Der russische Angriffskrieg fordert in der Ukraine nun auch «Opfer» auf höchster Ebene. Das Parlament hat am Dienstag Geheimdienstchef Iwan Bakanow und Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa, zwei führende Köpfe des Sicherheitsapparats, entlassen. Am Sonntag waren sie von Präsident Wolodymyr Selenskyj suspendiert worden.
Selenskyjs Anordnung sorgte für beträchtliches Aufsehen, denn an der ukrainischen Staatsspitze gab es seit Kriegsbeginn kaum personelle Wechsel. In den beiden Behörden sei es zu Verrat gekommen, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache. Es seien bereits 651 Strafverfahren wegen Hochverrat und Kollaboration mit dem Feind eröffnet worden.
Bakanow und Wenediktowa sind nicht betroffen. Ihnen wird vorgeworfen, zu wenig gegen diese Machenschaften unternommen zu haben. Dennoch wundern sich Beobachter über die Suspendierung der Chefanklägerin. Iryna Wenediktowa hatte sich mit ihren Ermittlungen wegen russischen Kriegsverbrechen einen Namen gemacht.
In der Generalstaatsanwaltschaft soll das Problem zudem längst nicht so gross sein wie beim Geheimdienst SBU. Er ist der grösste in Europa mit rund 27’000 Mitarbeitern und steht schon lange in Verdacht, mit prorussischen Doppelagenten «durchseucht» zu sein. Viele Kaderleute des SBU wurden noch vom sowjetischen KGB ausgebildet.
Seit der Maidan-Revolution 2014 soll die Infiltration durch russische Geheimdienste zurückgegangen sein, doch wirklich gelöst wurde das Problem nie. Eine umfassende Reform der riesigen Behörde ist ausgeblieben, was sich nun rächte. Einige hohe SBU-Offiziere sollen vor und nach Kriegsbeginn mit den Russen kollaboriert haben.
Ein besonders krasses Beispiel ist Cherson im Süden des Landes, die einzige ukrainische Grossstadt, die bislang von den Invasoren erobert werden konnte. Dafür verantwortlich war unter anderem der Leiter der örtlichen SBU-Dienststelle. Er soll seinen Mitarbeitern entgegen den Befehlen des Präsidenten befohlen haben, die Stadt zu verlassen.
Sein Stellvertreter wird beschuldigt, die Lage der ukrainischen Minenfelder an der Grenze zur annektierten Halbinsel Krim verraten zu haben, weshalb die von dort angreifenden russischen Truppen sie umgehen konnten. Auch die Sprengung der strategisch wichtigen Antoniwka-Brücke über den Fluss Dnipro soll vom SBU verhindert worden sein.
Dadurch konnten die Russen am 3. März fast kampflos in Cherson einmarschieren. Für Schlagzeilen sorgte auch Andriy Naumow, der Leiter der Abteilung für innere Sicherheit im SBU. Er war einen Tag vor dem russischen Angriff geflüchtet. Anfang Juni wurde Naumow in Serbien verhaftet. Er wird beschuldigt, Devisen und Smaragde geschmuggelt zu haben.
Die ukrainische Regierung hat seine Auslieferung beantragt. Am Dienstag entliess Präsident Selenskyj ausserdem weitere hohe Geheimdienstmitarbeiter. Offenbar handelt es sich um eine erste Konsequenz der «Personalüberprüfungen» in SBU und Generalstaatsanwaltschaft. Mehr als 60 Mitarbeiter beider Behörden seien in den besetzten Gebieten geblieben.
Wegen der Missstände im Geheimdienst wurde seit Wochen über eine Absetzung von SBU-Chef Iwan Bakanow spekuliert. Der 47-Jährige ist jedoch ein Freund des Präsidenten aus gemeinsamen Kinder- und Jugendtagen. Er leitete danach Selenskyjs Fernsehproduktionsfirma Kwartal 95 und seinen Präsidentschaftswahlkampf 2019.
Nach seinem Wahlsieg ernannte Wolodymyr Selenskyj seinen Schulfreund zum Leiter des SBU. Von Anfang an gab es Kritik, weil Bakanow die Qualifikationen und die Akzeptanz unter den Geheimdienstlern fehlten. Sein Name tauchte auch in den Pandora Papers auf. Nach Kriegsbeginn aber wollte der Präsident keinen Wechsel riskieren.
Nun war Bakanow nicht mehr zu halten. Denn nicht nur die Doppelagenten im Geheimdienst sind ein Problem. Angesichts des hartnäckigen Widerstands gegen die Invasoren wird häufig übersehen, dass es im Osten und Süden der Ukraine immer noch viele Menschen gibt, die in erster Linie Loyalität gegenüber Russland empfinden.
Sie verraten dem Feind Waffenlager und Stellungen der ukrainischen Armee, damit diese von der russischen Artillerie gezielt beschossen werden können. Unter ihnen sollen sich sogar orthodoxe Priester befinden, sagte der Abgeordnete Mykyta Poturajew, der einen Ausschuss zur Untersuchung der Kollaboration gegründet hat, der «New York Times».
Jetzt will die Regierung verstärkt gegen solche «Verräter» vorgehen. Präsident Selenskyj erliess am Montag eine entsprechende Anordnung. In den von den Kämpfen am stärksten betroffenen Regionen habe die Fahndung nach Informanten höchste Priorität, so die «New York Times». Oft würden sie von den Russen mit Jobs in einer künftigen Regierung geködert.
Die Massnahmen gegen Kollaborateure in Geheimdienst und Gesellschaft kommen sicherlich nicht zu spät. Beobachter vermuten hinter der Entlassung von Bakanow und Wenediktowa jedoch auch Machtkämpfe. Andrij Jermak, der Leiter des Präsidialamtes, soll angeblich versuchen, seinen Einfluss im ukrainischen Machtapparat zu stärken.
Metropolit Kyrill I., das milliardenschwere Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche steht ja auch hinter Putlers "Spezialoperation", weswegen mich das Vorhandensein verräterischer Popen in keiner Weise überrascht.