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Ukraine-Krieg: Die Kirchen nehmen eine ambivalente Rolle ein

Wie der Moskauer Patriarch staatliche Kriegspropaganda religiös untermauert

Stefan Kube, Chefredaktor der Zeitschrift «Religion & Gesellschaft in Ost und West», sprach an der Universität Luzern über den Ukraine-Krieg und die Rolle der Kirchen: Es sei bedenklich, wie der Moskauer Patriarch «staatliche Kriegspropaganda religiös untermauert».
28.03.2023, 11:20
Benno Bühlmann / ch media
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Stefan Kube
Stefan Kube.Bild: Institut G2W

Der vor einem Jahr begonnene Angriffskrieg Putins auf die Ukraine stellt auch für die christlichen Kirchen und die Ökumene eine enorme Belastungsprobe dar. Während der russische Patriarch Kyrill den Krieg theologisch rechtfertigt, versuchen die Kirchen in der Ukraine der notleidenden Bevölkerung zu helfen.

Dabei verstärkt sich auch die Konkurrenz der verschiedenen Ausprägungen der orthodoxen Kirchen im Land. Die überaus komplexe Situation in der Ukraine war am vergangenen Dienstag Gegenstand des ersten «Forums Ökumene» der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. Stefan Kube, Chefredaktor der Zeitschrift «Religion & Gesellschaft in Ost und West» sprach zum Thema «Der Krieg in der Ukraine und die Rolle der Kirchen» und stiess mit seinen Analysen beim Publikum auf reges Interesse.

Narrativ des «westlichen Wertezerfalls»

Im Gespräch mit dieser Zeitung bestätigt Stefan Kube, dass den Kirchen bei Konflikten dieser Art - wie so oft - eine ambivalente Rolle zukommt. So sei es nicht selten der Fall, dass die Religion in solchen Situationen sowohl als «Brandbeschleuniger» wie auch als «Friedensstifter» in Erscheinung treten.

Schwierig werde es vor allem dann, wenn von den kirchlichen Akteuren bestimmte Narrative bedient werden, die der Wirklichkeit nicht standhalten. So habe beispielsweise der Moskauer Patriarch Kyrill mehrfach von den «bösen Kräften» aus dem Westen gesprochen, welche die «Ereignisse» in der Ukraine verursacht hätten.

FILE - Russian Orthodox Church Patriarch Kirill prepares to conduct an Orthodox Epiphany service at the Epiphany Cathedral in Moscow, Russia, on Jan. 19, 2023. Pope Francis will visit Hungary at the e ...
Patriarch Kyrill.Bild: keystone

Bezeichnenderweise verwendet Patriarch Kyrill nicht das Wort «Krieg», sondern er spricht stets von «Ereignissen», die sich im Nachbarland abspielten. «Wie die politische Führung im Kreml sieht sich auch die Kirchenleitung des Moskauer Patriarchats in einer Verteidigungsposition gegen böse ausländische Kräfte», erklärt Stefan Kube. Die orthodoxen Gläubigen würden angeblich bedroht durch «liberale Werte» wie Säkularisierung, Pluralismus und Fragen sexueller Selbstbestimmung.

Umkehr von Tätern und Opfern

Kyrill stilisiere diese Vorgänge gar als apokalyptischen Kampf zwischen Gut und Böse, bei dem Russland Widerstand leisten müsse gegen die «Herrscher der Finsternis». Der Patriarch bemüht in diesem Zusammenhang sogar den Begriff der «ecclesia militans», der streitenden Kirche - eine Bezeichnung, die im 12. Jahrhundert von Alanus de Insulis geprägt wurde.

Stefan Kube stellt fest, dass es derzeit in Moskau mit Kyrill eine zutiefst politisierte Kirchenleitung gebe, welche eine «Täter-Opfer-Umkehr» betreibe. Es handle sich bei den Aussagen des Patriarchen um einen endzeitlichen Bedrohungsdiskurs, der «mit der staatlichen Kriegspropaganda Hand in Hand geht und diese religiös untermauert».

Zerreissprobe für orthodoxe Kirchen

Die polarisierenden Worte von Kyrill führen die Kirchen in der Ukraine zu einer schwierigen Zerreissprobe. So hätten sich beispielsweise die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) und die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (UGKK) bereits vor Kriegsausbruch dezidiert proukrainisch geäussert, wie Kube erklärt.

«Die OKU ist 2018 aus der Vereinigung zweier orthodoxer Kirchen im Land entstanden, und dieser neuen Kirche hat der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel Anfang 2019 die kirchliche Unabhängigkeit, die Autokephalie, zuerkannt.» Aus Protest hat danach das Moskauer Patriarchat die eucharistische Gemeinschaft mit Konstantinopel abgebrochen.

Auch die andere grosse orthodoxe Kirche in der Ukraine, die Ukrainisch Orthodoxe Kirche (UOK), die zum Moskauer Patriarchat gehört, hatte vor einem Jahr den russischen Angriff auf die Ukraine klar verurteilt: Deren Oberhaupt sprach bereits am ersten Kriegstag von «Bruderkrieg» und forderte die Führung der Russischen Föderation dazu auf, die Feindseligkeiten unverzüglich einzustellen.

In welcher Rolle spricht der Papst?

Nach wie vor unklar sei die Rolle des Papstes im Umgang mit dem Krieg in der Ukraine, meint Kube. Aus Rom vernehme man immer noch «ambivalente Signale». Da sei einerseits die humanitäre Hilfe des Vatikans und der emotionale Brief des Papstes an das ukrainische Volk vom 22. November 2022.

Zudem habe Kardinal Kurt Koch Ende Juni 2022 Kyrills pseudoreligiöse Rechtfertigung des russischen Angriffkrieges klar als «Häresie» bezeichnet. Andererseits war von Papst Franziskus mehrmals zu vernehmen, dass er erst nach Moskau und dann nach Kiew reisen wolle. Daraus schliesst Kube: «Der Papst scheint weiterhin an die Möglichkeit eines Dialoges mit Putin und Patriarch Kyrill zu glauben.»

Als besonders problematisch stuft Stefan Kube das Erbe der «strategischen Allianz» ein: Immer wieder habe das Moskauer Patriarchat die Notwendigkeit einer «strategischen Allianz» mit der katholischen Kirche als gemeinsame Bastion gegen eine Verweltlichung des Christentums betont. Das sei indessen eine Stossrichtung, die kaum aus der aktuellen Sackgasse führen könne. (aargauerzeitung.ch)

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37 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hans Jürg
28.03.2023 11:27registriert Januar 2015
Kyril war und ist eben ein guter KGB-Mitarbeiter. Er macht seinen Job und verdient sich damit noch eine goldene Nase. Religion ist für ihn wohl eher unwichtig, sondern nur Mittel zum Zweck.
Kriminell bleibt kriminell, selbst wenn man die Verbrechen im Namen Gottes begeht.
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Firefly
28.03.2023 12:14registriert April 2016
Kyrill ist kein religiöser sondern ein KGBler
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Tokyo
28.03.2023 11:32registriert Juni 2021
die christlichen Kirchen standen immer hinter den kriegsführenden Regimes
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37
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