Frau Brühwiler, Charlie Kirk wurde am Mittwoch bei einer Veranstaltung an der Utah Valley University ermordet. Wie einschneidend wird das Attentat für die US-Politik?
Claudia Franziska Brühwiler: Normalerweise würde man sagen: Das ist ein Wendepunkt. Doch aktuell befinden wir uns in einer Zeit, in der politisch motivierte Gewaltverbrechen immer häufiger sind. Statt zur Besonnenheit beizutragen, zeichnet sich bereits ab, dass das Umfeld der Trump-Regierung die Tat für eine Märtyrererzählung Charlie Kirks nutzen wird – eine Entwicklung, die die Lage kaum beruhigen dürfte.
Wird die politische Gewalt zunehmen?
Das hat sie bereits. Wir hatten in den letzten Monaten zwei Anschläge auf das Leben von Donald Trump, tödliche Angriffe auf demokratische Abgeordnete im Bundesstaat Minnesota und einen Angriff auf den Ehemann von Nancy Pelosi, um nur ein paar zu nennen.
Mit seiner Organisation «Turning Point USA» hatte er über die sozialen Medien hinaus Einfluss auf die US-Politik. Wie gross war dieser?
In konservativen Kreisen wurde er immer wieder auch als möglicher künftiger Präsidentschaftskandidat gehandelt. Charlie Kirk galt als rhetorisch ausgesprochen talentiert. Dabei äusserte er Positionen, die im traditionellen politischen Diskurs der USA lange als unaussprechlich galten. Zugleich pflegte er jedoch auch einen konstruktiven Stil. Dieses Nebeneinander von provokativen Thesen und einer oft gewinnenden Rhetorik hat seine Wirkung und Reichweite noch verstärkt.
Sie beziehen sich dabei auf seine Campus-Debatten.
Ja. Anders als man es aufgrund mancher Medienberichte erwarten könnte, trat Charlie Kirk nicht bösartig oder herablassend auf. Vielmehr waren seine Auftritte von engagierten Debatten geprägt. Natürlich ging es ihm stets auch darum, die Oberhand zu behalten und selbst möglichst gut dazustehen. Doch gerade auf dem Universitätscampus kann ein solches Format auch bereichernd sein: Junge Menschen, die ganz andere Ansichten vertreten, werden herausgefordert, sich mit konträren Positionen auseinanderzusetzen, mitzudiskutieren und ihre eigene Haltung zu schärfen. Diese Vielfalt in der Debatte kann dem universitären Diskurs durchaus guttun.
Sind solche Begegnungen an grossen Anlässen im Freien aus der Sicherheitsperspektive nach dem Attentat überhaupt noch möglich?
Rückblickend muss ich zugeben, dass ich da naiv war. Anfangs wunderte ich mich, warum Charlie Kirk bei seinen Auftritten so stark vom Publikum abgeschirmt ist. Er stand meist hinter einem Podium, manchmal leicht erhöht, stets begleitet von Sicherheitspersonal. Der direkte Austausch, wie man ihn sich an einem Tisch gegenüber vorstellen könnte, fand so nicht statt. Im Vergleich zur Schweiz wirkt das ungewöhnlich. Hierzulande können umstrittene Politikerinnen wie etwa Alice Weidel bei Veranstaltungen auftreten, ohne in gleichem Mass abgeschirmt zu werden.
Was bedeutet sein Tod für die Maga-Jugend?
Viele in der Republikanischen Partei finden, dass Charlie Kirk in seiner Bedeutung überschätzt wurde – gerade was seine Rolle bei der Mobilisierung betrifft. Tatsächlich hat er aber mit «Turning Point USA» eine Art «politische Dampfwalze» aufgebaut, vergleichbar mit einer Jungpartei hier in der Schweiz, jedoch unternehmerischer und stärker medial geprägt. In dieser Funktion ist er schwer zu ersetzen. Zwar gibt es im konservativen Spektrum zahlreiche junge Persönlichkeiten, die sich ein ähnliches Profil wünschen, doch nur wenige verfügen über Kirks rhetorisches Talent und seine Reichweite. Auf YouTube findet man viele unabhängige Stimmen, die ebenfalls erfolgreich sind, jedoch nicht zwingend als politische Aktivisten auftreten wollen. Als mögliche Nachwuchskräfte gelten Persönlichkeiten wie die junge Kommentatorin Brett Cooper. Viele der bekannten Gesichter wirken für eine jugendliche Zielgruppe aber bereits wieder zu alt.
Es scheint, als seien die USA in einem Teufelskreis der Gewalt gefangen. Wie kommen sie da wieder heraus?
Die politische Debatte in den USA wirkt derzeit völlig überhitzt. Es scheint, als führe man dieselben Gespräche wie schon vor einem Jahr nach dem ersten Attentatsversuch auf Donald Trump – nur dass diesmal nicht einmal eine kurze Phase der Ruhe eingetreten ist. Stattdessen begann das Fingerzeigen sofort. Das deutet auf eine tiefe Hoffnungslosigkeit in Teilen der Bevölkerung hin. Umfragen zeigen inzwischen deutlich höhere Zustimmungswerte für die Frage, ob Gewalt in der politischen Auseinandersetzung legitim sei. Diese Entwicklung trifft auf eine ohnehin aufgeheizte Stimmung und auf einen Präsidenten, der seit Amtsantritt keine einigende Rolle einnimmt – und offenbar auch gar nicht anstrebt, sondern als spaltender Präsident agiert. All das stimmt wenig optimistisch. Zumal sich auch im Kongress heute erneut dasselbe Bild bot: endlose Schuldzuweisungen, die eine Seite verweist auf die laxen Waffengesetze, die andere klagt über Diffamierungen als «Nazis».
Wo könnte das schlimmstenfalls hinführen?
Zu einer Zunahme politischer Attentate – einer Entwicklung, ähnlich wie in den 1960er-Jahren. Jenem Jahrzehnt, mit dem die aktuelle Lage in den USA ohnehin häufig verglichen wird, nicht zuletzt wegen der aufgeheizten Stimmung und des Gewaltpotenzials.
Gibt es Grund zur Hoffnung? Ein Best-Case-Szenario?
Ein solches scheint kaum mehr realistisch. Die Chance dafür wäre gewesen, dass der Präsident seine Rolle als einigende Instanz wahrnimmt und mit beschwichtigenden Worten versucht, Gräben zu überbrücken. Dieses Fenster der Versöhnung ist jedoch längst verpasst. Zurück bleibt vor allem ein Gefühl der Traurigkeit und Ernüchterung.
(aargauerzeitung.ch)
Jemand, der sagt "I think it's worth to have a cost of, unfortunately, some gun deaths every single year so that we can have the Second Amendment to protect our other God-given rights. That is a prudent deal" (Instagram,5.4.23), ist nicht einfach provokant und schon gar nicht konstruktiv.
Er ist schlicht ekelhaft menschenverachtend.
Bitte, ich sagte ja: ein Wunder.