Warum Péter Magyar in Ungarn Viktor Orbán gefährlich werden könnte
Zum ungarischen Nationalfeiertag kamen am Donnerstag Zehntausende Menschen in der Hauptstadt Budapest zusammen. Der Tag erinnert an die studentischen Proteste gegen das Sowjetregime vom 23. Oktober 1956 und die spätere Gründung der Republik Ungarn 1989 am gleichen Datum. Doch die Menschen in Budapest feierten den Tag nicht etwa gemeinsam.
In Budapest fanden am Donnerstag zwei getrennte Veranstaltungen statt, die die aktuelle politische Situation in Ungarn passend wiedergeben. Ministerpräsident Viktor Orbán versammelt seine Anhänger auf dem Platz vor dem Parlament. Auf dem bis zu 200'000 Menschen fassenden Heldenplatz rief hingegen Péter Magyar zu einer weiteren Veranstaltung auf. Es sollte nicht etwa bloss eine Alternative zum Regierungsgedenken sein – es sollte eine direkte Gegendemonstration werden.
Denn Magyar ist aktuell der grösste Gegenspieler Orbáns und will diesen bei der Parlamentswahl im kommenden April als Regierungschef ablösen, nach 16 Jahren an Macht. Die Chancen dafür stehen gut, in Umfragen liegt er vor dem Dauersieger der vergangenen Jahre.
Dabei ist Magyar selbst erst seit eineinhalb Jahren ein öffentlicher Orbán-Kritiker, vielmehr war er zuvor selbst Mitglied in dessen Fidesz-Partei, arbeitete für die Regierung und war mit Orbáns zeitweiliger Justizministerin verheiratet. Nun kämpft er erbittert gegen den Ministerpräsidenten. Und auch, wenn er ihn und die Korruption im Land immer wieder anprangert, so ist Magyars Politik nur in Teilen ein Gegensatz zur bisherigen Regierungslinie.
Magyar reist durch das Land
Magyar gibt sich als Mann des Volkes, seit Wochen reist er durch das Land, tritt auch in kleinen Dörfern auf, teilweise an vier verschiedenen Orten pro Tag. Denn während Orbán sich immer weiter von der Bevölkerung entfernt und der direkte Kontakt immer weniger wird, ist Magyar genau in diese Lücke gestossen.
Er spielt dann mit den Leuten auch mal Volleyball oder Darts, reist mal mit dem Kanu, mal mit einer Kutsche, mal mit dem Fahrrad. Alles wird genauestens in den sozialen Medien dokumentiert und dort weiterverbreitet.
Magyar prangert vor allem Machtmissbrauch und Korruption innerhalb der ungarischen Elite an. Häufig spricht er dabei vom ungarischen «Mafia-Staat.»
Ein Skandal um seine Ex-Frau brachte Magyar ins Rampenlicht
Genau diese Thematik machte ihn einst bekannt. Jahrelang arbeitete er für die Regierung auf mittlerer Ebene, war politisch aber unbedeutend. Bekannt war vor allem seine heutige Ex-Frau Judit Varga, die von Orbán als Justizministerin berufen wurde und jahrelang weibliches Aushängeschild der Fidesz-Partei war. Sie stürzte aber Anfang 2024 über einen Eklat. Sie hatte der Begnadigung eines Mannes, der wegen Missbrauchs Minderjähriger verurteilt worden war, zugestimmt.
Als das herauskam, mussten sie und Staatspräsidentin Katalin Novák gehen. Ein Skandal für die Regierung, die sich stets als Beschützerin der Kinder darstellt und damit unter anderem ihr drastisches Vorgehen gegen Homosexuelle rechtfertigt.
Von Varga und Magyar waren zu dem Zeitpunkt bereits geschieden, dennoch war es quasi Magyars politische Geburtsstunde. Nach dem Rücktritt der beiden Politikerinnen gab er ein langes Interview, in dem er die Doppelmoral im Orbán-System anprangerte. Millionen sahen zu. Er wolle «aus dem System auszusteigen», gab er damals an.
Wenig später verliess er die Fidesz-Partei und trat in die bis dahin unbedeutende Partei Tisza (Respekt und Freiheit) ein. Innerhalb weniger Wochen versammelte er immer mehr Menschen hinter sich. Bei der Europawahl 2024 holte Tisza aus dem Stand fast 30 Prozent, Fidesz verlor acht Prozent und kam noch auf 44 Prozent.
Magyars Partei führt in den ungarischen Umfragen
Mittlerweile hat Magyar auch diesen Rückstand aufgeholt, seine Partei führt in den Umfragen, er ist der beliebteste Politiker des Landes. Ellen Bos, Politikwissenschaftlerin an der Andrássy-Universität Budapest, sagte jüngst dem RBB, die Tisza-Partei stelle eine «Alternative zum System Orbán» dar.
Inhaltlich hält sich Magyar allerdings bisher bedeckt, viele Themen abseits der Korruptionsbekämpfung hat er nicht. Zur Lage in der Ukraine äussert er sich etwa kaum. Auch zu anderen Themen schweigt er: Als sich im Juni bis zu 200'000 Menschen in Budapest versammelten, um auf der Pride Parade für die Rechte queerer Menschen einzutreten, war Magyar gerade im Urlaub. Womöglich hat er Sorge vor Orbáns Propagandamaschine. Dessen Verbündeten gehören die meisten Medien im Land. Und die machen permanent Stimmung gegen Magyar, verdrehen seine Aussagen.
In manchen Punkten gleicht Magyar Orbán auch
So bleibt an vielen Stellen unklar, wofür Magyar steht. Er bekenne sich zumindest dazu, «das Ansehen Ungarns in der EU und in der Nato wiederherzustellen», erklärte Bos. Auch europäische Positionen wie Rechtsstaatlichkeit, Klimaschutz und gemeinsame Verteidigung betone er. Dennoch wäre seine Wahl keine komplette Abkehr von der bisherigen Politik. So verdeutlichte Michael Winzer, Leiter des Budapester Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, im vergangenen Jahr bei t-online, Magyar wolle für eine «bessere, skandalfreiere Fidesz» stehen.
Beispielsweise will Magyar offenbar Orbáns Linie bei der Migration fortführen – oder noch verschärfen. So wirft er dem Premier Doppelmoral vor, weil dieser Zehntausende Arbeitsmigranten aus Nicht-EU-Ländern ins Land geholt haben soll. Auch darüber hinaus steht Magyars Auftreten nicht nur für Fortschritt. Im vergangenen Jahr verliess er eine Live-Sendung, weil ihm kritische Nachfragen nicht gefielen. Bei einer anderen Gelegenheit warf er das Handy eines Mannes in die Donau, als dieser ihn bei einer Party filmte.
Zudem erregte Magyar Aufsehen, als er den Mitschnitt eines privaten Gesprächs mit seiner Ex-Frau Varga veröffentlichte, in dem sie über Korruption in ihrem Ministerium spricht. Varga behauptete im Anschluss, Magyar habe sie zu Aussagen manipuliert und genötigt, die nicht stimmten. Er selbst bestreitet dies.
Trotz dieser Vorfälle scheint das ungarische Volk in Magyar einen Mann gefunden zu haben, der es mit Orbán aufnehmen kann. Die Chancen auf eine Machtablösung des dauerregierenden Premiers stehen so gut wie lange nicht mehr.

