Marschflugkörper Flamingo soll den Taurus für die Ukraine überflüssig machen
Mit ihren selbst entwickelten Kamikazedrohnen gelingen der Ukraine schon jetzt immer wieder Schläge, die weit in russisches Gebiet reichen. Zum Teil soll die ukrainische Armee Drohnenangriffe 2000 Kilometer von der eigenen Grenze entfernt durchgeführt haben.
Doch häufig bleiben die Angriffe auf Raffinerien, Rüstungsfabriken und Militärstützpunkte in ihrer Wirkung begrenzt. Denn die ukrainischen Drohnen fliegen recht langsam und können nur wenig Sprengstoff tragen. Nun aber muss sich Putins Kriegsmaschinerie auf eine neue Qualität von Attacken einstellen.
FP-5 Flamingo heisst der neu entwickelte Marschflugkörper, den die ukrainische Rüstungsfirma Fire Point in der vergangenen Woche vorgestellt hat. Der leichtfüssig klingende Beiname ist reine Ironie, denn mit einem Startgewicht von sechs Tonnen, einer Reichweite von 3000 Kilometern und einer Traglast von bis zu 1150 Kilogramm stellt die Waffe alles in den Schatten, was die ukrainische Armee bislang im Abwehrkampf gegen Russland im Arsenal hatte.
Additional details have been released about Ukraine’s new domestically-produced long-range cruise missile, dubbed the FP-5 “Flamingo” which is manufactured by Fire Point. According to an interview with Chief Technical Officer Iryna Terekh, the “Flamingo” has entered serial… pic.twitter.com/2D5GisrmFP
— OSINTdefender (@sentdefender) August 21, 2025
Zum Vergleich: Der deutsche Marschflugkörper Taurus soll eine Reichweite von 500 Kilometern und eine Traglast von 500 Kilogramm haben. Ukrainischen Medienberichten zufolge ist der Flamingo bereits im Kampf eingesetzt worden. Unklar ist aber, gegen welche Ziele. Diese von der Nachrichtenagentur AP veröffentlichten Aufnahmen sollen die Produktion des Flamingos an einem unbekannten Ort in der Ukraine zeigen:
FP-5 Flamingo: Einfache Bauweise ermöglicht Massenproduktion
Die Angriffe mit dem Flamingo dürften sich in der kommenden Zeit häufen. Nach Angaben des Herstellers befindet sich das Geschoss bereits in der Serienproduktion. Derzeit soll ein Exemplar pro Tag entstehen. Bis Ende des Jahres will Fire Point die Produktion fast versiebenfachen. Dann sollen etwa 200 Flamingos pro Monat bereitstehen. Möglich machen soll das auch die relativ einfache Bauweise des Marschflugkörpers: Statt mit einer ausfeilten Bordelektronik soll die Waffe ausschliesslich über GPS-Navigation ins Ziel geführt werden.
Ein Problem bei der Massenproduktion könnten aber die Raketenmotoren sein, wie der Waffenexperte Fabian Hoffmann von der Universität Oslo zu bedenken gibt. Die Mantelstromtriebwerke für den Flamingo werden von der ukrainischen Firma Motor Sich geliefert. «200 Exemplare pro Monat ist sicherlich optimistisch gerechnet», schreibt Hoffmann in seinem Fachblog «Missile Matters».
FP-5 Flamingo im Vergleich zum deutschen Taurus
«Aber die ukrainischen Hersteller haben bewiesen, dass sie mit ausreichenden Finanzmitteln die Produktion von Langstreckenwaffen schnell hochfahren können.» Und selbst mit 30 bis 50 Flamingos pro Monat hätte die Ukraine schnell einen Vorrat aufgebaut, so Hoffmann.
Was sind Marschflugkörper?
Marschflugkörper unterscheiden sich von ballistischen Raketen durch ihre Steuerbarkeit während des Flugs. Sie sind deshalb langsamer als ballistische Raketen und fliegen in etwa so schnell wie ein Passagierflugzeug. Ballistische Raketen haben dagegen eine parabelförmige Flugbahn und können Geschwindigkeiten von mehreren tausend Kilometern pro Stunde erreichen. Hyperschallraketen wie die russische Kinschal kombinieren hohe Geschwindigkeit mit Steuerbarkeit. Ihre technische Reife ist unter Fachleuten aber umstritten.
Doch die simple Bauweise des Marschflugkörpers bringt auch Nachteile mit sich im Vergleich zu etablierten westlichen Modellen. So dürften Modelle wie der deutsche Taurus oder die von Frankreich und Grossbritannien gelieferten Scalp EG/Storm Shadow dank verschiedener Navigationssysteme deutlich treffsicherer sein als der Flamingo.
Für Präzisionsangriffe beispielsweise auf die Brücke zwischen der besetzten Halbinsel Krim und dem russischen Festland kommt der neue Marschflugkörper daher womöglich nicht in Betracht. Dafür kann der Flamingo deutlich weiter fliegen als der Taurus mit seinen etwa 500 Kilometern Reichweite. Er übertrifft diesen auch bei der Traglast etwa um das Doppelte.
