Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit hat Joe Biden überraschend seine Macht als US-Präsident genutzt und entgegen vorheriger Aussagen seinen verurteilten Sohn Hunter begnadigt. Er habe seit seinem Amtsantritt gesagt, dass er sich nicht in die Entscheidungen des Justizministeriums einmischen würde, hiess es in der Erklärung von Biden zu der Begnadigung. Sein Sohn sei von der Justiz jedoch «ungerecht» behandelt worden.
Die Anklagen seien erst zustande gekommen, nachdem mehrere seiner politischen Gegner im Kongress diese angezettelt hätten, um ihm politisch zu schaden, schrieb Biden zur Begründung. «Kein vernünftiger Mensch, der sich die Fakten von Hunters Fällen ansieht, kann zu einem anderen Schluss kommen, als dass Hunter nur deshalb herausgegriffen wurde, weil er mein Sohn ist – und das ist falsch.»
Man habe versucht, «Hunter zu brechen» und auch ihn zu brechen, schrieb Biden. Er vertraue auf das Justizsystem, aber in diesen Fällen habe die Politik das Verfahren beeinflusst und zu einem «Justizirrtum» geführt. Er habe mit sich gerungen und am Wochenende die Entscheidung getroffen, seinen Sohn nun doch zu begnadigen.
Biden hatte mehrfach gesagt, dass er dies nicht tun werde. Seine Amtszeit endet mit der Machtübergabe an den designierten Präsidenten Donald Trump am 20. Januar.
Der Vorwurf, die US-Justiz als Waffe gegen einen politischen Gegner einzusetzen, erinnert stark an die Argumentation des designierten Präsidenten Trump. Die Strafverfahren gegen ihn, die sich angesichts seiner Präsidentschaft nun zumindest vorerst in Luft auflösten, bezeichnete Trump immer wieder als «unrechtmässig» und forderte ein «sofortiges Ende der politischen Instrumentalisierung» des Justizsystems.
In dem Verfahren wegen verschiedener Steuervergehen hatte sich Hunter Biden im September überraschend schuldig bekannt und so den Prozess in Los Angeles in letzter Minute abgewendet. Ihm war zur Last gelegt worden, Bundessteuern für mehrere Jahre nicht ordnungsgemäss gezahlt zu haben. Er habe Millionen für einen extravaganten Lebensstil ausgegeben, anstatt seine Steuern zu begleichen, lautet der Vorwurf. Seine Steuern zahlte Hunter Biden erst nachträglich.
Konkret geht es um die Jahre 2016 bis Mitte Oktober 2020. Die Anklageschrift listete genau auf, was Hunter Biden in jenen Jahren einnahm – unter anderem durch windige Auslandsgeschäfte und undurchsichtige Zahlungen eines «persönlichen Freundes». Vor allem aber die penible Auflistung delikater Ausgaben – etwa für Sexclubs, Stripperinnen und «Erwachsenen-Entertainment» – sorgte für grosses Aufsehen.
Laut US-Justizministerium drohten ihm in dem Fall bis zu 17 Jahren Haft. Die tatsächlichen Strafen für Bundesverbrechen lägen in der Regel aber unter den Höchststrafen, hiess es damals. Die Strafmassverkündung war für den 16. Dezember angesetzt.
In dem anderen Strafprozess war Hunter Biden im Juni wegen illegalen Waffenbesitzes verurteilt worden. In dem Fall wurde ihm zur Last gelegt, bei einem Waffenkauf im Oktober 2018 falsche Angaben gemacht und seine damalige Drogenabhängigkeit verschwiegen zu haben. Er wies die Vorwürfe zurück. Die zwölf Geschworenen sprachen ihn dennoch schuldig. Die Strafmassverkündung in dem Waffen-Verfahren sollte zunächst am 13. November verkündet werden, wurde dann aber auf den 4. Dezember verschoben.
Der Prozess in Delaware hatte jede Menge delikate private Angelegenheiten an die Öffentlichkeit gebracht. Unter anderem musste dort Hunter Bidens erwachsene Tochter Naomi Auskunft über die Drogenabhängigkeit ihres Vaters geben – ebenso wie die Witwe seines Bruders, mit der er nach dessen Tod eine Affäre hatte.
