Ein Datenleck zeigt, dass die äthiopische Regierung vor der Wiederwahl von Tedros Adhanom Ghebreyesus als WHO-Chef beinahe alles daransetzte, diese zu verhindern, wie der Tages-Anzeiger berichtet.
Äthiopische Beamte hätten versucht, Tedros mittels offenbar fabrizierter Vorwürfe der Korruption zu diskreditieren. Agenten der Regierung in Addis Abeba sollen ihn sogar rund um die WHO-Zentrale in Genf und bei seinem Haus im Kanton Waadt beschattet haben.
Dieses Vorgehen erstaunt, hat Tedros doch eine aussergewöhnliche Karriere und einen ausgezeichneten Ruf: Er war sieben Jahre Gesundheitsminister und danach vier Jahre Aussenminister Äthiopiens, bevor er Chef der WHO wurde.
Tedros war der äthiopischen Regierung offenbar zu kritisch geworden. Er gehört dem Volk der Tigray an – der grössten Bevölkerungsgruppe in der äthiopischen Region Tigray, wo von 2020 bis 2022 Bürgerkrieg herrschte. Die Regierung in Addis Abeba liess keine Lebensmitteltransporte nach Tigray mehr durch. Tedros kritisierte dieses Vorgehen öffentlich und nannte die Lage in Tigray «die schlimmste humanitäre Katastrophe weltweit». Opfer gab es auch in seiner eigenen Familie.
Das war der äthiopischen Regierung offenbar zu viel. Mails, die hauptsächlich vom äthiopischen Financial Intelligence Service stammen, wurden der britischen Aktivistengruppe «Distributed Denial of Secrets» zugespielt. Diese ist mit Wikileaks vergleichbar. Die Analyse der Mails wurde von der «Plattform zum Schutz von Whistleblowern in Afrika» (PPLAAF) zusammen mit der Nachrichtenagentur Bloomberg, der «Süddeutschen Zeitung», der südafrikanischen Zeitung «The Continent» und dem Recherchedesk von Tamedia durchgeführt.
Tedros berichtet derweil, seine Wohnung in Addis Abeba sei verwüstet und ausgeräumt worden. Weiter sei seine Schwiegermutter schikaniert und einer seiner Brüder zwei Monate lang festgehalten worden. Gemäss Menschen aus Tedros' Umfeld sei er in der Schweiz verfolgt worden, ausserdem habe er anonyme Drohanrufe erhalten. Einem Sohn von Tedros, der in Grossbritannien studiere, sei acht Monate lang der äthiopische Pass entzogen worden.
Die geleakten Dokumente zeigen, dass in Äthiopien umfangreiche Finanzermittlungen gegen Tedros und seine Familie eingeleitet worden seien. So wird ihm «Unterschlagung und Geldwäsche» vorgeworfen. Tedros bezeichnet diese Vorwürfe als «Verleumdungskampagne». Das Schweizer Bundesamt für Justiz antwortete dem «Tages-Anzeiger» auf eine Anfrage, Äthiopien habe im Zusammenhang mit Tedros noch nie ein Rechtshilfeersuchen an die Schweiz gerichtet.
Vor Tedros' Wiederwahl schickte die äthiopische Regierung dem höchsten WHO-Gremium einen Brief, in dem sie darum bat, dass Ermittlungen gegen ihn aufgenommen werden. Die WHO ging jedoch nicht darauf ein, da die Vorwürfe nicht weiter konkretisiert wurden.
Tedros Adhanom Ghebreyesus hofft derweil, eines Tages in sein Heimatland zurückkehren zu können.
(rbu)