Von Atomstrom über Kohlekraftwerke bis hin zu Gaspipelines: Die militärische Strategie der russischen Armee zielt auch gezielt auf die Energieversorgung der Ukraine. Ein Überblick in vier Karten.
Atomstrom macht in der Ukraine 60 Prozent des Strommixes aus (Stand: 2021). Nach dem Wegfall von Tschernobyl wird er noch an vier verschiedenen Standorten produziert: in Chmelnyzkyj, Riwne, Saporischschja und Süd-Ukraine.
Die mit sechs Reaktoren grösste Anlage befindet sich in der Nähe von Saporischschja in Enerhodar. Gleich daneben befindet sich das grösste Kohlekraftwerk des Landes. In der 50 Kilometer entfernten namensgebenden Stadt befindet sich zusätzlich das grösste Wasserkraftwerk des Landes.
Nach den Gefechten von der Nacht auf Freitag brach im AKW Saporischschja ein Feuer aus. Es konnte mittlerweile gelöscht werden. Wichtige Infrastruktur wurde nicht beschädigt und die Strahlungswerte schlugen nicht aus. Russland hat nach eigenen Angaben die Anlage erobert.
Der Kampf um das grösste Atomkraftwerk von Europa zeigt, wie wichtig die Stromversorgung für beide Konfliktparteien ist. Auch das zweitgrösste AKW, die Anlage Süd-Ukraine, liegt für russische Truppen beinahe in Schlagdistanz. Von der Krim aus haben sich russische Einheiten nach Nordwesten den Fluss Südlicher Bug hochgearbeitet. Die Stossrichtung lässt wenig Interpretationsspielraum zu. Russland will auch dieses Kraftwerk in seine Gewalt bringen.
Die drei Kraftwerke produzieren zusammen über einen Fünftel des ukrainischen Stroms. Die Kontrolle darüber bietet ein entscheidender Vorteil – auch bei Verhandlungen.
Drei Gas-Trassees versorgen Westeuropa mit russischem Gas: Nord-Stream, Jamal und Transgas.
Transgas ist das Älteste der drei und entstand in den 70er-Jahren noch zu Sowjet-Zeiten. Es wird ausschliesslich von der Ukraine aus versorgt.
Erst nach dem Zerfall der UdSSR initiierte Russland Jamal (Europa) und Nord Stream, um sich von der Abhängigkeit der Ukraine zu lösen. Das gelang nur bedingt. Die grössten Mengen werden noch immer durch die Transgas-Pipelines befördert. Sie verfügt mit 120 Milliarden Kubikmeter pro Jahr über weit mehr Kapazität, als Nord Stream (55 Mrd. m³/a) und Jamal (33 Mrd. m³/a) vereint. Rund 40 Prozent des europäischen Gasbedarfs wird von Russland gedeckt.
Laut einer bisher unbestätigten Meldung von Reuters stoppte Russland am Freitagmorgen die Zulieferung über das Jamal-Trasse. Am Messpunkt Mallnow im brandenburgischen Lebus betrug der Durchfluss weniger als ein Zehntel der normalen Mengen. Stunden später kam gar kein Gas mehr. Bereits am Donnerstag war es zu einem kurzzeitigen Stopp gekommen.
Paradoxerweise fliesst seit Beginn der Invasion doppelt so viel Gas durch die Ukraine, wie vor dem Krieg. Der Grund: Russisches Gas ist derzeit günstiger, als das an der Börse gehandelte. Die Nachfrage in Europa ist weiterhin enorm. Dass Russland gewillt ist, diese Abhängigkeit zu seinen Gunsten zu verwenden, zeigt der Tweet des stellvertretenden Leiters des Sicherheitsrats (und Ex-Präsidenten) Dmitri Medwedew. Er reagierte sichtlich verärgert auf den Stopp von Nord Stream 2.
Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Stopp der Zertifizierung der Gaspipeline Nord Stream 2 angeordnet. Na ja. Herzlich willkommen in einer neuen Welt, wo die Europäer bald schon 2000 Euro pro Kubikmeter Gas zahlen werden!
— Dmitry Medvedev (@MedvedevRussiaE) February 22, 2022
(tog)