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In Serbien explodieren die Mieten wegen reicher Exil-Russen

Die Mietpreise in Serbien explodieren wegen den reichen Russen.
In Novi Sad und Belgrad haben sich die Mietpreise im vergangenen Jahr nahezu verdoppelt.Bild: Shutterstock/watson

In Serbien explodieren die Mieten wegen reicher Russen

Ob Belgrad oder Novi Sad – die Menschen in Serbien verzweifeln bei der Wohnungssuche. Denn die Mietpreise in den serbischen Metropolen haben sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs fast verdoppelt. watson hat mit einem desillusionierten Mieter aus Novi Sad gesprochen.
12.04.2023, 14:5413.04.2023, 12:45
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In Serbien schnellen die Mietpreise in die Höhe. In der Hauptstadt Belgrad haben sie sich im Verlauf des vergangenen Jahres fast verdoppelt. Der Anstieg ist teilweise inflationsbedingt, hat aber eine andere Hauptursache: die reichen Exilrussen und -russinnen. Da Serbien keine Sanktionen gegen Russland verhängt hat, können die Russinnen und Russen frei einreisen – und sich niederlassen.

Läuft man durch die Strassen Belgrads, hört man nebst der Landessprache auffallend oft Russisch. Seit Kriegsbeginn sollen sich über 100'000 Russinnen und Russen in Serbien angesiedelt haben.

«Unsere neue Miete ist eineinhalbmal so viel wie vorher»

Djordje Majstorovic lebt in Novi Sad, einer Stadt rund 90 Kilometer nördlich von Belgrad. Die Folgen der steigenden Mieten musste er am eigenen Leib erfahren. Im Februar 2022, kurz vor Kriegsausbruch, bezog er seine ehemalige Wohnung. Einige Monate später begann die Odyssee. Er sagt zu watson: «Ende letzten Jahres haben die Vermieter erstmals meine Miete erhöht, zwar nicht so drastisch wie in anderen Fällen, aber allein die Tatsache, dass jeder Vermieter die absolute Freiheit hat, den Mietpreis festzulegen, halte ich für problematisch.»

In der serbischen Stadt Novi Sad explodieren die Mietpreise aufgrund der reichen Exilrussen.
In Novi Sad sind die Mieten stark gestiegen.Bild: Shutterstock

Im Januar dieses Jahres entschied der Vermieter, dass er die Wohnung verkaufen wird – Majstorovic und seine Partnerin mussten ausziehen. Majstorovic weiss nicht, an wen die Wohnung verkauft wurde. Dass die neuen Besitzer wohlhabende Russen sind, schliesst er nicht aus. Denn die Mehrzahl der Wohnungen, welche in den Städten Belgrad und Novi Sad verkauft werden, werden nicht an serbische Staatsangehörige verkauft, sondern an Russen und Russinnen.

Majstorovic und seine Partnerin machten sich auf die Suche nach einer neuen Wohnung und sahen sich mit «astronomischen Preisen» konfrontiert, die viel höher gewesen seien als vor einem Jahr noch. Majstorovic erklärt: «Nach langer Suche fanden wir eine Wohnung. Die Miete der neuen Wohnung ist eineinhalbmal höher als die der vorherigen Wohnung. Und was noch verheerender ist: Man könnte sagen, dass wir mit diesem Fund Glück hatten.»

Obwohl Majstorovic einen holprigen Start ins neue Jahr hatte, sieht er sich nach wie vor in einer privilegierten Situation. Viele Freunde und Bekannte von ihm habe es schwerer getroffen. «Einigen von ihnen wurden sehr kurze Kündigungsfristen eingeräumt, bei anderen wurde die Miete verdoppelt, sodass sie ebenfalls gezwungen waren, sich innerhalb kürzester Zeit eine neue Wohnung zu suchen», erklärt er.

«Der Staat wird nicht mehr als Garant für die Grundbedürfnisse angesehen»

Doch er sieht auch verschiedene Auswege aus der prekären Lage: «Eine der Lösungen für diese Situation könnten grössere Investitionen in den Bau von Sozialwohnungen sein oder Versuche, sich an Wohngemeinschaftsprojekten zu beteiligen, die auf bereits bestehenden Modellen in ganz Europa basieren.»

Für Majstorovic kommen die aktuelle Wohnungsnot und die explodierenden Mietpreise nicht von ungefähr. «Seit den 90er-Jahren ist ein tiefgreifender Wandel in der Haltung unseres Landes zum Thema Wohnen zu beobachten. Der Staat wird nicht mehr als Garant für die menschlichen Grundbedürfnisse, einschliesslich des Wohnens, angesehen, sondern als Garant für die Anwendung von Marktprinzipien. Während der Privatisierungswelle, die auf den Zusammenbruch des Sozialismus folgte, wurden serbische Bürger, die in öffentlichen und gesellschaftlichen Wohnungen lebten, ermutigt, diese Wohnungen zu relativ niedrigen Preisen zu kaufen – und so Eigentümer der Häuser zu werden, in denen sie leben», erklärt er.

Waterfront in Belgrad, hier ist ein futuristisches Stadtviertel geplant.
In Belgrad wird aktuell ein neues Stadtviertel geplant und gebaut, hier sieht man die Belgrade Waterfront, einen der neusten Bauten in der Stadt.Bild: Shutterstock

Die vorherrschende Baukultur in Serbien beäugt er sehr kritisch: «Heute wird nicht mehr gebaut, um soziales Wohlergehen zu erreichen, Bedürfnisse zu befriedigen und ein möglichst komfortables Lebensumfeld für die Bürger zu schaffen. In erster Linie geht es darum, dass die Investoren, die das Land besitzen, ihren Gewinn maximieren können. Das bedeutet, dass heute neben Wohnbauprojekten auch keine anderen Einrichtungen, die für ein angemessenes Leben der Bürger notwendig sind, geplant werden – stattdessen wird jeder Zentimeter Land für den Wohnungsbau genutzt.»

Die aktuelle Situation beunruhigt ihn zunehmend: «Viele Menschen in Serbien leben in eher unsicheren Verhältnissen und sind potenziell von Obdachlosigkeit bedroht.»

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108 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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MacB
12.04.2023 14:14registriert Oktober 2015
Legt euch noch mehr zu den Russen ins Bett, liebe Serben. Selber schuld.
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BG1984
12.04.2023 14:19registriert August 2021
Auch komisch wenn man als Serbe Russland so toll findet und dann steigen die Mieten, weil Russen ihr Land nicht mehr toll finden und es freiwillig verlassen und nach Serbien ziehen.
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tychi
12.04.2023 14:24registriert Juli 2016
Vielleicht merken die Serben nun, dass die Anbiederung am Russland nicht unbedingt die beste Entscheidung war.
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