Begonnen hatte es schon vor Monaten. «Ich mache mir grosse Sorgen wegen dieser grossen amerikanischen Sonnenfinsternis am 8. April», schrieb ein Nutzer im Januar auf der Internet-Plattform «Reddit». Es sei zu befürchten, das astronomische Phänomen könne zu «einem massiven Menschenopferereignis» führen. Geplant angeblich von einer nicht konkreter benannten Gruppe von Eliten. «Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie alle irgendeinen Bunker haben», munkelte die Person. Jeder solle versuchen, selbst Schutz zu suchen. Man könne «diesen Psychopathen nicht trauen».
Derlei Verschwörungstheorien sind im Internet zwar zu allen möglichen Themen alltäglich. Doch die totale Sonnenfinsternis, die am 8. April in weiten Teilen der USA zu beobachten war, führt zu einem besonderen Anstieg solcher Absurditäten. Bemerkenswert: christliche und rechte Extremisten und sogar prominente amerikanische Politiker nutzen das Sonne-Mond-Ereignis, um im Wahljahr Stimmung für Trump zu machen und bei bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zu punkten.
Ganz vorne mit dabei ist die als Verschwörungsideologin und extreme Trumpistin wohlbekannte Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Greene. Die 49-Jährige verbreitet seit Jahren unter anderem QAnon-Verschwörungstheorien. Mal geht es um einen anti-satanischen Kampf von Trump, mal um eine angebliche Todesliste von Hillary Clinton, mal um ihre Behauptung, Amokläufe an Schulen seien nur inszeniert. Schon Tage vor der diesjährigen Sonnenfinsternis schrieb die enge Trump-Vertraute auf der Plattform X: «Gott sendet Amerika starke Zeichen, um uns zur Umkehr aufzufordern. Erdbeben, Finsternisse und vieles mehr stehen uns bevor. Ich bete, dass unser Land zuhört.»
Weil ihr wegen dieser Botschaft sofort viel Kritik entgegenschlug, legte sie kurz darauf nach: «Viele haben sich über diesen Beitrag lustig gemacht und ihn verspottet», schrieb Greene und berief sich sogleich auf eine Bibelstelle aus dem Lukas-Evangelium. Sie bleibe dabei: «Gott hat all diese Dinge erschaffen und nutzt sie als Zeichen für diejenigen unter uns, die daran glauben.»
Man mag solche Äusserungen als irre abtun. Aber sie verfolgen ein klares Ziel: Trump und seine «Make America Great Again»-Bewegung versuchen derzeit vor allem evangelikale Wähler zu umwerben. Zuletzt startete Trump etwa den Verkauf von eigenen Bibel-Ausgaben, um Spendengelder einzusammeln. Ein von ihm selbst verbreitetes inoffizielles Wahlkampfvideo mit dem Titel «Also schuf Gott Trump» erkor den ehemaligen Präsidenten schon vor Monaten gar zu einer Art modernem Messias (Mehr dazu lesen Sie hier). Und evangelikale Fernsehpastoren huldigten ihrerseits Trump jüngst öffentlich mit Sätzen wie: «Die Hand Gottes liegt auf ihm und er kann nicht aufgehalten werden.»
Eine Studie des «Pew Research Center» beschrieb im März, dass weisse, evangelikale Protestanten mit Abstand jene Gruppe unter erwachsenen Amerikanern sind, die Donald Trump am meisten schätzen. 67 Prozent von ihnen sind von ihm überzeugt. In der gesamten Bevölkerung lehnen hingegen 60 Prozent Donald Trump ab. Für Trump lohnt es sich also, die Evangelikalen gezielt anzusprechen, insbesondere in Bundesstaaten, die hart umkämpft sind. Die «Faith & Freedom Coalition», eine extrem christlich-konservative Lobby-Organisation, plant darum auch, 60 Millionen US-Dollar zu investieren, um bei dieser Gruppe für Trump zu werben.
Mit Blick auf die Sonnenfinsternis fügen sich Verschwörungstheorien und vieldeutige Anspielungen nahtlos ein in Erzählungen aus dem rechten, christlichen Spektrum Amerikas. Auf Webseiten wie «American Wake Up Call» wird die Sonnenfinsternis etwa als Weckruf beschworen, wonach die USA noch eine zweite Chance bekämen, wenn sich nur genügend Menschen angesichts dieses Ereignisses zusammenfänden, um gemeinsam zu beten.
«Unsere Nation steckt in ernsthaften Schwierigkeiten», ist auf der Seite zu lesen. Als Indizien dafür werden vage angeführt: «Terroranschläge, Korruption in der Regierung, Kriminalität, Wirtschaftskatastrophen, Krankheiten, Kriegsgerüchte und Kinderopfer». Sonnenfinsternisse seien als Wunder, die schon in der Bibel als «Dunkle Sonnen» beschrieben würden, eine Art «PR von Gott», um auf die prekäre Lage der «Gottesnation» hinzuweisen.
