In Serbien schnellen die Mietpreise in die Höhe. In der Hauptstadt Belgrad haben sie sich im Verlauf des vergangenen Jahres fast verdoppelt. Der Anstieg ist teilweise inflationsbedingt, hat aber eine andere Hauptursache: die reichen Exilrussen und -russinnen. Da Serbien keine Sanktionen gegen Russland verhängt hat, können die Russinnen und Russen frei einreisen – und sich niederlassen.
Läuft man durch die Strassen Belgrads, hört man nebst der Landessprache auffallend oft Russisch. Seit Kriegsbeginn sollen sich über 100'000 Russinnen und Russen in Serbien angesiedelt haben.
Djordje Majstorovic lebt in Novi Sad, einer Stadt rund 90 Kilometer nördlich von Belgrad. Die Folgen der steigenden Mieten musste er am eigenen Leib erfahren. Im Februar 2022, kurz vor Kriegsausbruch, bezog er seine ehemalige Wohnung. Einige Monate später begann die Odyssee. Er sagt zu watson: «Ende letzten Jahres haben die Vermieter erstmals meine Miete erhöht, zwar nicht so drastisch wie in anderen Fällen, aber allein die Tatsache, dass jeder Vermieter die absolute Freiheit hat, den Mietpreis festzulegen, halte ich für problematisch.»
Im Januar dieses Jahres entschied der Vermieter, dass er die Wohnung verkaufen wird – Majstorovic und seine Partnerin mussten ausziehen. Majstorovic weiss nicht, an wen die Wohnung verkauft wurde. Dass die neuen Besitzer wohlhabende Russen sind, schliesst er nicht aus. Denn die Mehrzahl der Wohnungen, welche in den Städten Belgrad und Novi Sad verkauft werden, werden nicht an serbische Staatsangehörige verkauft, sondern an Russen und Russinnen.
Majstorovic und seine Partnerin machten sich auf die Suche nach einer neuen Wohnung und sahen sich mit «astronomischen Preisen» konfrontiert, die viel höher gewesen seien als vor einem Jahr noch. Majstorovic erklärt: «Nach langer Suche fanden wir eine Wohnung. Die Miete der neuen Wohnung ist eineinhalbmal höher als die der vorherigen Wohnung. Und was noch verheerender ist: Man könnte sagen, dass wir mit diesem Fund Glück hatten.»
Obwohl Majstorovic einen holprigen Start ins neue Jahr hatte, sieht er sich nach wie vor in einer privilegierten Situation. Viele Freunde und Bekannte von ihm habe es schwerer getroffen. «Einigen von ihnen wurden sehr kurze Kündigungsfristen eingeräumt, bei anderen wurde die Miete verdoppelt, sodass sie ebenfalls gezwungen waren, sich innerhalb kürzester Zeit eine neue Wohnung zu suchen», erklärt er.
Doch er sieht auch verschiedene Auswege aus der prekären Lage: «Eine der Lösungen für diese Situation könnten grössere Investitionen in den Bau von Sozialwohnungen sein oder Versuche, sich an Wohngemeinschaftsprojekten zu beteiligen, die auf bereits bestehenden Modellen in ganz Europa basieren.»
Für Majstorovic kommen die aktuelle Wohnungsnot und die explodierenden Mietpreise nicht von ungefähr. «Seit den 90er-Jahren ist ein tiefgreifender Wandel in der Haltung unseres Landes zum Thema Wohnen zu beobachten. Der Staat wird nicht mehr als Garant für die menschlichen Grundbedürfnisse, einschliesslich des Wohnens, angesehen, sondern als Garant für die Anwendung von Marktprinzipien. Während der Privatisierungswelle, die auf den Zusammenbruch des Sozialismus folgte, wurden serbische Bürger, die in öffentlichen und gesellschaftlichen Wohnungen lebten, ermutigt, diese Wohnungen zu relativ niedrigen Preisen zu kaufen – und so Eigentümer der Häuser zu werden, in denen sie leben», erklärt er.
Die vorherrschende Baukultur in Serbien beäugt er sehr kritisch: «Heute wird nicht mehr gebaut, um soziales Wohlergehen zu erreichen, Bedürfnisse zu befriedigen und ein möglichst komfortables Lebensumfeld für die Bürger zu schaffen. In erster Linie geht es darum, dass die Investoren, die das Land besitzen, ihren Gewinn maximieren können. Das bedeutet, dass heute neben Wohnbauprojekten auch keine anderen Einrichtungen, die für ein angemessenes Leben der Bürger notwendig sind, geplant werden – stattdessen wird jeder Zentimeter Land für den Wohnungsbau genutzt.»
Die aktuelle Situation beunruhigt ihn zunehmend: «Viele Menschen in Serbien leben in eher unsicheren Verhältnissen und sind potenziell von Obdachlosigkeit bedroht.»