Das sind die grossen Trümpfe des FP-5 Flamingo
Verglichen mit den bisher eingesetzten Kamikazedrohnen der Ukraine treten die Vorzüge des Flamingo noch deutlicher hervor. Der Champion in Kiews Arsenal war bislang die AN-196 Ljutyj, die bis zu 2000 Kilometer weit fliegen kann. Allerdings kann die Ljutyj maximal 75 Kilogramm Sprengstoff ins Ziel tragen und wird im finalen Sturzflug nicht schneller als etwa 300 Kilometer pro Stunde. Der Flamingo dagegen soll mit einer Spitzengeschwindigkeit von 950 km/h ins Ziel gelangen. Dadurch ist er für die russische Flugabwehr schwerer abzufangen.
«Die relativ hohe Geschwindigkeit und das hohe Gewicht des Marschflugkörpers ermöglichen es dem Sprengkopf, vor der Detonation tiefer in bauliche Strukturen einzudringen und deutlich mehr Schaden anzurichten», schreibt Raketenexperte Hoffmann. Er taxiert den Schadensradius des Flamingos gegen befestigte Stahlbetonbauten auf 21 Meter, bei ungeschützten Zielen wie Ölraffinerien sogar auf 38 Meter. «Das heisst, selbst mit seiner geringen Zielgenauigkeit dürfte ein einzelner Flamingo sein Ziel zerstören, sofern er nicht vorher angefangen wird», so Hoffmann.
USA beschränken Waffeneinsatz gegen Ziele in Russland
Ein weiterer Vorteil des Flamingos ist, dass die Ukraine ihn ohne Erlaubnis anderer Länder auf russischem Boden einsetzen kann. Zwar hatten die USA der Ukraine nach langem Zögern im Jahr 2023 Raketen vom Typ ATACMS mit einer Reichweite von 300 Kilometern zur Verfügung gestellt; ihre Anzahl dürfte aber ziemlich gering sein und US-Präsident Trump hat Kiew offenbar erneut untersagt, die Raketen gegen Ziele in Russland einzusetzen, wie vorige Woche bekannt wurde. Trumps Vorgänger Joe Biden hatte diese Beschränkung ebenfalls nach langem Zögern erst nach seiner Abwahl im November 2024 aufgehoben.
Auch die von der Ukraine und den USA gemeinsam entwickelten Marschflugkörper vom Typ ERAM (Extended Range Attack Munition) sollen dieser Beschränkung unterliegen. In den kommenden Wochen soll die Ukraine die ersten von insgesamt 3350 ERAMs aus den USA erhalten. Die gemeinsame Entwicklung der Waffe mit einer Reichweite von 450 Kilometern hatte Kiew noch mit der Biden-Regierung ausgemacht. Doch wie das «Wall Street Journal» berichtet, wird die Ukraine Washington bei jedem ERAM-Einsatz gegen Ziele in Russland um Erlaubnis bitten müssen.
Die strategische Bedeutung des FP-5 Flamingo
Im Zweifel werden die Ukrainer also lieber auf ihr selbst entwickeltes Geschoss zurückgreifen, um Russland zu treffen. Bislang unerreichbare Ziele gibt es genug. Zuletzt haben sich die Ukrainer bei ihren Fernangriffen auf «weiche Ziele» wie Ölraffinerien oder Waffenfabriken konzentriert. Der Flamingo gibt Kiew nun die Möglichkeit, auch weiter entfernte und besser geschützte Einrichtungen zu treffen, etwa die Stützpunkte der strategischen Bomberflotte, mit denen Russland regelmässig ukrainische Städte terrorisiert.
Im Laufe des Krieges hat Russland die Bomber immer weiter weg von der Ukraine stationiert, um sie vor Angriffen zu schützen. Wichtige Basen wie der Militärflugplatz Olenja im hohen Norden Russlands oder Engels-2 in der Region Saratow liegen nun in direkter Schlagdistanz für Kiew. Die Basis in Olenja wurde erst Anfang Juni Ziel der ukrainischen «Operation Spinnennetz», bei der Geheimdienstagenten mehrere russische Flugzeuge mit Kleindrohnen aus der Ferne zerstörten. Solche Aufgaben könnte künftig auch der Flamingo übernehmen.
Seine volle strategische Wirkung dürfte der Marschflugkörper aber erst nach einem Sieg über Russland entfalten, glaubt Waffenexperte Hoffmann. «Ein Arsenal von 2000 bis 4000 Marschflugkörpern und Raketen, mit denen die Ukraine Russlands Wirtschaft innerhalb von 48 Stunden zerstören könnte, dürfte Moskau effektiv von einer weiteren Invasion abschrecken», schreibt der Politikwissenschaftler. Und:

