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Wie Anatolij Timoschtschuk in der Ukraine zur Persona non grata wurde

Bildnummer: 13724011 Datum: 01.06.2013 Copyright: imago/Camera 4
Fussball Berlin 01.06.2013 DFB-Pokalfinale 2013 FC Bayern München - VFB Stuttgart 3:2 FC Bayern München ist Deutscher Pokalsieger 2013  ...
Anatolij Timoschtschuk (rechts von Shaqiri) nach dem DFB-Pokalsieg 2013. imago

Wie ein Ex-Bayern-Star vom Nationalheld zum «Landesverräter» wurde

Mit dem FC Bayern holte Anatolij Timoschtschuk das Triple, später ging er als Trainer nach Russland. In seiner Heimat ist der ukrainische Rekordnationalspieler inzwischen unerwünscht.
12.06.2023, 04:4212.06.2023, 06:49
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Ein Artikel von
t-online

Erst Held, jetzt Verräter. Anatolij Timoschtschuk war eines der Aushängeschilder des ukrainischen Fussballs. Als Spieler von Schachtjar Donzek, Zenit St. Petersburg oder Bayern München sammelte er national und international viele Titel. Wurde mit den Bayern sogar Champions-League-Sieger 2013. Und er führte die ukrainische Nationalmannschaft 2012 bei der Europameisterschaft im eigenen Land als Kapitän aufs Feld. Mit 144 Länderspielen ist Timoschtschuk alleiniger Rekordhalter seines Landes.

Doch das hat ihm inzwischen alle Ehren aberkannt. Die Ukraine hat den 44-Jährigen regelrecht verstossen. Bereits im vergangenen Jahr wurde der ehemalige Mittelfeldspieler zudem mit einer lebenslangen Sperre für sämtliche Tätigkeiten im ukrainischen Fussball auferlegt. Seitdem ist der einstige Fussball-Nationalheld Timoschtschuk Persona non grata, ein Aussätziger.

Das bestätigte nun auch der ehemalige Box-Weltmeister Wladimir Klitschko. «Es ist richtig, dass ihm alle Titel aberkannt wurden», sagte er der «Bild»-Zeitung. Grund für die Degradierung ist Timoschtschuks dröhnendes Schweigen. So distanzierte er sich bis heute nicht eindeutig vom russischen Überfall auf sein Heimatland. Im Gegensatz zu ukrainischen Kollegen, die bei Beginn der völkerrechtswidrigen Invasion durch Wladimir Putin der russischen Premjer Liga den Rücken kehrten, blieb Timoschtschuk seinem Klub treu.

Seit 2016 arbeitet er als Co-Trainer beim russischen Erstligisten Zenit St. Petersburg, gewann gleich im ersten Jahr als Coach den nationalen Pokalwettbewerb und den russischen Supercup. «Ich kann nicht verstehen, wie man angesichts dieses Grauens und des barbarischen Angriffskriegs einfach still sein kann und in Russland lebt und arbeitet», sagte Klitschko. Dessen Bruder Vitali Klitschko, 51, erlebt als Bürgermeister von Kiew seit mehr als fünfzehn Monaten den Terror und das Grauen, das der Kreml mit seinen regelmässigen Bombenangriffen auf die Stadt hervorruft.

«Timoschtschuk hat sich dafür entschieden, einen Kriegsverbrecher zu unterstützen, der Hunderttausende russische Soldaten einsetzt und die Ukraine auslöschen will», so der 47-jährige Wladimir Klitschko zu «Bild». Der ukrainische Fussballverband (UAF) begründete die lebenslange Sperre für Timoschtschuk damit, dieser habe eine «bewusste Entscheidung getroffen», die den ethischen Kodex des ukrainischen Fussballs verletzte und dem Ansehen des Verbands schade.

«In einer Zeit, in der andere Vereine, wie etwa der FC Bayern München ihre Solidarität mit der Ukraine und dem ukrainischen Fussball bekunden, hat Anatolij Timoschtschuk sich entschieden zu schweigen und weiterhin mit einem Klub des Aggressors zusammenzuarbeiten», hiess es in einem Statement, das die UAF bereits im vergangenen Jahr veröffentlichte.

Der ukrainische Fussballer Andrij Jarmolenko, der eine Saison bei Borussia Dortmund in der Bundesliga aktiv war, drückte seine Abneigung gegenüber dem ehemaligen Kollegen dagegen etwas weniger diplomatisch aus. «Er soll sich verpissen», sagte Jarmolenko der britischen «Daily Mail».

Verwendete Quellen:

  • dailymail.co.uk: 'I told him to f*** off': West Ham star Andriy Yarmolenko reveals bust-up with former Ukraine team-mate and close friend Anatoliy Tymoshchuk (englisch)
  • bild.de: Alle Ehrungen aberkannt: Klitschko-Wut auf Ex-Bayern-Star

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(t-online, cc)

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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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cheko
12.06.2023 07:23registriert Dezember 2015
Timoschtschuk ist mit St Petersburg stark verwurzelt. Er hat dort sehr viele Jahre verbracht und einiges erreicht mit dem Club. Nichts­des­to­trotz sollte er sich klar von dem Regime distanzieren. Offenbar ist ihm seine Fussballerisches zuhause wichtiger als seine Heimat...
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Rumpelstilz
12.06.2023 10:47registriert Mai 2014
Da ging der moralische Kompass offensichtlich komplett verloren. Ich meine: irgendwo hat er ja vermutlich noch Familie in seiner Heimat. Spätestens da würde ich mir ernsthafte Sorgen um deren Wohlergehen machen...
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hgehjvkoohgfdthj
12.06.2023 08:32registriert März 2020
Timoschtschuk spekuliert auf eine Niederlage der Ukraine bzw. auf den Sieg Russlands. Für ihn wäre das ideal.
Aber mit Kollaborateuren, die sich verspekulieren, hat niemand Mitleid, weder in Russland noch in der Ukraine. Zum Glück hat er ja Geld und kann noch nach Dubai.
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