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Ukraine

10 Briefe zeigen, wie verzweifelt die russischen Soldaten in Isjum waren

epa10229661 A destroyed tank not far from Izyum city of Kharkiv's area, Ukraine, 07 October 2022 amid Russia's military invasion. The Ukrainian army pushed Russian troops from occupied terri ...
Zerstörter russischer Panzer im Zentrum von Isjum, Ukraine, das nach monatelanger Besetzung befreit wurde.Bild: keystone

Gefundene Briefe zeigen die Verzweiflung der geflüchteten russischen Soldaten

Nach der Rückeroberung der Stadt Isjum fanden ukrainische Soldaten Briefe von demoralisierten, russischen Kämpfern. Einige Briefe sind hier zusammengefasst.
13.10.2022, 16:3313.10.2022, 17:14
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Die Stadt Isjum im Osten der Ukraine stand wochenlang in den weltweiten Schlagzeilen: Nach der Rückeroberung durch ukrainische Soldaten fanden diese Hunderte in den angrenzenden Wäldern vergrabene Leichen.

Ein neu publizierter Fund zeigt nun, was gut 10 Tage vor ebenjener Befreiung in den Reihen der stationierten russischen Soldaten vor sich ging: Zehn handgeschriebenen Briefe, datiert auf den 30. August, wurden in einem zweistöckigen Wohnhaus gefunden und zeichnen ein Bild von demoralisierten Truppen und einem überstürzten Rückzug.

Die Briefe wurden später der «Washington Post» zur Verfügung gestellt. In den Handschriften ist die Rede von niedergeschlagenen Truppen, die sich nach monatelangen Kämpfen verzweifelt nach Ruhe sehnen – und sich Sorgen um die Gesundheit und Moral der Kämpfenden machen. Einige baten ihre Vorgesetzten um Entlassung aus ihren Funktionen.

Ein Kommandeur eines Flugabwehrraketenzuges aus der Region Moskau schrieb:

«Ich weigere mich, meinen Dienst in der Spezialoperation auf dem Territorium der Ukraine wegen fehlender Urlaubstage und moralischer Erschöpfung zu erfüllen.»

Ein anderer Soldat bat um seine Entlassung mit der Begründung:

«(...)dass sich mein Gesundheitszustand verschlechtert und ich nicht die notwendige medizinische Hilfe erhalte.»

Ein anderer sagte, er leide unter «körperlicher und moralischer Erschöpfung.»

Auszug aus einem handschriftlichen Brief eines russischen Soldaten, der um seine Entlassung aus dem Dienst bittet, gefunden und fotografiert in Isjum, Ukraine.
Auszug aus einem handschriftlichen Brief eines russischen Soldaten, der um seine Entlassung aus dem Dienst bittet, gefunden und fotografiert in Isjum, Ukraine.

Andere beklagten, dass ihnen Urlaub verweigert wurde, um familiäre Verpflichtungen zu erfüllen, wie beispielsweise zu heiraten oder die Geburt eines Kindes zu erleben. Der ähnliche Wortlaut, in dem die zehn Briefe verfasst wurden, lässt vermuten, dass sich die Truppen zusammengetan haben, um sie zu verfassen. Die Briefe wurden teils von der Ukraine in den sozialen Medien verbreitet.

Auszug aus einem handschriftlichen Brief eines russischen Soldaten, der um seine Entlassung aus dem Dienst bittet, gefunden und fotografiert in Isjum, Ukraine.
Auszug aus einem handschriftlichen Brief eines russischen Soldaten, der um seine Entlassung aus dem Dienst bittet, gefunden und fotografiert in Isjum, Ukraine.

Die Echtheit der Briefe konnte noch nicht von unabhängigen forensischen Expertinnen bestätigt werden, aber die Originaldokumente, die «The Post» zugestellt wurden, befanden sich unter zahlreichen anderen, zurückgelassenen Habseligkeiten: Von Stiefeln und Uniformen bis hin zu handgemalten Unterstützungsbriefen von russischen Schulkindern.

Auszug aus einem handschriftlichen Brief eines russischen Soldaten, der um seine Entlassung aus dem Dienst bittet, gefunden und fotografiert in Isjum, Ukraine.
Auszug aus einem handschriftlichen Brief eines russischen Soldaten, der um seine Entlassung aus dem Dienst bittet, gefunden und fotografiert in Isjum, Ukraine.

Ein Bericht vom 23. August, der an den Kommandeur der 2. russischen motorisierten Schützendivision adressiert war und als «STRENG GEHEIM» und «äusserst dringend» gekennzeichnet war, wurde ebenfalls in besagtem Haus zurückgelassen.

Darin wird beschrieben, wie vier russische Soldaten durch ukrainischen Artilleriebeschuss im Dorf Kamjanka, etwa 75 Meilen nördlich von Isjum, getötet und einer verwundet wurde.

Die russischen Streitkräfte mussten überstürzt aus der Region fliehen, denn der ukrainische Vormarsch verlief schnell. Fast die gesamte Region Charkiw wurde innerhalb weniger Tage wieder unter ukrainische Kontrolle gebracht.

Auszug aus einem handschriftlichen Brief eines russischen Soldaten, der um seine Entlassung aus dem Dienst bittet, gefunden und fotografiert in Isjum, Ukraine.
Auszug aus einem handschriftlichen Brief eines russischen Soldaten, der um seine Entlassung aus dem Dienst bittet, gefunden und fotografiert in Isjum, Ukraine.

Die Briefe aus dem Wohnhaus können helfen, die Wende der Ereignisse zu rekonstruieren, die zum raschen russischen Rückzug aus der Region Charkiw führten. Sie sind ein Blick hinter die Kulissen der Truppen, die grösstenteils flohen, nachdem sie sich kaum gewehrt hatten.

(adi)

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43 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Jonas der doofe
13.10.2022 16:42registriert Juni 2020
Das ist die Andere Seite des Krieges. Russische Soldaten sind ebenso Ehemänner, Väter, Onkel oder Bruder. Und dass die keine Lust haben, von präzisionsgelenkter Munition zerfetzt zu werden, erstaunt nicht.

Was eher erstaunlich istvfür mich, ist, dass noch keine grosse Meuterei stattgefunden hat. Aber lange wird das wohl nicht mehr dauern...
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butlerparker
13.10.2022 16:45registriert März 2022
Diese Briefe zeigen die Sinnlosigkeit dieses Krieges (wie eigentlich aller Kriege) deutlich auf. Man kann den RUS Soldaten nur zurufen:

"Jungs, geht nach Hause, hier ist nicht Euer Platz":

Viele davon haben das offenbar schon verstanden. ist halt schon etwas anderes, gegen eine gut organisierte Armee zu kämpen, als Zivilisten ihre Habseligkeiten und Leben weg zu nehmen.

"russians, go home"
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MartinZH
13.10.2022 16:55registriert Mai 2019
Arme Kerle. Aber mein Mitleid hält sich in Grenzen.

Vertragssoldaten haben sich selbst in diese Situation hineinmanövriert. Wehrpflichtige können desertieren oder sich ergeben. Schlussendlich ist es immer noch besser, in einer Diktatur in den Knast zu wandern, als auf dem Schlachtfeld zu sterben. – Muss jeder für sich selbst entscheiden.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alle diese traurigen Soldaten-Schicksale und -Erlebnisse in der russ. Gesellschaft ankommen. Und je länger der Krieg geht, desto mehr setzt das Darübernachdenken ein. So ist die Mobilmachung im Prinzip der Anfang vom Ende.
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