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Massaker in Syrien: Die wichtigsten Fragen und Antworten

Gewalt und Tausende Tote: Das passiert aktuell in Syrien

10.03.2025, 15:3310.03.2025, 15:33
Nathalie Trappe / watson.de
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Drei Monate nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ist die Lage in Syrien alles andere als entspannt. Hatte man an manchen Stellen anfangs gehofft, dass die neue Regierung Vorteile für das von Armut gebeutelte Land bringen könnte, bestätigte sich am Wochenende das Gegenteil.

Bewaffnete Männer mit Verbindungen zur islamistischen HTS stürmten am Donnerstag laut übereinstimmenden Berichten Siedlungen in den Regionen Latakia und Tartus. Internationale Medien sprechen schon jetzt vom «schlimmsten Ausbruch von Gewalt» seit dem Machtwechsel. Ein Überblick, worum es bei dem Konflikt geht und was genau passiert ist.

Was ist in Syrien passiert?

Einsatzkräfte der neuen islamistischen Machthaber haben am Wochenende den Berichten zufolge Massaker an hunderten Zivilistinnen und Zivilisten verübt. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zufolge wurden im Nordwesten des Landes seit Donnerstag mehr als 1300 Menschen getötet.

Zunächst war von nur männlichen Opfern die Rede, die Beobachtungsstelle SOHR sprach allerdings von regelrechten «Massakern», bei denen auch Kinder getötet worden seien. Unter den Toten sollen mindestens 231 Kämpfer der neuen Führung sowie 250 Assad-treue Kämpfer sein. Zugleich wurden den Angaben zufolge aber auch mindestens 830 Zivilisten getötet.

Unabhängig überprüfen lassen sich die Zahlen aktuell noch nicht. Auch Augenzeugen berichteten am Wochenende von regelrechten Jagdszenen.

«Bewaffnete Männer zogen von Haus zu Haus und griffen Menschen an, um sich zu amüsieren. Sie riefen den Dschihad gegen alle in Syrien aus», berichtet ein Augenzeuge bei CNN. Ihm zufolge waren in Latakia schon am vergangenen Dienstag Leichen auf den Strassen zu sehen. Auch von Entführungen von alawitischen Bewohnern ist die Rede.

Unter dem Dschihad verstehen extremistische Kräfte die aktive militärische Expansion mit dem Ziel der Ausbreitung der islamischen Religion.

Das ist der Plan der Übergangsregierung

Nach Darstellung der neuen Machthaber in Damaskus hingegen überfielen bewaffnete Anhänger der gestürzten Assad-Regierung Sicherheitskräfte in der Küstenprovinz Latakia. Die Übergangsregierung reagierte daraufhin mit einer gross angelegten Militäroperation, bei der auch Artillerie und Panzer eingesetzt wurden.

Wie ein AFP-Fotograf berichtete, rückte ein Konvoi aus Militärfahrzeugen in Latakia im Vorort Basnada ein, Einsatzkräfte durchsuchten dort Wohnhäuser. Alle Strassen in Richtung der Küstenregion wurden nach Behördenangaben abgeriegelt. Dies geschehe, um «Übergriffe zu verhindern», hiess es von der Regierung.

Am Montag dann erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums nach Angaben der staatlichen Nachrichtenangentur SANA, der Einsatz sei «erfolgreich» verlaufen. Alle Ziele seien erreicht, der «Militäreinsatz» werde daher eingestellt.

Es sei den Einsatzkräften «gelungen [...], die Angriffe der Überreste des gestürzten Regimes und seiner Offiziere abzuwehren» und diese aus «entscheidenden» Orten zu vertreiben, fügte der Ministeriumssprecher hinzu. Die Kräfte hätten «alle Sicherheitszellen und Regimeüberbleibsel» in Städten wie Latakia und in der Provinz Tartus «neutralisiert».

Wer steckt hinter der Übergangsregierung?

