Sowohl Wagner–Chef Prigoschin als auch ein ukrainischer Militärsprecher meldeten gestern erfolgreiche Vorstösse von ukrainischen Truppen bei der seit Monaten umkämpften Stadt Bachmut. Ukrainische Einheiten des dritten südlichen Regiments seien auf einer Breite von 3 Kilometern bis zu 2 Kilometer vorgestossen. Nicht komplett vernichtet, aber geschlagen wurde dabei die russische 72. motorisierte Brigade. Die nicht unabhängig überprüfbaren Aussagen wurden seither von verschiedenen Nachrichtenagenturen übernommen. Auch watson meldete die geglückte Gegenoffensive.
Das Institute for the Study of War konnte diese Angaben anhand von Satellitenbildern nicht bestätigen. Es vermeldete «marginale Erfolge» der Ukraine 14 Kilometer südwestlich von Bachmut bei Bila Hora und westlich bei Chromowe.
Eine Karte zu den zurückeroberten Gebieten lieferte bisher einzig die ukrainische OSINT-Plattform «Deep State». Sie zeigt, (wie vom ISW gemeldet) einen territorialen Gewinn im Südwesten von Bachmut. Die Informationen von «Deep State» sind mit Vorsicht zu geniessen. Sie erwiesen sich in der Vergangenheit aber als relativ verlässlich.
Derweil bestätigte auch die russische Mil-Bloggerin Anastasia Kashevarova den erfolgreichen Vorstoss der Ukrainer in einem wütenden Telegram-Post. Sie spricht von massiven internen Kommunikationsmängeln, Streitigkeiten und Sabotageakten vor Ort – primär zwischen den Wagner-Söldnern und den Streitkräften Russlands.
Sämtliche Einheiten, dazu zählen auch diejenigen der LPR (Volksrepublik Lugansk), der DPR (Volksrepublik Donezk) und die tschetschenischen Kadyrowski, seien zerstritten. Es sei ein «alle gegen alle – schlimmer als unter Frauen»: «Wagner wirft der 72. [Brigade] vor, ihr Brot vernichtet zu haben. Umgekehrt hat Wagner ihnen [der 72. Brigade] einen Panzer entwendet. Die russische Militärpolizei hat dringend benötigtes Erste-Hilfe-Material beschlagnahmt und die Zollbehörde konfisziert Drohnen.»
Die Hauptprobleme seien, dass es keinen Oberbefehlshaber gebe, den alle Gruppen ausnahmslos respektieren würden – und die nicht vorhandene Solidarität untereinander: «Jeder möchte ein Held sein. Aber ohne Einheit wird dies nicht passieren.»
Kashevarova (253’000 Follower auf Telegram) ist eine glühende Kriegsbefürworterin und Nationalistin, hält sich mit Kritik und deftiger Wortwahl aber nicht zurück. So schrieb sie gestern über den Munitionsmangel: «Alles hängt von der Bürokratie ab. Wir verlieren Menschenleben wegen bürokratischer Beamter, die nicht um einen Haufen Gesetze und anderen Mist herumkommen, den sie selbst geschrieben haben. Es gibt kein Kriegsrecht – niemand will Verantwortung übernehmen … Wie kommt man aus diesem Teufelskreis aus Idiotie und Bürokratie heraus? Es ist notwendig, dass ein paar Leute an der Spitze Verantwortung übernehmen und klare und schnelle Befehle erteilen … Wo sind all die Männer mit Mumm und politischem Willen?»
Sollen sich gegenseitig an die Gurgel, dass ist das Beste, was den Ukrainern passieren kann.
Dass Blogger derart deutliche Worte finden dürfen ohne in einem Gefängnis zu verschwinden, dürfte ein Hinweis sein, dass der Führung gerade die Kontrolle entgleitet. Hoffe ich mal etwas naiv.