Wie sehr die Sonnenfinsternis im Trump-Lager benutzt wird, um religiöse Ängste zu schüren, zeigen auch Newsletter, die der evangelikale Pastor und Republikaner Jackson Lahmeyer verschickt. Der christliche Extremist gehört zu den Gründern der sogenannten «Pastors4Trump», einer Gruppe christlicher Pastoren, die Trump unterstützen. Sie wollen ihre Gemeinden auch 2024 auf den ehemaligen US-Präsidenten einschwören, um ihn zurück ins Weisse Haus zu bringen.
In Jackson Lahmeyers Newslettern kommt alles zusammen. Der Republikaner-Pastor, der 2022 selbst erfolglos für den US-Senat kandidierte, wirbt darin einerseits für anstehende Kirchenevents mit Trumps ehemaligen Anwalt Rudy Giuliani oder für Trumps ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater, dem vollkommen ins Verschwörungsumfeld abgedrifteten Michael Flynn. Andererseits überschreibt Lahmeyer seine Info-Mails mit der beschwörenden Frage: «Totale Sonnenfinsternis: Ist das Ende da?»
Der Trump-Pastor kündigt für diesen Montag deshalb in seiner Sheridan-Kirche in Tulsa, im Bundesstaat Oklahoma, eine Predigt zu den «Zeichen der Zeit» an, die er auch auf seinem Youtube-Kanal übertragen will. In seiner Kirche hetzt Lahmeyer regelmässig gegen Homosexuelle und Transsexuelle. Einen Gastauftritt in seinem Gottesdienst hatte zuletzt Donald Trumps Schwiegertochter Lara Trump, die kürzlich zur Co-Parteivorsitzenden der Republikaner gewählt wurde. Von Trump selbst bekam Lahmeyer für sein Engagement bei «Pastors4Trump» im Jahr 2022 ein Dankesschreiben, das er stolz auf seiner Webseite präsentiert.
Wie sehr auch Trump selbst die Sonnenfinsternis zum Anlass nimmt, um sich zu inszenieren, zeigte der Präsidentschaftskandidat mit einem bizarr wirkenden Wahlkampfvideo. Trump verbreitete es wenige Stunden vor dem Ereignis auf seiner Plattform «Truth Social». Zu sehen ist der Kopf von Trump, der sich quasi als Mondschatten vor die Sonne schiebt. Überschrieben ist das Video mit den Worten: «Der wichtigste Moment in der Geschichte der Menschheit». Es endet mit Trumps Wahlkampf-Spruch: «Wir werden Amerika retten und es wieder grossartig machen».
OMG, President Trump just released this #SolarEclipse video on Truth 🤣🤣🤣👇 pic.twitter.com/yoWsVWgsi9
— Vince Langman (@LangmanVince) April 8, 2024
So schliesst Trump einmal mehr den Kreis zum Christentum. Denn wie auf der Webseite «American Wake Up Call» beschrieben, gilt einigen die Sonnenfinsternis als «zweite Chance», als Wiederkehr des Messias. Und viele Evangelikale sehen Trump eben schon lange als von Gott gesandt an. Der konservative Kongressabgeordnete Barry Loudermilk verglich Trump schon 2020 mit Jesus, als dem damaligen Präsidenten gerade eine Amtsenthebung drohte.
Hinter dieser absurd wirkenden Messias-Behauptung steckt allerdings ein klares Kalkül vonseiten der Konservativen. Trump gilt für sie als Vollstrecker einer Agenda, die zu einem weiteren harten Politikwechsel in Amerika führen soll. Dank Trumps Neubesetzung der Richter am Obersten Gerichtshof der USA konnte bereits die bisherige Abtreibungsregelung gekippt werden. Es war der grösste, politische Sieg, den Amerikas christliche Rechte seit Jahrzehnten feiern konnte. Eine zweite Amtszeit Trumps soll ihnen nun weitere christlich-konservative Erfolge bescheren.
Könnte die Sonnenfinsternis auch damit zu tun haben, dass sich der Mond auf seiner Umlaufbahn für kurze Zeit die Sonne verdeckt? Wäre vielleicht auch eine Erklärung, wenn auch einen sehr weit hergeholte.
Und dann diese abgedrehten Evangelikalen, die den armen Mond als Messias-Botschafter verschreien. Das Ganze erinnert mich an eine Mischung aus Monty Python und einer Folge von South Park - nur dass es leider Realität ist.
Der Messias-Komplex des ehemaligen Präsidenten kennt scheinbar keine Grenzen mehr.