Die Aufmerksamkeit, die ihm aktuell zuteilwird, dürfte nie mehr so gross sein wie jetzt: Tim Walz wurde von Kamala Harris als Running Mate auserkoren, um gemeinsam gegen Donald Trump und dessen Vize J.D. Vance im Kampf um das US-Präsidentenamt anzutreten. Beim ersten gemeinsamen Auftritt versprühte das Duo Harris/Walz jede Menge positive Energie. Der Gouverneur von Minnesota liess es sich aber nicht nehmen, bereits aus vollen Rohren gegen die republikanische Konkurrenz zu schiessen.
Es war sein grosser Auftritt: Jedes Detail, jede Handlung von Walz wird kurz nach seiner Ernennung mit Argusaugen beobachtet. Und auch in der Vergangenheit des bis vor kurzem national noch nicht sehr bekannten US-Politikers wird gewühlt.
Während demokratisch orientierte US-Medien wie CNN Walz' Verdienste hervorheben, liessen den Republikanern zugeneigte Publikationen wie Fox News keine Zeit verstreichen, um nach Argumenten zu graben, welche den 60-jährigen Walz in ein schlechtes Licht rücken.
Hier sind deshalb je vier Argumente, die für und gegen Walz sprechen.
Obwohl sich Kamala Harris und Tim Walz blendend zu verstehen und viele politische Werte zu teilen scheinen, könnten ihre Leben und ihr Hintergrund nicht unterschiedlicher sein. Hier die von Migranten abstammende Grossstädterin, Karrierefrau und Feministin aus Kalifornien. Und auf der anderen Seite ein weisser Mann aus einer Kleinstadt im Mittleren Westen, der in der Nationalgarde diente, lange als Geografielehrer arbeitete und passionierter Jäger ist.
Genau wegen dieser Gegensätze attestiert beispielsweise die New York Times Walz, eine ideale Ergänzung für Harris zu sein. Der 60-Jährige, der in seinen Wahlkämpfen auch gerne mal im T-Shirt und mit Tarn-«Dächlichappe» auftrat, versprühe eine «Midwestern dad energy», also die Energie eines bodenständigen Familienvaters aus dem Mittleren Westen der USA.
Mit diesem Profil könne er trotz seiner liberalen Ansichten bezüglich Abtreibungsrechten oder seiner Haltung bezüglich Waffengesetzen (siehe unten) Bevölkerungsgruppen ansprechen, die sich mit Harris kaum identifizieren können. Walz sei ein Typ, mit dem sich bei einem Barbecue einfach jeder gerne unterhalten würde.
Walz setzte sich in seiner politischen Karriere stets mit Nachdruck für familienfreundliche Massnahmen ein. Im vergangenen Jahr kündigte er an, dass er als Gouverneur von Minnesota, seinen Bundesstaat zum besten in den USA machen wolle, wenn es darum geht, Kinder grosszuziehen.
Laut CNN liess er diesen Worten Taten folgen: So hat er Steuererleichterungen für Familien mit wenig Einkommen eingeführt, ein Programm geschaffen, bei dem Schülerinnen und Schüler kostenloses Frühstück und Mittagessen erhalten und einen bezahlten Familien- und Krankenurlaub eingeführt. Finanziert werden die Programme durch Lohnabzüge.
Obwohl Walz bei vielen Themen klare progressive Meinungen vertritt und auch seine politischen Gegner durchaus scharf attackieren kann – wie auch sein erster gemeinsamer Auftritt mit Harris zeigte –, gilt er als umgänglicher Typ.
Er setzt sich für seine Anliegen nicht mit ideologischer Vehemenz, sondern mit Pragmatismus ein. So ist er durchaus auch bereit, Kompromisse mit politischen Gegnern auszuhandeln, wenn diese insgesamt zu einer Verbesserung der Situation beitragen.
Mit dieser Einstellung, so die Theorie, könnte Walz helfen, auch Stimmen von moderaten Republikanern, die mit Trump nichts anfangen können, zu gewinnen. Die NYT schreibt, Walz habe in seinen zwei Jahrzehnten in der Politik eine seltene Fähigkeit perfektioniert: Konstruktive Gespräche mit Konservativen zu führen.
Walz war verglichen mit Josh Shapiro und Mark Kelly in den USA national lange Zeit eher wenig bekannt. Dass er in den vergangenen Wochen plötzlich zum Mitfavorit auf den Posten als Running Mate von Harris aufstieg, ist einem geschickten kommunikativen Schachzug zu verdanken. Die Strategie der Demokraten, Trump und J.D. Vance als «weird» zu bezeichnen, geht nämlich auf Walz zurück. Verschiedene liberale US-Medien attestieren ihm deshalb ein «feines Gespür für politische Kommunikation».
