Es ist bezeichnend, dass Viktor Medwedtschuk nach Ausbruch des Krieges nicht nach Russland geflüchtet ist. Kreml -Chef Wladimir Putin hätte seinen wichtigsten Mann in der Ukraine wohl kaum mit offenen Armen empfangen, obwohl die beiden sogar familiär eng verbunden sind.
So ist Putin Patenonkel von Medwedtschuks Tochter Daria, die beiden haben auch regelmässig zusammen Urlaub gemacht, mal in Putins Anwesen in Sotschi, mal bei Medwedtschuk auf der Krim. Doch nach der Festnahme des 67-Jährigen durch den ukrainischen Geheimdienst in der Nacht zu Mittwoch lehnt der Kreml einen Gefangenenaustausch für Medwedtschuk ab. Ist der gelernte Anwalt in Ungnade gefallen, weil er es nicht geschafft hat, die Ukraine als Vasallenstaat an Russland zu binden?
Daran hat Medwedtschuk immerhin seit fast zwei Jahrzehnten gearbeitet. Als Stabschef des damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch wurde Medwedtschuk schon 2004 beschuldigt, massiven Wahlbetrug zugunsten seines pro-russischen Chefs organisiert zu haben. Die Vorwürfe führten schliesslich zur sogenannten Orangenen Revolution, in der sich die Befürworter einer Annäherung der Ukraine an den Westen vorerst durchsetzen.
Medwedtschuk, der zu Sowjetzeiten inoffizieller Mitarbeiter des KGB gewesen sein soll, zog sich anschliessend aus der ersten Reihe der Politik zurück. Als einer der reichsten Männer des Landes blieb er jedoch einflussreich. Das «Forbes»-Magazin stufte den Millionär im Februar 2021 als zwölftreichsten Mann der Ukraine ein und schätzte sein Vermögen auf 620 Millionen US-Dollar. Als der kremltreue Viktor Janukowitsch 2010 erneut an die Macht kam, erschien auch Medwedtschuk bald wieder auf der Bildfläche.
2012 gründete er die Partei «Ukrainische Wahl», die sich für eine Annäherung des Landes an Russland einsetzt. Ende 2013 entbrannten in Kiew dann erneut pro-westliche Massenproteste, die 2014 im «Euromaidan» und dem Sturz von Janukowitsch gipfelten. Kurz darauf annektierte Russland die Krim und es folgte der bis heute andauernde Krieg gegen die pro-russischen Separatisten im Donbass.
Medwedtschuk nutzte damals seine engen Kontakte nach Moskau, um sich als Vermittler anzubieten, spielte dabei aus ukrainischer Sicht aber eine unrühmliche Rolle: Medwedtschuk setzte sich für einen Autonomiestatus der Regionen Luhansk und Donezk und für eine Amnestie für pro-russische Kämpfer ein. Nach der Machtübernahme Wolodymyr Selenskyjs 2019 beendete Medwedtschuk seine Vermittlerrolle. Er befinde sich in Opposition zu Selenskyj und sehe keinen Sinn mehr darin, so seine Begründung.
Stattdessen konzentrierte sich Medwedtschuk darauf, seine kremlfreundlichen Positionen im Parlament und im Fernsehen zu verbreiten. 2019 zog seine inzwischen umbenannte Partei «Oppositionsplattform – Für das Leben» als zweitstärkste Kraft hinter Selenskyjs Regierungspartei in die Werchowna Rada ein. Mit zunehmenden Spannungen zwischen Kiew und Moskau wurde die Luft für Medwedtschuk allerdings dünner.
Im Frühjahr 2021 verbot die Regierung Selenskyj per Dekret drei russische Fernsehsender, die mutmasslich von Medwedtschuk kontrolliert wurden. Die Behörden beschlagnahmen ausserdem Eigentum der Familie des Millionärs, darunter eine Pipeline, die russisches Öl nach Europa bringt. Im Mai folgte dann eine Anklage wegen Hochverrats: Kiew wirft Medwedtschuk illegale Immobiliengeschäfte auf der Krim sowie Investitionen zugunsten der pro-russischen Separatisten im Donbass vor. Auch soll er Militärgeheimnisse an Moskau weitergegeben haben.
Der Kreml nahm Kiew das Vorgehen gegen Medwedtschuk offenbar übel, Putin persönlich sprach von einer «politischen Säuberungsaktion». «Der Kreml betrachtete Medwedtschuk als seinen wichtigsten Mann in der Ukraine», zitiert der «Guardian» einen damaligen russischen Beamten, der Medwedtschuk persönlich kennt. «Medwedtschuk war die Garantie für den russischen Einfluss in der Ukraine, mit seiner ,Verfolgung' hat alles begonnen.»
Nach Angaben von US-Geheimdiensten war Medwedtschuk sogar schon gesetzt als Chef einer von Moskau eingesetzten Marionettenregierung, wäre der Krieg nach Plan gelaufen. Nun wird er sich wohl einem Prozess wegen Hochverrats stellen.
((t-online,mk ))