In welchen Albtraum die Hamas ihr eigenes Volk mit dem grausamen Terroranschlag auf Israel am 7. Oktober 2023 führen wird, hat Mark Dubowitz schnell erkannt. Nur eine Woche nach der Attacke forderte er im «Wall Street Journal», dass Länder wie Iran und Katar, die die Hamas über Jahre unterstützten, dringend Zivilisten aus Gaza aufnehmen sollten, um sie aus der Kriegszone zu bringen.
Zehntausende Menschenleben hätten so gerettet werden können, sagt der Nahost-Experte im Gespräch mit CH Media. Das Leid der Zivilbevölkerung interessiere dort jedoch niemanden. Ähnliches gelte für viele Länder in Europa: Man stellt sich moralisch auf einen hohen Sockel und zeigt mit dem Finger auf Israel – palästinensische Flüchtlinge ins Land holen will allerdings dann doch niemand.
Bislang musste sich auch niemand ernsthaft Gedanken um die Menschen in Gaza machen. Bis jetzt. Mit dem Plan von Donald Trump, den Küstenstreifen zu US-Territorium zu machen und knapp zwei Millionen Menschen dafür umzusiedeln, erschütterte der US-Präsident das Selbstverständnis der arabischen Staaten, aber auch vieler in Europa.
Hiesige Kommentatoren sind sich weitgehend einig: Trumps Plan ist Irrsinn. Mark Dubowitz sieht das anders. Im Interview erklärt er, warum.
Für uns in Europa klingt der Vorschlag von Präsident Trump, Gaza unter US-Kontrolle zu stellen und die palästinensische Bevölkerung umzusiedeln, mindestens unrealistisch. Manche würden ihn verrückt nennen. Wie beurteilen Sie den Plan?
Verrückte Ideen sind diejenigen, die immer und immer wieder ausprobiert wurden, gescheitert sind und nur zu mehr Krieg, mehr Blutvergiessen und mehr Elend geführt haben. Präsident Trump hat nun eine Option in den Raum gestellt, um die Leute zum Nachdenken anzuregen. Den Palästinensern soll das Recht eingeräumt werden, ein Kriegsgebiet zu verlassen und sich an einem sichereren Ort niederzulassen, während ihre Häuser und ihre Infrastruktur wieder aufgebaut werden. Trumps Position ist die propalästinensische.
Die antipalästinensische Position ist diejenige, die von der arabischen Welt, einer Reihe europäischer Länder und durch die Demokratische Partei in Amerika vertreten wird. Sie wollen, dass diese zwei Millionen Menschen in einem Kriegsgebiet bleiben, mit nicht explodierten Kampfmitteln und zerstörter Infrastruktur. Sie wollen, dass sie dort bleiben, weiter radikalisiert werden und weiterhin eine erhebliche Bedrohung für Israel und die Interessen der USA darstellen.
Das dürften die Palästinenser anders sehen. Viele wollen den Gaza-Streifen nicht verlassen.
Woher wissen Sie das?
Von Menschen aus der Region und Medienberichten von vor Ort. Wir haben kürzlich mit Hanya gesprochen, einer Lehrerin aus Gaza-Stadt. Sie sagte, sie wolle trotz Krieg ihre Heimat nicht verlassen. Viele sähen das so. Sie würden ganz sicher nicht gehen ohne die Garantie, dass sie später in ihre Heimat zurückkehren dürfen. Donald Trump will ihnen das verwehren, das hat er öffentlich so gesagt.
Zunächst einmal gibt es ebenso viele Videos von Palästinensern in Gaza, die sagen, dass sie gehen wollen. Ja, es wird auch Menschen geben, die bleiben wollen. Und einige, die nur gehen wollen, wenn es ein garantiertes Rückkehrrecht gibt. Ich bin dafür, ihnen das Recht zu geben, das Land zu verlassen. Ich würde es nicht unterstützen, sie unter Zwang zu vertreiben.
Aber genau das ist Donald Trumps Plan. Er sagte, die USA werden sich das Land nehmen. Das wäre ethnische Säuberung, ein Kriegsverbrechen.
