Eine unglaubliche Weite. Eine unberührte Steppe mit Zebras, Bisons, Antilopen oder Przewalski-Pferden. Und mittendrin: russische Soldaten.
Das ist der Askanija-Nowa-Park in der Ukraine – eines der grössten Naturschutzgebiete auf dem europäischen Kontinent. Er liegt in der Oblast Cherson – rund 30 Kilometer von der Halbinsel Krim entfernt.
Das Naturschutzgebiet umfasst insgesamt eine Fläche von 333,08 km². Im Zentrum des Parks liegt die Siedlung Askanija-Nowa. Heute ist das ganze Territorium unter russischer Besatzung.
Das Naturschutzgebiet umfasst heute ein Biosphärenreservat mit einem Feuchtgebiet sowie einer Steppe, die als wildeste und unberührteste ganz Europas gilt. Auf dem Territorium leben mehr als 50 seltene Tierarten. Zudem beherbergt Askanija-Nowa einen historischen botanischen Garten, mehrere kleine Siedlungen sowie das ukrainische Forschungsinstitut für Steppenrinderzucht.
Das Nationalnaturschutzgebiet ist eng verstrickt mit deutscher Adelsgeschichte. So fragte Herzog Ferdinand von Anhalt-Köthen 1828 den russischen Zaren Nikolaus I. nach einer Kolonie für seine Schafzucht, da er in der Heimat kein passendes Weideland aufspüren konnte. Und weil Russland damals Interesse an hochgezüchteten Schafrassen für die Textilindustrie hatte, schenkte der Zar dem deutschen Herzog ein Stück Steppe.
Ferdinand von Anhalt-Köthen gründete in der Folge ein Gut mit Namen Askanija-Nowa. Später ging das Stück Land an die Kaufmannsfamilie Falz-Fein, die es stetig erweiterte und die Veredelung der Schafwolle perfektionierte. Ab 1874 wurde die südukrainische Steppe zusätzlich um einen Zoo mit wilden Tieren und später einen botanischen Garten erweitert.
Seit 1984 ist das Areal Teil der UNESCO-Naturschutzgebiete. Besitzer ist heute der ukrainische Staat. Vor dem Krieg besuchten jährlich etwa 200'000 Besucher den Askanija-Nowa-Park.
Im Juli 2022 wurde das Naturschutzgebiet von russischen Truppen überrannt. Mittlerweile besetzten die russischen Soldaten mindestens acht ukrainische Naturschutzgebiete und 12 nationale Naturparks – etwa 20 Prozent der Schutzgebiete seien vom Krieg betroffen. Dies erklärte der Minister für Umweltschutz und natürliche Ressourcen, Ruslan Strelets, bei einer Pressekonferenz im Juli.
Bereits damals war infolge der russischen Invasion fast ein Drittel des gesamten Waldbestandes der Ukraine beschädigt worden, zum Beispiel durch unkontrollierte Brände. Der Schaden an Flora und Wäldern belaufe sich auf umgerechnet rund 4 Milliarden Franken, sagte Strelets.
Im Zuge der Besetzung wurde auch das Forschungsinstitut im Askanija-Nowa-Park vom russischen Besatzer übernommen. Dies berichtet die ukrainische Polizei am 11. Juli:
Im Verwaltungsgebäude des Instituts hätten die Russen die russische Flagge aufgestellt. Danach hätten sie die Angestellten des Instituts zur Zusammenarbeit aufgefordert, aber die meisten ukrainischen Wissenschaftler hätten sich geweigert, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten.
Die Polizei informierte zudem, dass nach der Besetzung der Forschungsanstalt ein Strafverfahren aufgrund eines «Verstosses gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges» eröffnet worden sei. Nach ukrainischem Gesetz wären bei einer Verurteilung Sanktionen sowie eine Freiheitsstrafe von acht bis 12 Jahren vorgesehen.
Die beiden letzten Einträge, die der Askanija-Nowa-Park auf dem hauseigenen Blog machte, stammen vom 25. Mai und dem 12. Juli 2022.
Am 12. Juli, einen Tag nach der russischen Besetzung des Forschungsinstituts, informiert der Park: «Es ist wirklich passiert.» Und:
Geldspenden würden für Futtermittel, Kraftstoff, Tierarzneimittel, Baumaterialien, landwirtschaftliche Maschinen oder die Beschaffung eines Dieselgenerators genutzt. Der Eintrag endet mit:
Wie gross der Schaden ist, den die russischen Truppen im Askanija-Nowa-Park angerichtet haben und wohl weiterhin anrichten, ist zurzeit nicht absehbar. Es bleibt nur zu hoffen, dass die «unberührte Steppe» unberührt bleibt.
(yam)