Drei Männer sitzen gekrümmt auf dem Ruderblatt eines riesigen Tankers. Ihre Beine baumeln einen halben Meter über dem Wasser. Über ihnen baut sich ein gigantischer Stahlkoloss auf. Stimmt ihre Geschichte, dann grenzt es an ein Wunder, dass sie noch am Leben sind.
Am 17. November 2022 verliess der Öltanker Alithini II, ein 183 Meter langes Schiff, das 2008 gebaut wurde und unter maltesischer Flagge fährt, Lagos, die grösste Stadt Nigerias. Der Tanker stach in den Golf von Guinea, umschiffte Westafrika, erreichte den Atlantischen Ozean und ankerte schliesslich auf der spanischen Ferieninsel Gran Canaria. Elf Tage dauerte die Reise – mit den drei blinden Passagieren auf dem Ruderblatt.
Die drei Männer wurden am Montagnachmittag im Hafen von Las Palmas von der spanischen Küstenwache auf dem Ruderblatt entdeckt und aufgegriffen.
Festgeklammert am Ruder des Tankers waren die Männer schwankenden Temperaturen, rauem Seegang und einer ungewissen Zukunft ausgesetzt. Ein heftiger Wellengang oder eine unachtsame Bewegung hätten zum sicheren Tod im Ozean geführt. Platz zum Hinlegen blieb den Männern auf dem kleinen Ruderblatt kaum. Ob hinter dem Ruderblatt ein Innenraum für die Männer zugänglich war, ist unklar.
Die Männer sollen aus Ländern südlich der Sahara stammen, wie die spanische Küstenwache weiter mitteilte. Wie sie auf das Ruderblatt gelangt sind, ist unklar. Ein Kapitän sagte zur spanischen Zeitung «El País», es sei gar nicht so schwierig, auf ein Ruderblatt zu gelangen. Wohl wegen der Nachahmungsgefahr geht der Experte nicht genauer darauf ein.
Doch für die Schiffscrew sind blinde Passagiere eine heikle Angelegenheit: «Es bedeutet mehr Arbeit für die Mitarbeiter, die manchmal ihre Kabinen verlieren, um sie isolieren zu können. All dies führt zu Spannungen», so der Kapitän. Deshalb hätten Kapitäne und Crews «äusserste Vorsichtsmassnahmen» getroffen und überprüften das Schiff oft gründlich, bevor sie ins offene Meer stechen.
Sollte die Crew während der Fahrt blinde Passagiere an Bord entdecken, so übernimmt der Kapitän die Verantwortung für Menschen, die in ein anderes Land zu emigrieren versuchen. Der Kapitän müsste sich dann auch um die Rückführung kümmern.
Als die Männer die spanische Insel erreichten, seien sie unterkühlt und «mässig» dehydriert ins Krankenhaus gebracht worden. Wie sie sich während dieser elf Tage ernährten, ist eine weitere offene Frage.
Klar ist: Die drei Männer sind nicht die Ersten, welche die riskante Überfahrt wagten. 2020 ereignete sich dieselbe unfassbare Geschichte: Drei Männer, darunter ein 14-jähriger nigerianischer Junge, überlebten eine zweiwöchige Fahrt auf dem Ruderblatt eines Tankers. Auch diese Reise begann in Lagos.
Der 183 Meter lange Tanker soll beladen mit 50'000 Tonnen Treibstoff – und drei blinden Passagieren – nach Gran Canaria gefahren sein. Die spanische Zeitung El Pais sprach später mit dem Jungen, der die Überfahrt knapp überlebt haben soll:
Von Nigeria nach Gran Canaria sollen im vergangenen Jahr laut Angaben des Roten Kreuzes mehr als 20'000 Migrantinnen und Migranten geflüchtet sein. Mehr als 1100 Menschen sollen auf offener See umgekommen sein. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher liegen, denn genauso wie diese sechs Überlebenskämpfer bleiben wohl viele bei illegalen Überfahrten unbemerkt.
Der Migrationsberater Txema Santana ist sich sicher:
(cst)