Nicht wenn sie freiwillig gehen. Wissen Sie, Präsident Trump stellt solche Sachen einfach mal in den Raum. Ich habe ihn nie sagen hören, dass man die Bevölkerung unter Zwang vertreiben soll. Bei Trump ist es so: Man muss ihn ernst nehmen, aber nicht wörtlich. Man darf sich nicht zu sehr an jedem Wort aufhängen.
Wie ist sein Vorhaben also zu verstehen?
Donald Trump hat einen grundsätzlichen Plan für Gaza formuliert. Einen konzeptionellen Rahmen, über den die Leute jetzt nachdenken sollen. Natürlich gibt es noch viele Details zu klären. Bei Trump geht es immer auch um Verhandlungspositionen. Er wirft eine 11 in den Raum und schraubt sie dann zu einer 7 herunter. Das ist die Art, wie er verhandelt. Er zwingt alle anderen damit, sich die Frage zu stellen, was eigentlich die Alternative ist. Er sagt, dass es keine Option ist, dass zwei Millionen Menschen unter diesen Bedingungen in Gaza bleiben. Für die Palästinenser ist das keine Option. Für die Israelis ist das keine Option. Es wird nur zu mehr Radikalisierung und mehr Kriegen führen. Sie sollen zeitweise die Region verlassen und ich persönlich denke, sie sollten zurückkehren können, wenn das Territorium wieder aufgebaut wurde.
Bleibt ein weiteres Problem: Wohin sollen sie gehen?
Ich finde, sie sollten in die Schweiz gehen. Ein wunderschöner Ort, mit viel Platz.
Na ja, so viel Platz, wie Sie vielleicht meinen, haben wir auch nicht.
Nun, das war ein Witz. Aber was ich andeuten will: Es gibt zwei Millionen Palästinenser und viele Länder, die 10'000, 50'000 oder 100'000 aufnehmen könnten. Ägypten hat den gesamten Sinai. Dort leben nur sehr wenige Menschen. Es gibt keinen Grund, warum man im Norden des Sinai nicht Städte, Dörfer, Schulen und Moscheen bauen könnte. Oder Jordanien: ein mehrheitlich palästinensisches Land. Die Saudis haben riesige Mengen an Territorium, wo sie Palästinenser unterbringen könnten. Die Iren, die behaupten, so propalästinensisch zu sein. Katar, das die Hamas all die Jahre finanziert hat, hat für die Fussball-Weltmeisterschaft Zehntausende Wohnungen gebaut, die jetzt leer stehen. Der Iran, der Jahrzehnte damit verbracht hat, die Hamas zu finanzieren. Wir haben diese grosse Ironie in der Welt, in der jeder behauptet, propalästinensisch zu sein, und in der dennoch niemand tatsächlich Palästinenser in sein Land lassen will.
Warum nehmen diese Länder keine Menschen aus Gaza auf?
Der Grund ist, dass alle diese Länder denken, die Palästinenser seien Unruhestifter und verursachten nur Gewalt und noch mehr Terrorismus. Ich spreche die ganze Zeit mit arabischen Führern. Öffentlich sagen sie, dass sie sich um die Palästinenser kümmern. Privat hört sich das ganz anders an. Sie verachten die Palästinenser. Sie wollen keine Palästinenser in ihren Ländern. Es ist also viel einfacher für sie, mit dem Finger auf die Israelis und die Amerikaner zu zeigen und zu sagen, oh, wie schrecklich die Palästinenser behandelt werden. Die Realität ist, dass sie keine Palästinenser in ihrem Land haben wollen. Auch die europäischen Länder – nicht die Schweiz – waren absolute Heuchler, wenn es um dieses Thema geht. Was Trump nun tut, ist, diese Heuchelei zu entlarven.
Aber was ist Trumps Idee dabei? Geht es letztlich nur darum, Druck auf die arabischen Länder auszuüben?
