Sonne, Spielplatz, Restaurant - das «Dschami»-Hotel in Dagestan direkt am Kaspischen Meer im Süden Russlands wirbt mit hübschen Bildern vom blauen Meerwasser und einem Sandstrand um seine Gäste. Nicht weit von hier soll ein Militärspital entstehen, die Bagger waren vor einigen Tagen angerollt.
Was sie aus dem Sand hervorholten, war ein Blick in die dunkle sowjetische Vergangenheit des Landes: 18 Schädel mit Löchern, die nach Schüssen in den Hinterkopf aussehen, aufgereihte menschliche Überreste. Ein Massengrab. «Mutmasslich aus der Zeit der stalinistischen Repressionen der 1930er-Jahre», teilte das russische Innenministerium schliesslich mit, nachdem Bilder des Fundes auf Telegram-Kanälen die Runde machten.
Mit einem Mal war ein Thema in den Nachrichten, vor dem das heutige Regime und die Mehrheit der Menschen in Russland oft die Augen verschliessen: der Staatsterror, dem Millionen von Menschen zum Opfer gefallen waren.
Da die Mechanismen staatlich ausgeübter Gewalt auch heute wieder stark sind im Land, verschwand die Nachricht von Massenerschiessungen am dagestanischen Strand auch schnell wieder. Die staatlichen Medien erwähnten das Massengrab nur kurz, um damit auf die Arbeit von Ermittlungsbehörden einzugehen, die Leichenfunde aus den vergangenen Jahren untersuchen. Über die Morde von damals zu reden, ist auch heute noch gefährlich. Die Aufarbeitung des stalinistischen Regimes ist wegen der repressiven Gesetze im System Putin nahezu unmöglich.
Am 5. März jährt sich das Todesdatum des sowjetischen Diktators Josef Stalin zum 70. Mal. Zu seinen Lebzeiten hatte die ewige Angst vor Säuberungen selbst seine direkten Untergebenen nie verlassen. Als Stalin nach einem Trinkgelage mit den Parteifreunden auf seiner Datscha bei Moskau in der Nacht auf den 1. März 1953 einen Schlaganfall erlitt und am nächsten Morgen nicht auftauchte, traute sich niemand in sein Zimmer, wo er im Pyjama am Boden lag und sich nicht rührte.
Bis heute gibt es Menschen in Moskau, die sich an die Totenprozession quer durch die Stadt erinnern. Wie die Menschen weinten, vor Freude oder Entsetzen. Manche der durch Stalins Menschenvernichtungsapparat Geschundenen sind erst in den 1990er-Jahren wieder rehabilitiert worden, viele erst nach ihrem Tod.
Viele Mechanismen des Stalinismus werden im System Putin gefördert. Väter denunzieren ihre Söhne, die eine Nachbarin meldet eine andere an die Behörden, der eine Arbeitskollege schwärzt einen anderen an. Lehrer rufen die Polizei und die Jugendinspektion, wenn ihre Schützlinge die offizielle Linie auch nur ein wenig in Frage stellen.
Fälle wie die der zehnjährigen Warja aus einem Vorort von Moskau und der Sechstklässlerin Mascha aus der Region Tula zeigen, wie selbst Kinder kriminalisiert werden und dass Schulen längst keinen Schutzraum mehr bieten. Warja hatte im Klassenchat ein Profilbild in den ukrainischen Farben Blau-Gelb benutzt, Mascha im Kunstunterricht ein Bild mit der russischen und der ukrainischen Fahne gemalt und darunter «Nein zum Krieg» geschrieben.
Direktorinnen beider Einrichtungen liessen die Mädchen von mehreren Polizisten zum Verhör abtransportieren. Es gab Hausdurchsuchungen bei den Familien der Schülerinnen. Warjas alleinerziehende Mutter muss seitdem einen «Präventionskurs» beim Jugendamt absolvieren, wo ihr erklärt wird, wie sie ihre Kinder «moralisch richtig» erziehen solle.
Dem alleinerziehenden Vater von Mascha droht eine mehrjährige Haftstrafe, weil er mit seinen Posts in den sozialen Netzwerken die russische Armee «diskreditiert» haben soll. Mascha befindet sich derzeit in einem Heim, weil ihr Vater von den Behörden festgehalten wird. Solche Beispiele schrecken ab, zumal die Angst – wie vererbt aus den Sowjetzeiten – tief in den Menschen sitzt.
Stalin hat heute trotz seiner unnachgiebigen Brutalität das Image eines «effektiven Managers», eines hartgesottenen Führers, der dem Land den Sieg über die Nationalsozialisten einbrachte. In Wolgograd, dem früheren Stalingrad, wurde erst kürzlich eine Büste für ihn aufgestellt.
Da Putin seine «Spezialoperation» in der Ukraine als Fortführung des sowjetischen Kampfes im Zweiten Weltkrieg betrachtet, ist Stalin eine Art Wegweiser für viele im Moskauer Regime. Kritiker seiner «gerechten Sache» nennt Putin «Abschaum», den es zu vernichten gelte.
So mancher Regionalchef macht die Leiter staatlicher Unternehmen bei einer Sitzung auch schon einmal mit den Worten nieder: «Unter Josef Stalin in den 30ern hätte man euch samt Familien und anderen Verwandten längst erschossen. Und man hätte richtig gehandelt.» (aargauerzeitung.ch)
Viele Auslandsrussen unterstützen Putin weiterhin. Darum würde ich einen EU-Sender auf russisch befürworten, damit Auslandsrussen realisieren, was wirklich in Russland passiert.