Die ganze Geschichte rund um die «weird»-Kampagne gibt es hier:
Tim Walz politisiert gegenüber Mark Kelly und Josh Shapiro linker und damit näher an Kamala Harris. Walz setzt sich ausdrücklich für das Recht von Frauen auf Schwangerschaftsabbrüche ein, ebenso für die Rechte und den Schutz von LGBTQ-Menschen und die Umverteilung von Vermögen, wie beispielsweise bei seinen Familienunterstützungsprogrammen.
Diese Punkte werden ihm vom republikanischen Lager vorgehalten. So schreibt Fox zum Beispiel, dass Walz aus Minnesota einen Zufluchtsort für Kinder machen wolle, die sich einer medizinischen Transgender-Behandlung unterziehen wollten. Auch Donald Trump hat bereits damit angefangen, Walz in eine linksextreme Ecke zu drängen. Er bezeichnete Harris und Walz jüngst als «linksradikalstes Duo» in der Geschichte der Demokraten.
1995 wurde Tim Walz kurzzeitig verhaftet. Er wurde von der Polizei gestoppt, weil er in einem Strassenabschnitt, wo maximal 55 Meilen (ca. 88 km/h) mit 96 Meilen (ca. 150 km/h) gemessen wurde. Damals arbeitete er als Lehrer.
Unklar ist, ob Walz zu dem Zeitpunkt auch betrunken war. In früheren Wahlkämpfen verneinte sein Team das jeweils. Allerdings gibt es widersprüchliche Aussagen. In einem Bericht habe ein Polizist damals geschrieben, dass Walz stark nach Alkohol gerochen und entsprechende Atemtests nicht bestanden habe. Das schreibt Alpha News.
Weil sich Walz des rücksichtslosen Fahrens schuldig bekannte, konnte er den Berichten zufolge damals einen Deal eingehen und einer Anklage wegen Fahren unter Alkoholeinfluss entgehen.
Walz wird ebenfalls vorgehalten, dass er während der Coronapandemie – nach Ansicht von Konservativen – zu strikte Massnahmen und Einschränkungen wie Lockdowns und eine generelle Maskenpflicht verordnet hatte. Zudem hat er einem Fox-Bericht zufolge eine Hotline einrichten lassen, bei der sich Leute melden konnten, wenn sie sahen, dass andere die Massnahmen nicht einhielten. Ihm wird vorgeworfen, damit Denunziantentum gefördert zu haben.
Zudem kam es unter Walz' Ägide als Gouverneur Minnesotas zu einem grossen Betrug mit staatlichen Coronageldern, die ungerechtfertigterweise bezogen wurden. Im Rahmen von Lebensmittelprogrammen zwackten mutmassliche Betrüger bis zu 250 Millionen US-Dollar ab, die ihnen eigentlich nicht zustanden. Über 70 Personen wurden von der US-Bundesanwaltschaft angeklagt.
Walz wird diesbezüglich vorgeworfen, zu lockere Kontrollmechanismen zugelassen und damit für einen der grössten Corona-Betrugsfälle in den USA gesorgt zu haben.
Als Jäger vertrat Tim Walz lange eine waffenfreundliche Haltung. Er wurde gar von der National Rifle Association (NRA) unterstützt, was als Demokrat in den USA nicht unbedingt der Regelfall ist.
Doch 2018 änderte Walz seine Meinung, wie die NZZ schreibt. Grund dafür war das Schulmassaker in Parkland im Bundesstaat Florida. Walz setzt sich seither für Hintergrundchecks bei Waffenkäufen ein. Die NRA empfiehlt ihn seither nicht mehr zur Wahl.
Walz begründete seinen Meinungsumschwung auch damit, dass er von seiner Tochter beeinflusst worden sei. Diese habe ihn gebeten, etwas gegen die andauernde Waffengewalt an Schulen zu unternehmen. Diese Meinungsänderung wird Walz nun teilweise als opportunistisch ausgelegt.
Donald Trump hingegen hätte strikt behauptet, die Geschwindigkeitslimite auf genau jenem Strassenabschnitt sei kurz 100 mph gewesen (obwohl er natürlich immer nur genau 54 mph gefahren sei - noch nie habe jemand zuvor das Tachometer so konstant auf 54 mph gehalten).
Zudem hätte Trump den Polizisten wegen Verleumdung angeklagt und in dessen Familiengeschichte gestöbert.