Trump will, dass die arabischen Länder, aber auch andere weltweit, so viele Palästinenser wie möglich aufnehmen. Beim Wiederaufbau in Gaza werden die Israelis massive Mengen an Sicherheitskräften einsetzen müssen. Die Armee wird Handlungsfreiheit haben müssen, um gegen die Hamas vorzugehen. Es ist klar, dass die Hamas bleiben wird, wenn man die Palästinenser dort belässt. Die Palästinenser können, nachdem sie ein Programm zur Deradikalisierung durchlaufen haben, in ein anständiges Zuhause zurückkehren. Und das ist der Punkt, an dem die Saudis und insbesondere die Emiratis eine Rolle spielen müssen. Sie müssen helfen, das ideologische Gift abzulassen, mit dem der Iran und die Muslimbruderschaft das palästinensische Gemeinwesen über viele Jahre hinweg infiziert hat.
Will Trump am Wiederaufbau mitverdienen?
Ich glaube nicht, dass das seine Motivation ist. Viele Leute glauben das, und er nährt diese Wahrnehmung auch. Aber ich denke, er war wirklich vom 7. Oktober betroffen. Und er sah die israelischen Geiseln, die aus Gaza kamen und aussahen, als kämen sie gerade aus einem Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg. Und er ist emotional berührt, weil er das Leid in Gaza sieht. Trump hat die Vorstellung, dass sich etwas grundlegend ändern muss, und er ist einfach sehr frustriert über die Optionen, die ihm präsentiert werden. Nicht nur von Leuten innerhalb seiner Regierung, sondern auch von arabischen Ländern und den Europäern.
Viele werben nach wie vor für die Zwei-Staaten-Lösung.
Die Zwei-Staaten-Lösung wird seit hundert Jahren versucht. Sie wurde von den Palästinensern immer und immer wieder abgelehnt. Und es gibt keine Möglichkeit, dass Israel einen terroristischen Staat an seinen Grenzen in Gaza und im Westjordanland toleriert. Und wir werden die Israelis nicht zwingen, diese Art von Drohung zu akzeptieren. Die Zwei-Staaten-Lösung ist eine tote Idee. Es braucht neue Ideen. Und Reaktionen gibt es bereits: Die Ägypter arbeiten an einem Plan. Die Arabische Liga auch. Die Saudis, auch die Jordanier arbeiten an einem Plan. Jeder versucht jetzt herauszufinden, wie er auf Präsident Trump reagieren soll. Denn wenn sie es nicht tun, wird seine Idee, so wie er sie formulierte, vielleicht Wirklichkeit. Und Gaza wird US-Territorium mit einem Luftwaffenstützpunkt.
Wie realistisch ist es, dass das so funktioniert, wie Sie es beschrieben haben?
Ich denke, es ist realistischer als alle anderen Alternativen. Trumps Plan ist nicht grossartig, aber viel besser als die anderen Optionen. Und ich denke, Trump erzwingt eine wirklich wichtige Diskussion und zwingt die Länder und die Palästinenser selbst, sich ihre Realitäten genau anzusehen.
Was meinen Sie damit?
Es hat seinen Preis, Kriege zu beginnen und zu verlieren, das war im Laufe der Menschheitsgeschichte immer so. Wenn man einen Krieg beginnt und verliert, verliert man sein Land. Bei den Palästinensern gibt es diese grosse Ausnahme, die besagt, dass man Israel weiter angreifen kann, man kann immer wieder verlieren und wird von der internationalen Gemeinschaft immer weiter unterstützt. Das ist ein verrücktes Anreizsystem. Wegen Trump müssen sie jetzt eine Entscheidung treffen: Entweder sie verpflichten sich zum Frieden und dazu, den Terrorismus und die Gewalt zu beenden, oder sie werden ihr Land ganz verlieren. Die arabische Welt, die nichts für die Palästinenser getan hat, ausser das Blutvergiessen und die Radikalisierung zu nähren, muss jetzt Verantwortung übernehmen für die Menschen, die ihnen angeblich wichtig sind. Jeder US-Präsident bisher hat es mit Zuckerbrot probiert. Trump ist der erste mit Zuckerbrot und Peitsche. (aargauerzeitung.ch)
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