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Was mit der Ukraine passiert ist? Klartext von Kenias UN-Botschafter

Video: watson/een

Uno streitet über Russlands Attacke – dann bringt es Kenias Vertreter auf den Punkt

22.02.2022, 11:5222.02.2022, 12:35
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Es war durchaus hitzig: Nach der Eskalation im Ukraine-Konflikt ist in der Nacht zum Montag der UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen. Die USA sehen die Handlungen als ersten Schritt zu einem vollständigen Einmarsch. Russland gab unterdessen der Ukraine die Schuld und drohte mit «äusserst gefährlichen Folgen». Moskaus Partner China hielt sich auffallend zurück.

Keines der Mitglieder des mächtigsten UN-Gremiums verteidigte Moskaus Entsendungsbefehl von Truppen in das Nachbarland.

>> Russland-Ukraine-Konflikt: Die neusten Entwicklungen

Für Aufsehen sorgte der Auftritt des UN-Botschafters Kenias. Martin Kimani analysierte die Situation in wenigen Worten. Ein Teil seiner Rede im Wortlaut:

«Herr Präsident, Kenia, wie fast alle Länder Afrikas, wurde durch das Ende eines Imperiums geboren. Unsere Grenzen waren nicht von uns selbst gezogen. Sie wurden in den fernen kolonialen Metropolen London, Paris und Lissabon gezogen – ohne Rücksicht auf die alten Nationen, die sie voneinander trennten.»
«Heute leben jenseits der Grenzen jedes einzelnen afrikanischen Landes unsere Landsleute, mit denen wir tiefe historische, kulturelle und sprachliche Bande teilen.»
«Hätten wir uns bei der Unabhängigkeit dafür entschieden, Staaten auf der Grundlage ethnischer, rassischer oder religiöser Homogenität anzustreben, würden wir heute – viele Jahrzehnte später – immer noch blutige Kriege führen.»

Ein Ausschnitt der Rede von Martin Kimani:

Video: watson
«Stattdessen einigten wir uns darauf, dass wir uns mit den Grenzen, die wir geerbt haben, zufriedengeben würden. Aber wir würden weiterhin eine kontinentale politische, wirtschaftliche und rechtliche Integration anstreben. Anstatt Nationen zu bilden, die mit einer gefährlichen Nostalgie immer weiter in die Vergangenheit zurückblicken, entschieden wir uns dafür, nach vorne zu blicken, auf eine Grösse, die keine unserer vielen Nationen und Völker je erlebt hatte.»
«Wir haben uns entschieden, den Regeln der OAU (Organisation für afrikanische Einheit) und der Charta der Vereinten Nationen zu folgen – nicht weil uns unsere Grenzen genügten, sondern weil wir etwas Grösseres wollten, das in Frieden geschmiedet wurde.»
«Wir glauben, dass in allen Staaten, die aus zusammengebrochenen oder sich zurückziehenden Imperien entstanden sind, viele Ethnien leben, die sich nach Integration mit den Ethnien der Nachbarstaaten sehnen. Das ist normal und verständlich. Denn wer möchte nicht mit seinen Brüdern verbunden sein und mit ihnen gemeinsame Sache machen?»
«Kenia lehnt es jedoch ab, dass eine solche Sehnsucht mit Gewalt verfolgt wird. Wir müssen unsere Erholung von der Glut toter Imperien auf eine Weise vollenden, die uns nicht wieder in neue Formen von Herrschaft und Unterdrückung stürzt.»
«Wir haben Irredentismus (die Zusammenführung möglichst aller Vertreter einer bestimmten Ethnie in einen Staat) und Expansionismus auf jeder Grundlage, einschliesslich rassischer, ethnischer, religiöser oder kultureller Faktoren, abgelehnt. Wir lehnen ihn auch heute ab.»
epa09776345 Ukraine Ambassador to the United Nations Sergiy Kyslytsya addresses a meeting on the situation between Ukraine and Russia at United Nations headquarters in New? York, New York, USA, 21 Feb ...
Bild: keystone

Der ukrainische UN-Botschafter Serhij Kyslyzja gab sich kämpferisch: «Wir werden standfest sein. Wir befinden uns auf unserem Grund und Boden. Wir haben vor nichts und niemandem Angst. Wir schulden niemandem etwas und wir geben niemandem etwas».

