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Ukraine: Russland will Tschassiw Jar erobern – Zeit wird knapp

An Ukrainian serviceman of the 72nd Separate Mechanized Brigade, lights candles during a Christian Orthodox Easter religious service, in Donetsk region, Ukraine, Saturday, May 4, 2024. (AP Photo/Franc ...
Ein Soldat in der besonders umkämpften Region Donezk zündet Kerzen an: Am Wochenende feierten die Ukrainer bereits ihr drittes orthodoxes Ostern im Krieg.Bild: keystone

Wettlauf gegen die Zeit: Russlands Sturm auf Tschassiw Jar

In den nächsten Wochen und Monaten erreicht ein Grossteil der amerikanischen Waffenlieferungen die Front in der Ukraine. Die russische Armee weiss, dass ihr nicht viel Zeit bleibt.
06.05.2024, 19:3906.05.2024, 19:39
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Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Die russische Armee versucht in der Ukraine mit allen Mitteln, so viel Territorium wie möglich zu erobern – bevor die amerikanische Militärhilfe die ukrainischen Verteidiger erreicht.

Erste Lieferungen sind zwar bereits eingetroffen, doch es könnte Wochen oder gar Monate dauern, bis die Waffenlieferungen in ausreichender Zahl bei den ukrainischen Truppen ankommen, wie der britische Independent schreibt.

Pavel Luzin vom US-Thinktank Jamestown Foundation, sagt gegenüber dem Independent:

«[Die Russen] beeilen sich. Sie versuchen, ihre Kampfpositionen um jeden Preis zu verbessern, um die Ukraine zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand zu zwingen.»

Das bedeutet, dass die russische Armee ihre Kampfhandlungen massiv intensiviert. Was sie an Material und Soldaten haben, werfen sie an die Front.

Donbass im Fokus

Der Fokus der russischen Offensive liegt auf der ukrainischen Region Donezk, die Russland annektiert, aber noch nicht ganz unter Kontrolle hat. Im Februar eroberten die russischen Truppen Awdijiwka, kürzlich konnten sie auch Otscheretyne einnehmen.

Ein nächstes Ziel Russlands ist die Stadt Tschassiw Jar. Sie liegt in der Nähe von Bachmut, das Russland vor einem Jahr nach monatelangen Kämpfen unter grossen Verlusten erobern konnte. Tschassiw Jar ist strategisch wichtig, wie Michael Clarke, Gastprofessor für Kriegsstudien am King's College in London, gegenüber dem «Independent» sagt.

Screenshot Ukraine
Tschassiw Jar liegt etwa 5 km von Bachmut (unten rechts).Bild: Screenshot Google Maps

Von dort hätten die Russen Zugang in Richtung Norden – so könnten sie die Stadt Kramatorsk angreifen, oder weiter westlich in der Nähe von Dnipro, der viertgrössten Stadt der Ukraine.

Doch das ist nicht alles, wie Clarke ausführt:

«Es ist auch die natürliche Verteidigungslinie vor Kostjantyniwka im Südwesten, einer der grossen Städte im Donbass. Liegt das Momentum bei den Russen, werden sie versuchen, eine Reihe von Siegen von Tschassiw Jar über Kostjantyniwka und Pokrowsk bis hin zu Kramatorsk und Slowjansk zu erringen. Damit würden sie die Donbass-Region einnehmen.»
Überblick von Kiew (oben links) bis zum besonders umkämpften Gebiet in der Ostukraine.
Überblick von Kiew (oben links) bis zum besonders umkämpften Gebiet in der Ostukraine.Bild: Screenshot Google Maps

Tschassiw Jar unter Druck

Die Lage der ukrainischen Verteidiger in Tschassiw Jar ist derweil schwierig. Die russischen Angreifer verfügen über siebenmal mehr Artillerie. Die Ukrainer nutzten einen Kanal zu ihrem Vorteil, der westlich und südlich der Stadt verläuft. Doch laut «Independent» stellt die Konzentration russischer Truppen die ukrainische Armee vor Probleme. Ohne wirksame Stabilisierungs-Massnahmen werde Russland seinen zahlenmässigen Vorteil nutzen und den Kanal überwinden. Die Russen würden einen Brückenkopf auf der westlichen Seite errichten.