Am 8. Dezember 2024 hatte die islamistische HTS-Miliz Damaskus erobert und die jahrzehntelange Schreckensherrschaft von Assad beendet. Seit der Machtübernahme hat ihr Anführer Ahmed al-Scharaa wiederholt versichert, die Minderheiten im Land schützen zu wollen.

epa11790226 A handout photo made available by the Turkish Foreign Ministry Press Office shows Syria's rebel leader Ahmed al-Sharaa, also known as Abu Mohammed al-Jolani, attending a press confere ...
Ahmed al-Scharaa war früher der Anführer der HTS-Miliz.Bild: EPA TURKISH FOREIGN MINISTRY PRE

Bis zum Sturz der Assad-Regierung galt al-Scharaa international als Terrorist, erst in seiner Rolle als Übergangspräsident gibt er sich nun zunehmend gemässigt. Das Hajat Tahrir al-Scham (übersetzt: Komitee zur Befreiung Syriens) ging im Jahr 2017 aus dem Terrornetzwerk al-Qaida hervor.

Viele der nun als Sicherheitskräfte eingesetzten Männer operierten vorher als Kämpfer der HTS. Ihnen wurde bereits mehrfach vorgeworfen, willkürlich Zivilisten zu töten.

Wie ist die aktuelle Lage in Syrien?

Die Sicherheitslage in Syrien ist seit der Machtübernahme der HTS entsprechend extrem angespannt. Verschiedene Milizen verüben immer wieder Anschläge im Land, auch der sogenannte «Islamische Staat» («IS») zeigt sich seitdem wieder aktiver. Die HTS selbst geht seit Monaten vor allem gegen kurdische und alawitische Minderheiten vor.

Alawiten leben grösstenteils an der syrischen Mittelmeerküste, wo am vergangenen Wochenende nun auch ein Grossteil der Angriffe stattgefunden hat. An der Gesamtbevölkerung Syrien machen Alawiten etwa zehn Prozent aus.

Die Gruppe war unter der vorherigen Regierung eine wichtige Unterstützung für die mehr als 50 Jahre lange Herrschaft des Assad-Clans. Als Vertreter des schiitischen Islam stehen sie seit Jahrhunderten im Konflikt mit sunnitischen Gruppen wie der HTS.

CNN berichtet von mehreren Videos auf Social Media, in denen die extreme Abneigung der HTS gegen die alawitische Minderheit zu erkennen sei. «An die Alawiten: Wir kommen, um euch und eure Väter abzuschlachten», soll etwa ein Mann in Militärkleidung in einem Video rufen.

Was ist mit den Christen in Syrien?

Der Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche von Antiochien, Johannes X., sprach in seiner Predigt am Sonntag auch von «zahlreichen unschuldigen Christen» in Syrien, die getötet worden seien. Er forderte den syrischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa auf, die «Massaker» im Westen des Landes zu beenden.

Johannes X, Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche von Antiochien und dem gesamten Morgenland, predigt am 31.08.2022 in Karlsruhe am Eroeffnungsgottesdienst der 11. Vollversammlung des Oekumenisch ...
Patriarch Johannes von Antiochien. (Archivbild)Bild: www.imago-images.de

Dass unter den getöteten Zivilisten auch Angehörige des Christentums sind, lässt sich nicht per se ausschliessen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wird ebenfalls auf knapp zehn Prozent geschätzt.

Die meisten Siedlungen der christlichen Gemeinschaft befinden sich allerdings nicht an der Mittelmeerküste, wo aktuell der Gewaltherd zu finden ist. Fakt ist allerdings, dass alle Minderheiten in Syrien trotz der Versprechen der Übergangsregierung aktuell in grosser Sorge leben.

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48 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kunigaikštis Vytautas
10.03.2025 15:52registriert September 2023
Terroristen tun was Terroristen eben so tun.
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Jumble
10.03.2025 16:05registriert März 2025
Vor zwei Tagen hatte es geheissen, es gäbe 1000 Tote. Was denkt ihr, wieviele Menschen noch in diesen zwei Tagen getötet wurden? Syrische Quellen sprechen von über 6000 hingerichteten Menschen. Aber pssst! Nicht zu laut! Sonst werden aus den guten Islamisten noch böse Islamisten.
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Kommissar Rizzo
10.03.2025 15:49registriert Mai 2021
Das sind doch diese (islamistischen) Friedesengel, die auch auf Watson von vielen als "alles besser als Assad" fast schon bejubelt wurden.
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