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Ukraine-Krieg: Ist Pokrowsk das nächste Bachmut

Ist Pokrowsk das nächste Bachmut? Wie russische Angriffe eine Stadt auslöschen

Im Osten der Ukraine eskaliert die Lage – wieder einmal. Während der Krieg in vielen Teilen Europas nur noch als ferne Schlagzeile wahrgenommen wird, geht es in Pokrowsk um die Existenz.
22.04.2025, 21:2022.04.2025, 21:20
Anna Von Stefenelli / watson.de
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Russische Truppen bombardieren Pokrowsk in der ostukrainischen Region Donezk täglich. Die ukrainische Armee spricht vom heftigsten Vorstoss an der gesamten Frontlinie. Wie schlecht es nun um Pokrowsk steht, zeigt ein aktueller Bericht.

Was sich dort abspielt, erinnert viele an das Schicksal von Bachmut – eine Stadt, die nicht nur für in ihr begangene, grausame Kriegsverbrechen bekannt ist, sondern auch für pure Zerstörung.

Die Stadt Bachmut ist zum grössten Teil zerstört.
Die russische Armee zerstörte Bachmut weitgehend.Bild: RIA Novosti/Sputnik/imago images

Ukrainische Stadt Pokrowsk gleicht immer mehr einem einzigen Grab

39 Angriffe an einem einzigen Tag – das meldete der ukrainische Generalstab am 21. April. Kein anderer Abschnitt an der Frontlinie sei derzeit stärker unter Beschuss als Pokrowsk.

Wie das russische Militär dort operiert, erinnert fatal an die Offensive gegen Bachmut: Erst vor wenigen Wochen verlegte Russland Truppen aus dem nahegelegenen Torezk in Richtung Pokrowsk, wie das russische Exil-Medium Meduza berichtete. Dies ermöglichte es der Ukraine, dort Gelände zurückzuerobern.

Doch für Pokrowsk bedeutete dies eine neue Dimension der Gewalt. «Die KABs löschen Viertel für Viertel aus, 30 bis 60 Einschläge am Tag», schildert der ukrainische Fotograf Konstantin Liberow, der Anfang April in der Stadt war, bei Meduza. KABs sind lenkbare Fliegerbomben mit enormer Sprengkraft – sie hinterlassen Trümmer, Krater und Leichen.

«Pokrowsk wird buchstäblich zerlegt», sagte ein ukrainischer Offizier mit dem Funknamen «Alex» laut der Nachrichtenagentur Unian.

Tödliche Stille: Drohnen-Krieg tobt in Pokrowsk

Die russischen Streitkräfte setzen dabei neben Artillerie und Bomben auch moderne Drohnentechnologie ein. Über der Stadt kreisen unaufhörlich Aufklärungs- und Kampfdrohnen – einige davon sollen über Glasfaser gesteuert werden. Laut Liberow geht davon eine besondere Gefahr aus: «Es ist eine beängstigende Stille. Sobald du etwas am Himmel hörst, duckst du dich und betest, dass sie dich nicht sehen.»

In this photo provided by Ukraine's 93rd Kholodnyi Yar Separate Mechanized Brigade press service, a woman takes shelter in the basement of a multi-apartment building in Pokrovsk, the site of heav ...
Diese Frau harrt in Pokrowsk aus.Bild: keystone

Das amerikanische Magazin Forbes sprach Mitte April in einem Bericht von einer «Mauer aus Drohnen», auf die die russischen Truppen bei ihrem Vorstoss stiessen. Die ukrainischen Streitkräfte nutzen Pokrowsk als zentralen Logistikpunkt für ihre Truppen in der Region. Auch viele Drohnenoperatoren sind dort stationiert – sie konnten das Vorrücken der Russen bisher zumindest verlangsamen.

Vor dem Krieg lebten in Pokrowsk rund 46'000 Menschen. Heute sind es noch etwa 2000. Viele harren aus – trotz Bomben, trotz Hunger, trotz Leichen auf den Strassen. «Wohin sollen wir gehen? So ist es doch überall», zitierten Reporter Menschen, die sich in Kellern verstecken.

Ukraine-Krieg in Pokrowsk: «Die Leichen liegen überall»

Die Evakuierungen sind schwierig und gefährlich. Zuständig ist das ukrainische Polizeispezialkommando Weisse Engel. Sie holen Menschen aus den zerstörten Häusern, oft unter Granatfeuer. «Die Evakuierung läuft unter Explosionen und den Gebeten der Frauen», berichtete die regionale Polizei. Und sie bergen auch die Toten.

«Du gehst durch die Strassen. Und dieser Geruch – der Geruch von toten Menschen – ist unverkennbar», so beschrieb es etwa der Fotograf Liberow gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Sender Suspilne.

Auch in einem Instagram-Post äusserte er sich:

«Die Leichen liegen überall. Es gibt niemanden mehr, der sie wegbringen kann. Im besten Fall verscharren Nachbarn die Körper notdürftig im Garten. Im schlimmsten Fall bleiben sie einfach liegen – im Haus, auf der Strasse, wo sie vom russischen Beschuss getötet wurden. Es gibt keinen Ort, an dem man sich davor verstecken könnte.»

Unter den letzten Verbliebenen in Pokrowsk sind laut Liberow viele, die bereits zum zweiten oder dritten Mal fliehen mussten – aus Bachmut oder aus Awdijiwka. «Das sind Menschen ohne Hoffnung.» Dennoch gelingt es dem Team der Weissen Engel hin und wieder, Menschen zum Gehen zu bewegen.

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