Die USA und deren Verbündete haben mit Luftschlägen gegen Ziele in Syrien nach eigener Aussage Vergeltung für einen Giftgasangriff syrischer Truppen geübt. Nun stehen die Zeichen zwischen dem Westen und Russland auf Konfrontation.
Aus Vergeltung für den mutmasslichen Giftgaseinsatz in der syrischen Stadt Duma eine Woche zuvor hatten die USA, Frankreich und Grossbritannien in der Nacht zum Samstag mehr als 100 Geschosse auf drei Ziele abgefeuert. Im Visier waren offenbar zwei Ziele bei Homs und eines in der Hauptstadt Damaskus. Der Einsatz richtete sich demnach gegen die Infrastruktur der chemischen Waffenproduktion im Land.
Die USA, Frankreich und Grossbritannien haben mehrere Ziele in Syrien angegriffen. Nachfolgend die bestätigten Orte, die die Westmächte ins Visier genommen haben:
Mehr als hundert Marschflugkörper und Luft-Boden-Raketen seien «vom Meer und aus der Luft auf syrische militärische und zivile Ziele» geschossen worden, zitierte die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti am Samstag eine Erklärung des Verteidigungsministeriums in Moskau. Eine «bedeutende Zahl» dieser Raketen sei von der syrischen Luftabwehr abgeschossen worden.
Aus syrischen Armeekreisen hiess es, es seien Dutzende Abwehrraketen abgefeuert worden – unter anderem vom Militärflughafen Al-Schairat. Diesen hatten die USA vor rund einem Jahr nach dem Giftgaseinsatz in der Stadt Chan Scheichun bereits angegriffen.
US-Generalstabschef Dunford sagte, auf «die russischen Sorgen» sei bei der Auswahl der Angriffsziele eingegangen worden, um «das Risiko einer Verwicklung russischer Truppen abzumildern». An den Militärschlägen waren Schiffe und Flugzeuge der Alliierten beteiligt.
Nach russischen Angaben gab es keine Tote, einige Menschen seien leicht verletzt worden. Ein Grossteil der Geschosse wurde demnach abgefangen.
US-Präsident Donald Trump sagte in Washington, die Angriffe seien die Antwort auf den Einsatz chemischer Waffen durch die syrische Regierung unter Präsident Baschar al-Assad gegen das eigene Volk. «Dies sind nicht die Taten eines Menschen. Es sind die Verbrechen eines Monsters», befand Trump.
Über den Kurznachrichtendienst Twitter bedankte sich Trump bei Frankreich und Grossbritannien. «Wir hätten kein besseres Ergebnis haben können. Mission erfüllt!»
A perfectly executed strike last night. Thank you to France and the United Kingdom for their wisdom and the power of their fine Military. Could not have had a better result. Mission Accomplished!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) April 14, 2018
Neben den USA nahmen auch Grossbritannien und Frankreich an den Militärschlägen teil.
Die beteiligten Länder bemühten sich, dem Militärschlag als einmalige Aktion darzustellen – vorausgesetzt, es gäbe keine weiteren Chemiewaffeneinsätze. US-Verteidigungsminister James Mattis sagte, weitere Schläge seien nicht geplant.
Frankreichs Aussenminister Jean-Yves Le Drian drohte für den Fall eines neuen Einsatzes von Chemiewaffen eine weitere Intervention an. Er fügte hinzu: «Aber ich denke, dass die Lektion verstanden wird.»
Die britische Premierministerin Theresa May bezeichnete das Vorgehen des Westens als alternativlos – und sprach zugleich von einer Warnung an Russland. «Wir können nicht erlauben, dass der Gebrauch chemischer Waffen normal wird: innerhalb Syriens, auf den Strassen Grossbritanniens oder irgendwo sonst in unserer Welt», sagte sie in Anspielung auf das Attentat auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter in England.
Der russische Präsident Wladimir Putin hingegen – dessen Land mit dem syrischen Regime verbündet ist – verurteilte die Militärschläge aufs Schärfste. Er sprach von einem Bruch des Völkerrechts und einer neuen Eskalation, die die humanitäre Katastrophe in Syrien weiter verschlimmern werde.
Die meisten NATO-Länder – darunter die Türkei – sowie Israel und Saudi-Arabien reagierten mit Verständnis auf die Angriffe auf syrische Ziele.
Die Schweiz nahm die Luftschläge «zur Kenntnis». Das Aussendepartement (EDA) betrachte nun deeskalierende Massnahmen zur «absoluten Priorität».
Verteidigungsminister Guy Parmelin sagte am Samstag in einem Interview mit Blick.ch, die USA und ihre Verbündeten hätten vor einem Raketenangriff die Untersuchung der OPCW abwarten können. Die UNO habe Experten für chemische Waffen nach Syrien geschickt, um ihre Untersuchung zum möglichen Giftgasangriff durchzuführen. «Diese Mission ist in der Lage festzustellen, ob, beziehungsweise welche Chemiewaffen eingesetzt wurden. Ihre Ergebnisse hätte man abwarten können», sagte Parmelin.
«Der Bundesrat appelliert an alle Parteien: Kehrt zurück an den Verhandlungstisch», sagte der Verteidigungsminister weiter. Der Krieg in Syrien sei Thema von Gesprächen in Genf gewesen. Diese Gespräche müssten weitergehen. So rasch wie möglich.
Russland ist im UNO-Sicherheitsrat mit dem Versuch gescheitert, eine Verurteilung der westlichen Raketenangriffe in Syrien zu erreichen. Bei einer Dringlichkeitssitzung des wichtigsten UNO-Gremiums stimmten am Samstag nur drei von 15 Mitgliedstaaten für einen entsprechenden russischen Resolutionsentwurf. Neben Russland waren das China und Bolivien. Acht Staaten stimmten dagegen, vier enthielten sich.
In dem Resolutionsentwurf wurden die Raketenangriffe der USA, Frankreichs und Grossbritanniens auf Ziele in Syrien als «Aggression» und als «Verletzung des Völkerrechts und der UNO-Charta» bezeichnet. Der Entwurf hatte von Anfang an keine Chance, zumal die USA, Frankreich und Grossbritannien als ständige Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates ein Vetorecht haben.
Ungeachtet der nächtlichen Luftangriffe setzten die Experten der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) ihren Einsatz zur Untersuchung des mutmasslichen Giftgasangriffs im Osten der syrischen Hauptstadt Damaskus fort. Die Ermittler sollen herausfinden, ob in Duma Giftgas eingesetzt wurde.
Am 7. April sollen in der Region Ost-Ghuta nach Angaben der syrischen Hilfsorganisation Weisshelme mindestens 42 Menschen getötet und mehr als 500 verletzt worden sein.
Die syrische Armee hat inzwischen nach eigenen Angaben die einstige Rebellenenklave Ost-Ghuta vollständig zurückerobert. «Alle Terroristen haben Duma verlassen, ihre letzte Bastion in Ost-Ghuta», sagte ein Armeesprecher am Samstag nach Angaben der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana. Die syrische Führung bezeichnet alle Rebellen als «Terroristen».
Die syrische Armee hatte Mitte Februar eine Militäroffensive zur Rückeroberung von Ost-Ghuta gestartet. (wst/sda/dpa/afp)