Wenn man ein Fazit von Donald Trumps bisherigen Friedensbemühungen im Ukraine-Krieg ziehen kann, dann ist es folgendes: Moskau sieht sich durch Trumps Ouvertüren ermuntert, seine Luftangriffe auf ukrainische Städte im ganzen Land zu verstärken. Kremlherrscher Putin weiss, dass er weder von den USA noch von Europa nennenswerte Reaktionen zu erwarten hat, wenn er militärische und zivile Ziele gleichermassen mit Hunderten grosser Kampfdrohnen sowie Marschflugkörpern und Raketen bombardieren lässt. Neu sind insbesondere auch Angriffe auf Fabriken im äussersten Westen des Landes.
Während westliche Medien kontinuierlich über solche Attacken berichten – wie soeben auf die Büro- und Versammlungsräume der ukrainischen Regierung im Herzen von Kiew – gehen die Entwicklungen an der Front etwas unter. Das liegt auch daran, dass man dort kaum noch Journalisten sieht, wie eine mehrwöchige Reise quer durch die Ukraine soeben gezeigt hat.
Und diese Tatsache erklärt sich wiederum erstens mit dem immer dreisteren Vorgehen der ukrainischen Behörden gegen unabhängige Berichterstattung und zweitens mit der Bedrohung durch immer weitreichendere russische Quadrokopter. Diese gefährden inzwischen auch Verkehrswege im Hinterland, die noch vor wenigen Wochen als sicher galten.
Russlands Truppen rücken im heftig umkämpften Donbass zwar weiter vor und sind inzwischen sogar in die benachbarte Oblast Dnipropetrowsk eingedrungen. Nach wie vor bleibt Putins Sommeroffensive aber ohne durchschlagenden Erfolg. Unmittelbar vor dem Treffen zwischen dem russischen Diktator und Trump in Alaska Mitte August gelang den Russen bei Pokrowsk zwar ein überraschender Vorstoss nach Norden. Nachdem der ukrainische Generalstab Verstärkungen und Eliteeinheiten in die Region entsandt hatte, wendete sich das Blatt aber.
Waren es vorher die Invasoren, welche die Verteidiger mit Zangenangriffen einzukesseln versuchten, wenden nun auch die Ukrainer diese Taktik an. Sie schnitten einen Teil der vorgestossenen Truppen vom Hauptharst der Russen ab, und in den letzten Tagen stiessen sie nochmals weitere Keile in den etwa 150 Quadratkilometer grossen Sporn, den die Angreifer in den letzten vier Monaten nördlich von Pokrowsk vorangetrieben hatten.
Mit diesem Sporn wollten die Russen die nach Pokrowsk führenden Nachschubwege kappen und die Stadt einkesseln. Der Frontverlauf ist inzwischen zum Teil sehr unübersichtlich, und die Grauzone zwischen den Stellungen der Kriegsgegner wird immer grösser. Viele exponierte Truppeneinheiten beider Seiten können nur noch mit Drohnen aus der Luft versorgt werden.
Wie die Schlacht ausgehen wird, ist noch immer unklar. Das russische Umfassungsmanöver ist aber vorerst gescheitert. Dennoch dringen die Invasoren im Südwesten der Stadt vor und stehen jetzt in den Aussenbezirken der weitgehend zerstörten Ortschaft. Für die Ukrainer ist es allerdings wichtiger, dass der nördliche Vorstoss, der die weitaus grösseren Städte Kramatorsk und Slowiansk gefährden würde, zumindest vorerst gestoppt ist.
Die Probleme der Russen, das Tempo des Vormarsches zu halten, manifestieren sich auch in den täglichen Geländegewinnen: Waren es im Juni und Juli noch rund 18 Quadratkilometer, so ist dieser Wert im August auf durchschnittlich 15 und Anfang September auf noch etwa 9 Quadratkilometer gesunken.
Daraus zu schliessen, dass der Sommeroffensive der Schnauf ausgeht, wäre aber verfrüht, denn die russische Militärführung hat von Frontabschnitten bei Sumy im Osten und Cherson im Süden des Landes Einheiten abgezogen, um sie nach Pokrowsk zu verlegen. Möglicherweise steht dort also ein neuerlicher Grossangriff bevor. Darauf deuten insbesondere die Aktivitäten der russischen Luftwaffe, die Ziele nördlich von Pokrowsk heftig mit Gleitbomben eindeckt.
Anfang Juni hat CH Media prognostiziert, dass Putins Truppen diesen Sommer etwa 2000 Quadratkilometer erobern würden. Bisher waren es rund 1300 Quadratkilometer, und wenn es in diesem Tempo weitergeht, werden es Ende Sommer gesamthaft wohl weniger als der vorausgesagte Wert sein.
Putins grosser Preis – die Eroberung der Grossstadt Kramatorsk – liegt jedenfalls noch in weiter Ferne. Der Kreml muss froh sein, wenn er es in den nächsten Wochen oder Monaten endlich schafft, Pokrowsk einzunehmen.
Zwar versucht er auch, Kostiantiniwka und ein paar kleine Ortschaften im Norden des Oblast Donezk einzukreisen. Ob und in welchem Zeitrahmen das gelingt, bleibt offen. Jedenfalls schliesst sich das Zeitfenster für erfolgreiche Angriffe langsam, aber sicher: Die Blätter an den Bäumen in der Region verfärben sich schon gelb, und bald wird das Laubdach nicht mehr vor Sicht von oben schützen.
Schon in wenigen Wochen werden die meisten Waldstücke und Baumreihen angreifenden russischen Soldaten kaum noch Deckung bieten. Die Arbeit der ukrainischen Drohnenpiloten wird dann wieder einfacher. Ein Ende der Kämpfe ist vorerst nicht abzusehen. (aargauerzeitung.ch)