Dem Präsidentensohn drohten in dem Fall bis zu 25 Jahre Haft. Es galt allerdings als unwahrscheinlich, dass er zu einer solch hohen Haftstrafe verurteilt wird, da er nicht vorbestraft war. Experten zufolge hätte er auch ohne Haft davonkommen können.
Hunter Biden machte seit Jahren negative Schlagzeilen: Alkoholsucht, Drogenabhängigkeit, fragwürdige Geschäfte, rechtliche Streitigkeiten mit einer Ex-Stripperin über den Unterhalt für ein uneheliches Kind. Seine juristischen Probleme waren der Höhepunkt einer langen Serie von Eskapaden.
Republikaner nutzen das Straucheln des Sohnes seit langem für politische Angriffe gegen den US-Präsidenten. Joe Biden erklärte immer wieder öffentlich, dass er seinen Sohn liebe und stolz auf ihn sei. Er hatte auch klargemacht, dass er ihn nicht begnadigen oder seine Strafe abmildern werde – davon ist er nun abgerückt.
Heute habe ich eine Begnadigung für meinen Sohn Hunter unterzeichnet. Seit meinem Amtsantritt habe ich gesagt, dass ich mich nicht in die Entscheidungsfindung des Justizministeriums einmischen würde, und ich habe mein Wort gehalten, auch wenn ich mit ansehen musste, wie mein Sohn selektiv und ungerecht verfolgt wurde. Ohne erschwerende Faktoren wie die Verwendung in einem Verbrechen, mehrfache Käufe oder der Kauf einer Waffe als Strohmann werden Menschen fast nie vor Gericht gestellt, nur weil sie ein Waffenformular ausgefüllt haben. Diejenigen, die ihre Steuern aufgrund von schweren Abhängigkeiten zu spät bezahlt haben, diese aber später mit Zinsen und Strafen zurückzahlen, werden in der Regel nicht strafrechtlich belangt. Es ist klar, dass Hunter anders behandelt wurde.
Die Anklagen in seinen Fällen kamen erst zustande, nachdem mehrere meiner politischen Gegner im Kongress sie ins Rollen gebracht hatten, um mich anzugreifen und meine Wahl zu verhindern. Dann wurde ein sorgfältig ausgehandelter Deal, dem das Justizministerium zugestimmt hatte, im Gerichtssaal zunichte gemacht – wobei sich eine Reihe meiner politischen Gegner im Kongress dafür brüstete, dass sie politischen Druck auf den Prozess ausgeübt hatten. Hätte der Deal Bestand gehabt, wäre es eine faire, vernünftige Lösung für Hunters Verfahren gewesen.
Kein vernünftiger Mensch, der sich die Fakten von Hunters Fällen ansieht, kann zu einem anderen Schluss kommen, als dass Hunter nur deshalb so behandelt wurde, weil er mein Sohn ist – und das ist falsch. Es wurde versucht, Hunter zu brechen. Er ist seit fünfeinhalb Jahren nüchtern, trotz der unerbittlichen Angriffe und der selektiven Strafverfolgung. Bei dem Versuch, Hunter zu brechen, haben sie versucht, auch mich zu brechen – und es gibt keinen Grund zu glauben, dass es hier aufhören wird. Genug ist genug.
Während meiner gesamten Laufbahn habe ich einen einfachen Grundsatz verfolgt: Sag dem amerikanischen Volk einfach die Wahrheit. Es wird gerecht sein. Hier ist die Wahrheit: Ich glaube an das Justizsystem, aber während ich mit dieser Sache gerungen habe, glaube ich auch, dass die Politik diesen Prozess infiziert hat und zu einem Justizirrtum geführt hat – und nachdem ich diese Entscheidung an diesem Wochenende getroffen hatte, gab es keinen Sinn mehr, sie weiter hinauszuzögern. Ich hoffe, die Amerikaner werden verstehen, warum ein Vater und ein Präsident zu dieser Entscheidung gekommen ist.
(dab/sda/dpa)
Das wahre Problem ist, dass überhaupt eine einzelne Person Leute begnadigen kann. Die Trennung von Exekutive und Judikative funktioniert da nicht.