Die Bilder gleichen sich: In den sozialen Medien, aber auch im staatlichen ukrainischen Fernsehen machen Aufnahmen die Runde, wie ukrainische Soldaten russische Flaggen in der Region Kursk abhängen. In einem am Mittwoch aufgenommenen Video sind ein dreistöckiges Gebäude und drei Soldaten zu sehen, wie sie die Flagge herunterreissen und dabei rufen: «Ruhm der Ukraine!»
Klar ist, dass die ukrainischen Streitkräfte mit ihrer Offensive auf russischem Boden seit dem 6. August unerwartet viele Gebiete unter Kontrolle gebracht haben. Allerdings gehen die Angaben von beiden Seiten auseinander.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Olexander Syrskyj, hatten am Dienstag erklärt, dass die Armee mittlerweile eine Fläche von mehr als 1'000 Quadratkilometern sowie 74 Ortschaften unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Das wäre doppelt so viel, wie Russland seit Beginn dieses Jahres in der Ukraine erobern konnte.
Unabhängig lassen sich diese Angaben bisher nicht überprüfen. Die US-Denkfabrik «Institute for the Study of War» (ISW) geht in einer eigenen Zählung davon aus, dass die Ukraine 41 Ortschaften kontrolliere (Stand: Mittwochvormittag). Allerdings schränkt das ISW in einem jüngsten Briefing ein, dass es nur über wenige Informationen verfügt und nicht ausschliesst, dass die ukrainische Zählung stimmt. Das ukrainische Projekt Deepstate geht von etwa 44 russischen Ortschaften unter Kontrolle Kiews aus.
Mit der bisher beispiellosen Bodenoffensive auf russischem Gebiet verfolgt die Ukraine nach Angaben Selenskyjs gleich mehrere Ziele. Der Einfall seiner Truppen soll vor allem den Druck auf Moskau erhöhen, sich nach inzwischen fast zweieinhalb Jahren Angriffskrieg gegen die Ukraine auf Friedensverhandlungen einzulassen. Selenskyj sagte, ein gerechter Frieden komme auf diese Weise näher.
Die eroberten Flächen kann Kiew bei Verhandlungen als Faustpfand nutzen, weil es seine von den russischen Truppen besetzten Gebiete im Osten und Süden der Ukraine zurückhaben will. Das Aussenministerium in Kiew hatte betont, dass die ukrainische Seite anders als Russland kein fremdes Gebiet annektiere.
Deutlich machte Selenskyj zudem, dass er die neuen russischen Kriegsgefangenen für einen Austausch gegen Ukrainer benötige. Hunderte Russen hätten sich bereits in ukrainische Gefangenschaft begeben. Sie würden humaner behandelt als in der russischen Armee, sagte Selenskyj, der sich bei Auftritten in Kiew lächelnd und so gelöst zeigte wie seit Monaten nicht mehr. Kiew und Moskau haben bereits mehrfach Gefangene ausgetauscht.
Wie weit die Ukraine noch vordringen kann und ob die Gebietsgewinne von Dauer sind, ist ebenfalls unklar. Das ISW beruft sich auf Angaben von russischen Militärbloggern, die behaupten, dass viele ukrainische Stellungen bisher nicht stabilisiert wurden und dadurch auch leicht wieder in russische Hand fallen könnten.
Im russischen Militär gibt es offenbar Pläne, Soldaten aus der ukrainischen Oblast Donezk nach Kursk zu verlegen. Dabei soll Wladimir Putin offenbar seinem früheren Leibwächter Alexei Djumin das Kommando in Kursk übergeben haben. In der Region befindet sich zudem ein Atomkraftwerk, das sich bisher nicht unter ukrainischer Kontrolle befindet. Die russische Nationalgarde hatte aber zuletzt verkündet, die Bewachung des Kraftwerks zu verstärken.
Es kann doch nicht sein, dass russland seine Grenzen zur NATO völlig entblösst und diese Truppen gegen die Ukraine wirft, ohne dass das Konsequenzen hat. Zumindest einen drohenden Truppenaufmarsch müsste die NATO jetzt inszenieren, damit die herren im kreml ordentlich Muffensausen kriegen.