrammieren lassen. Also in eine Zelle, die nicht spezialisiert ist und sich in jede beliebige Zelle entwickeln kann - in Herzmuskelzellen, Blutzellen, Leberzellen und so weiter.

Der grosse Fortschritt von Żernicka-Goetz und Hanna liegt darin, dass es ihnen gelang, einen iPS-Zellhaufen so zu behandeln, dass er sich zu einer embryoähnlichen Struktur zusammenfügte. Diese wies die entscheidenden drei Zelltypen auf, welche sich gegenseitig mechanische und chemische Signale zuschicken, die dem Embryo sagen, wie er sich richtig entwickeln soll.

Die Forschungsgruppen kultivierten die synthetischen Embryonen bis zu dem Entwicklungsstadium, das einem natürlichen Embryo etwa Tag 14 nach Befruchtung entspricht. Ob sie das Experiment danach aus ethischen Überlegungen abbrachen oder ob es einfach nicht länger funktionierte, weiss man nicht.

Die Entwicklungsbiologin Magdalena Żernicka-Goetz, die sowohl an der Universität Cambridge als auch am California Institute of Technology tätig ist, twitterte jedenfalls: «In unserer Forschung geht es nicht darum, leben zu kreieren, sondern Leben zu retten.»

Solche Experimente hätten das Potenzial, die «Black Box» der zweiten Woche nach Befruchtung zu öffnen, heisst es in ihrer Arbeit, die mittlerweile als Vorveröffentlichung bei «Nature» vorliegt. Die zweite Woche ist die Phase, in der sich die befruchtete Eizelle in die Gebärmutter einnistet. Aber auch genau die Phase, an der viele Schwangerschaften verloren gehen. So erhoffen sich die Forschenden, mehr über die Ursachen von Fehlgeburten zu erfahren sowie über Unfruchtbarkeit und Geburtsfehler.

Markus Zimmermann ist Theologe, lehrt an der Universität Freiburg und ist Vizepräsident der Nationalen Ethikkommission für den Bereich der Humanmedizin (NEK). Zu den Fortschritten in der Embryonenforschung hat er ein ambivalentes Verhältnis: Zum einen sei es faszinierend, was da gerade passiere. Zum anderen aber ethisch ein höchst heikles Feld.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von den Forschungsarbeiten gehört haben?

Zunächst war es für mich keine wirkliche Überraschung. Denn künstliche Embryonen herzustellen, ist im Tierversuch schon mehrfach gelungen. Insofern war es nur eine Frage der Zeit, bis dies auch mit humanen Embryonen funktioniert. Dann aber wurde es mir mulmig.

Markus Zimmermann, Theologe und Ethiker.
Markus Zimmermann, Theologe und Ethiker.Bild: zvg

Wieso?

Diese Forschung ist wichtig, keine Frage. Wie die Genom-Editierung oder auch die Präimplantationsdiagnostik verfolgt sie das hehre Ziel, menschliches Leiden zu reduzieren. Aber wenn es so läuft, dass zwischen dem britischen und dem israelischen Team ein Wettstreit ausbricht, wer als Pionier gilt und vielleicht einmal Anspruch auf den Nobelpreis haben wird, dann wird es problematisch. Die Frage, ob es auch sinnvolle Forschung ist, die in die richtige Richtung geht, gerät dann schnell einmal völlig in den Hintergrund.

Wie beurteilen Sie die Forschung denn aus ethischer Perspektive, ist sie sinnvoll?

Wenn Erkenntnisse geschaffen werden, die einen therapeutischen Nutzen haben und Leiden verhindern, dann ist das ja erst einmal zu begrüssen. Das Problem der Embryonenforschung aus ethischer Sicht besteht allerdings darin, dass wir Risiken und Nutzen nicht einfach gegeneinander aufwiegen können, weil es hier um menschliches Leben und damit um die Wahrung der Menschenwürde geht. Eine Instrumentalisierung menschlichen Lebens zugunsten der Leidenslinderung wäre aus ethischer Sicht hoch problematisch. Wir können nicht einfach sagen, die Schaffung, Forschung und anschliessende Vernichtung der Embryonen sei gerechtfertigt, weil dadurch anderen Menschen geholfen werden kann.

Ist die Forschung überhaupt legal?

In der Schweiz ist die Forschung an menschlichen Embryonen nicht erlaubt. Hier handelt es sich aber um synthetische Embryonen. Die Forschung mit diesen ist in der Schweiz rechtlich nicht erfasst, meines Wissens auch sonst nirgends auf der Welt. Sie ist schlicht nicht geregelt. Das Problem ist, dass niemand mit Sicherheit sagen kann, um welche Entitäten es sich bei den Embryoiden genau handelt. Ausserdem macht die Forschung schneller Fortschritte, als die Rechtssetzung mithalten könnte. Die einzigen Hürden derzeit bestehen darin, was in den Richtlinien der internationalen Gesellschaft für Stammzellbiologie von den Forschenden selbst festgehalten wird: Demnach ist beispielsweise ein Transfer eines synthetischen Embryos oder auch anderer Embryomodelle in die Gebärmutter einer Empfängerin verboten.

In Ländern, in denen die Forschung an menschlichen Embryonen erlaubt ist, gilt für natürliche Embryonen die Regel, dass diese nicht länger als 14 Tage kultiviert werden dürfen. Sollte dies auch für künstliche Embryonen gelten?

Ob menschliche und synthetische Embryonen den gleichen Schutz verdienen, ist eine offene Frage, für die wir momentan keinerlei Entscheidungsgrundlage haben. Für den angemessenen Umgang mit «normalen» Embryonen bestehen unterschiedliche kulturelle, häufig religiös überlieferte Vorstellungen. Beispielsweise sagt die katholische Kirche, dass ein Embryo ab dem ersten Tag nach der Befruchtung eine Seele haben könnte und daher aus Vorsicht vollumfänglich zu schützen sei. Auf die Frage nach dem angemessenen Umgang mit synthetischen Embryonen weiss sie aber auch noch keine Antwort. Derweil passte die internationale Gesellschaft für Stammzellbiologie ihre Leitlinien vor zwei Jahren an, sodass aus menschlichen Stammzellen hergestellte Embryonen künftig länger als 14 Tage beforscht werden dürfen. Die 14-Tage-Regel wurde also von den Forschenden selbst gekippt - ohne dass es eine Instanz gäbe, die das in Frage gestellt hätte. Das ist aus ethischer Sicht nicht befriedigend.

Also darf zukünftig bis zum Baby geforscht werden?

Das ist gegenwärtig noch unrealistisch. Aber wenn das auch momentan technisch noch nicht möglich ist, könnte sich das ändern. Es gibt erste Versuche im Tiermodell, Embryonen in einem künstlichen Uterus zu entwickeln. Das wird dann sicher auch irgendwann für Menschen möglich werden, es würde mich jedenfalls nicht überraschen. Ob das auch sinnvoll ist, ist eine andere Frage.

Das klingt gruselig. Möchten Sie so etwas als Ethiker und Theologe nicht unterbinden?

Das Problem bei dieser Forschung ist, dass die ethischen Richtlinien eigentlich nur von den Wissenschafterinnen und Wissenschaftern selbst formuliert werden. Sie sind dem nationalstaatlich ausgerichteten Recht und den Ethikkommissionen sozusagen immer einen Schritt voraus. Das Wichtigste in unserer Arbeit ist deshalb, Vertrauen zu den Expertinnen, Experten und Fachgesellschaften aufzubauen, sodass wir über den aktuellen Forschungsstand Bescheid wissen. Auch wir in der Nationalen Ethikkommission sind derzeit damit beschäftigt, mit Forschenden in Kontakt zu treten. Das Ziel wäre, eine sinnvolle ethische Stellungnahme zur Embryonen-Forschung zu erarbeiten, die auf der tatsächlich durchgeführten Forschung und ihren Zielen basiert. (aargauerzeitung.ch)

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13 Kommentare
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Statler
05.07.2023 08:49registriert März 2014
Das Problem ist wohl, dass - egal welche Richtlinien irgendwelche Ethikräte herausgeben - es immer irgendwen geben wird, der das Mögliche auch in die Realität umsetzt.
Die Büchse der Pandora lässt sich danach nicht so einfach wieder schliessen. Denn wer über genügend Mittel verfügt und einen Vorteil darin sieht, künstliche Menschen zu züchten, der wird das auch machen.
So faszinierend das Ganze ist, es graut mir davor…
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