FILE - A Ukrainian tank of the 17th Tank Brigade fires at Russian positions in Chasiv Yar, the site of fierce battles with the Russian troops in the Donetsk region, Ukraine, Thursday, Feb. 29, 2024. ( ...
Ein ukrainischer Panzer feuert bei Tschassiw Jar auf russische Stellungen, 29. Februar 2024.Bild: keystone

Der ukrainische Generalmajor Wadym Skibizkyj warnte in einem Interview mit dem Economist eindringlich. Es sei wohl nur eine Frage der Zeit, bis Tschassiw Jar falle.

Gemäss «Independent» vermutet die Ukraine, dass Putin die Stadt bis am 9. Mai erobern will. Dann wird der Sieg über Nazi-Deutschland gefeiert. Sollte die Zeit nicht reichen, wäre Putins Besuch in China in der kommenden Woche ein nächstes Datum.

Ukraine kann weiter hoffen

Der ukrainische Abgeordnete Wadym Iwtschenko, Vertreter des Ausschusses für nationale Sicherheit, zeigt sich unbeeindruckt, wie der Economist schreibt.

«Die Russen können keine grossen Städte einnehmen.»
Wadym Iwtschenko
This photo taken from a drone video provided by Ukraine Patrol Police, shows a man walking through devastation in Chasiv Yar, an eastern Ukrainian city Russia is assaulting, Ukraine, Monday, April 29, ...
Tschassiw Jar wirkt wie ausgestorben, 29. April 2024.Bild: keystone

Die russische Armee könne nur kleine Dörfer und Landstriche einnehmen.

«Bei Bachmut, Awdijiwka und Tschassiw Jar sprechen wir von Städten mit Zehntausenden von Menschen. Die Russen haben die Städte einfach völlig zerstört. Keiner ist geblieben.»
Wadym Iwtschenko

Wenn sie weiterhin die russische Logistik angreift und ihre Artillerie-Vorräte aufstockt, könne die ukrainische Armee die Front wieder besser halten und Gebiete befreien, so Iwtschenko.

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95 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Liebu
06.05.2024 20:35registriert Oktober 2020
«Bei Bachmut, Awdijiwka und Tschassiw Jar sprechen wir von Städten mit Zehntausenden von Menschen. Die Russen haben die Städte einfach völlig zerstört. Keiner ist geblieben.»

So gesehen können die Russen wirklich keine Städte mehr einnehmen. Nur noch Schutt und verbrannte Erde, die sie selber angerichtet haben, wenn sie es überhaupt schaffen.
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Matte Lonkel
06.05.2024 21:26registriert Februar 2024
Die Diskussion um den weiteren Kriegsverlauf muss man nun auf der Grundlage der Erkenntnis stattfinden, das niemand der Ukraine zwei Woche Überlebenszeit gegen die russische Armee gegeben hat.
Zwei Jahre später ist allerdings immer noch so, das sich die Russen mit ihrer haushohen Überlegenheit an Artillerie täglich bis auf die Knochen mit erheblichen Schwächen blamieren und die Ukrainer bewiesen haben, dass sie taktisch wesentlich besser als die Russen aufgestellt sind und sich noch weiter verbessern werden.
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Bruno Meier (1)
06.05.2024 20:05registriert Juni 2018
Ich frage mich immer mehr, woher diese "Experten" ihre Informationen und Wissen haben.

Um Tschassiw Jar einnehmen zu können, müssen die RU die Stadt zumindest teilweise einkesseln, damit sie von mehreren Seiten gleichzeitig angreifen können. Davon sind sie noch weit entfernt. Danach müssen sie um jedes Haus, jeden Strassenzug einzeln kämpfen und besetzen. Das wird Wochen oder Monate dauern, so wie es bisher immer abgelaufen ist und nicht ein paar Tage. Dazu fehlen den RU die Mittel an der Front. Einen grossen Teil ihrer Armee halten sie ja zurück, mit Blick auf den möglichen grossen Krieg.
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