In this image provided by the United Nations, U.S. Ambassador to the United Nations Linda Thomas-Greenfield speaks during an emergency U.N. Security Council meeting on Ukraine, at the U.N. headquarter ...
Bild: keystone

Die US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield verurteilte die Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine durch Russland sowie die Entsendung von Truppen in die Regionen. «Darüber hinaus ist dieser Schritt von Präsident Putin eindeutig die Grundlage für den Versuch Russlands, einen Vorwand für eine weitere Invasion der Ukraine zu schaffen», sagte sie. Putin habe das Minsker Abkommen «in Stücke gerissen». Die Botschafterin kündigte schwere Konsequenzen für Moskau an.

epa09776340 Russian Ambassador to the United Nations and current Security Council President Vassily Nebenzia addresses an emergency meeting on the situation between Ukraine and Russia at United Nation ...
Bild: keystone

Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja tat diese und andere Wortmeldungen – unter anderem von Verbündeten wie Irland, Norwegen oder Albanien – als «emotionale Stellungnahmen» ab. In seiner Rede nahm er die Ukraine ins Visier. Diese habe «militärische Pläne» und beschiesse und provoziere Luhansk und Donezk. Nach Anerkennung der «Volksrepubliken» durch Moskau könne dies «äusserst gefährliche Folgen haben». Kiew habe das Minsker Abkommen nicht erfüllen wollen. Um einen Krieg zu vermeiden, müsse die Ukraine nun zu einem Ende seiner Provokationen gezwungen werden. «Wir beabsichtigen nicht, ein neues Blutbad im Donbass zuzulassen», sagte Nebensja.

Video: watson/een

Die Massnahmen für einen Einmarsch in die Ukraine, vor dem westliche Länder wochenlang gewarnt hatten, waren von UN-Generalsekretär António Guterres als Bruch der Charta der Vereinten Nationen bezeichnet worden – ein seltener Vorwurf gegen eine Vetomacht.

In this image made from UNTV video, China's Ambassador to the United Nations Zhang Jun speaks during an emergency U.N. Security Council meeting on Ukraine, at the U.N. headquarters, Monday, Feb.  ...
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Russlands engster Partner im Sicherheitsrat kam derweil nicht zur Hilfe: Nur 1:16 Minuten dauerte das Statement von Pekings Gesandtem Zhang Jun, in dem er sagte, dass alle internationalen Streitigkeiten «mit friedlichen Mitteln im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta» gelöst werden müssten.

Ein Analyse der Rede Putins:

Unter dem Eindruck der amerikanischen Aussage, dass ein Angriff auf die Ukraine ein Angriff auf die territoriale Integrität aller Staaten ist, entschieden sich auch eine Reihe von weiteren Ländern – darunter Gabun, Ghana und mit Abstrichen auch Brasilien – zu Kritik an Russland. Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate nahmen neutralere Rollen ein.

In this image made from UNTV video, Britain's Ambassador to the United Nations Barbara Woodward speaks during an emergency U.N. Security Council meeting on Ukraine, at the U.N headquarters, Monda ...
Bild: keystone

Wegen der Vetomacht Russland blieb der Sicherheitsrat am Montag wieder nur eine Bühne, auf der keine gemeinsamen Lösungen gefunden wurden. Einige Länder verwiesen darauf, dass der Konflikt weitergehe und ein nächster Schritt Putins viele Opfer zur Folge haben könnte: «Eine Invasion in der Ukraine entfesselt die Kräfte des Krieges, des Todes und der Zerstörung gegen die Menschen in der Ukraine. Die humanitären Auswirkungen werden für Zivilisten, die vor den Kämpfen fliehen, schrecklich sein», sagte die britische UN-Botschafterin Barbara Woodward. «Wir fordern Russland auf, einen Schritt zurückzutreten.» (sda/mlu)

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Putin, Nato und der Zankapfel: Der Ukraine-Konflikt einfach erklärt
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149 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Radio Eriwan - mit Echtheitszertifikat
22.02.2022 12:05registriert November 2020
Martin Kimani?
Noch nie von Ihm gehört, doch er bringt's selten präzis auf den Punkt.
Gerne mehr Inputs von solch aussergewöhnlichen Persönlichkeiten.
Crazy Vlad soll seine aufgeblasene Geheimdienstkarriere beenden, bevor er noch mehr Schäden anrichtet und seine Zaren-Träume vergessen.
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BernerSchädel
22.02.2022 12:22registriert Dezember 2020
Beeindruckende Aussagen des Kenianischen UN-Botschafters! Solchen Menschen sollte man Gehör verschaffen und nicht all diesen Säbelrasslern und Geschichtsverdrehern von Ost und West.
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Pontifax
22.02.2022 12:28registriert Mai 2021
Irre lassen sich nicht mit Worten stoppen. Sieht man ja bei Trump.
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