Die Neuigkeit kommt überraschend. Tucker Carlson sendet diese Woche aus Budapest. Der Fox-News-Moderator ist von den USA nach Europa gereist und hat sich dort mit Viktor Orban getroffen.
Der ungarische Ministerpräsident steht derzeit wegen eines umstrittenen Gesetzes zur Regelung über nicht heterosexuelle Lebensformen in der Kritik. In der Schule darf nicht mehr über gleichgeschlechtliche Beziehungsformen informiert werden. Zudem ist Werbung verboten, in der Homosexuelle oder Transsexuelle als Teil der Normalität dargestellt werden. Die EU-Kommission erwägt wegen dieses Gesetzes rechtliche Schritte gegen Ungarn. Über das Gesetz wird nun in einem Referendum abgestimmt, Orban gab sich zuletzt zuversichtlich.
Weniger kritisch als die EU dürfte zu diesem Thema Tucker Carlson eingestellt sein. Der US-Fernsehmoderator äusserte sich in der Vergangenheit positiv zur Familienpolitik des Ungarn. Carlson lobte Orban dafür, dass er ungarische Familien belohnt, die mehr Kinder auf die Welt bringen, um den Rückgang der Geburtenrate zu bekämpfen.
«Die ungarische Führung kümmert sich tatsächlich um das Wohlergehen ihrer eigenen Bevölkerung», so Carlson. «Anstatt jedem illegalen Einwanderer aus der Dritten Welt den Reichtum der Nation zu versprechen, verwenden sie die Steuergelder, um ihre eigenen Leute zu fördern.»
Nun reist der Fox-News-Star also nach Ungarn. Doch was macht der Amerikaner an der Donau? Wie er selber auf Twitter schreibt, dreht er in der ungarischen Metropole eine Dokumentation für «Tucker Carlson Originals». Ob es auch zu einem Interview mit Viktor Orban kommt, ist derzeit nicht bekannt.
We’re in Budapest all this week for Tucker Carlson Tonight and a documentary for Tucker Carlson Originals. Don’t miss our first show here starting tonight at 8pm ET on #FoxNews pic.twitter.com/avZLoc0fD0
— Tucker Carlson (@TuckerCarlson) August 2, 2021
Der ungarische Ministerpräsident wäre demgegenüber sicher nicht abgeneigt. Im Jahr 2019 bezahlte Orbans Regierung einer Lobby-Firma in Washington 265'000 US-Dollar, um ein Interview mit Carlson zu bekommen, wie Anna Massoglia von der Organisation «Open Secrets», welche die Transparenz der US-Regierung beobachtet, schreibt. Es ist unklar, ob das Geld Carlson jemals erreicht hat, seither hat sich der Fox-News-Moderator jedoch immer wieder positiv über Orban geäussert.
Hungarian PM Viktor Orbán's Facebook page shows he met @TuckerCarlson today in Budapest.
— Anna Massoglia (@annalecta) August 2, 2021
Coordinating an interview on Carlson's Fox News show was a key part of Hungary's 2019 foreign influence ops when Orban's govt paid a DC lobbying & comms firm $265,000 https://t.co/pD7aS7zMxI pic.twitter.com/yMmmZnV1Db
Mittlerweile bestägtigt ist, dass Carlson am Wochenende an einer Rechtsaussen-Konferenz in Budapest auftreten wird. Am sogenannten «MCC Feszt» hält der TV-Moderator eine Rede mit dem Titel «Die Welt gemäss Tucker Carlson». Die ungarische MCC-Stiftung erhielt gemäss «New York Times» kürzlich 1,7 Milliarden US-Dollar von der Regierung. Die Zeitung beschreibt MCC als einen «staatlich finanzierten Plan zur Ausbildung einer konservativen Zukunftselite».
Mit der Verpflichtung Carlsons als Redner ist Orban, der 2022 um seine Wiederwahl kämpfen muss, ein veritabler Coup gelungen. Denn Carlson ist nicht bloss irgendein konservativer TV-Moderator. Der 52-Jährige wurde vom Magazin «Time» unlängst gar als «mächtigster Konservativer» der USA bezeichnet.
Wie kommt «Time» zu so einer Aussage? Nun, Carlson ist im konservativen Amerika ungemein populär. Im vergangenen Oktober hatte er die höchste monatliche Zuschauerzahl in der Geschichte des Kabelfernsehens. Die Show «Tucker Carlson Tonight» hat die besten Einschaltquoten in den ganzen USA. Im Juli schauten dem Fox-News-Star Abend für Abend drei Millionen Menschen zu.
«Time» zitiert Jeff Roe, einen republikanischen Strategisten, der die Präsidentschaftskampagne von Ted Cruz im Jahr 2016 managte. «Niemand hat mehr Gewicht in der republikanischen und konservativen Politik – niemand – als Tucker Carlson», sagt Roe. «Er reagiert nicht auf die Agenda, er treibt die Agenda voran. Er ist der Goldstandard für die republikanische Philosophie.»
Carlson weiss das Machtvakuum bei den Republikanern, welches seit Trumps Abwahl entstanden ist, geschickt zu nutzen. Mitch McConnel und Kevin McCarthy sind nur noch Minderheitenführer im Senat und im Repräsentantenhaus. Donald Trump hat seit der Verbannung von Social Media seinen Lautsprecher verloren.
Das konservative Amerika hört sich stattdessen an, was Carlson zu sagen hat. Dieser schürt Ängste vor Immigranten, fürchtet sich davor, dass die christlichen Wähler durch nicht weisse Einwanderer ersetzt werden und behauptet, dass nicht der Polizist Derek Chauvin schuld an George Floyds Tod sei, sondern eine Überdosis. Dies, obschon die Gerichte das Gegenteil bewiesen.
Erst kürzlich forderte Carlson seine Anhängerschaft sogar dazu auf, die Polizei anzurufen, wenn sie ein Kind mit Atemschutzmaske sehen würden. Das Maskentragen komme einem «Kindsmissbrauch» gleich, argumentierte Carlson. «Er giesst Kerosin auf die Kontroversen, die die Nation spalten», bilanziert «Time».
Keine Verschwörungstheorie scheint Carlson zu abwegig, um sie nicht in seiner Show zu diskutieren. Wie er wirklich dazu steht, ist indes nur schwierig zu sagen. Flirtet er nur mit den Verschwörungstheorien, um seine Anhängerschaft zu elektrisieren oder glaubt er wirklich daran? Das Magazin «Time» umschreibt den «Tuckerismus» folgendermassen: «Er beschönigt und legitimiert rechtes Verschwörungsdenken, weicht aus, wenn man versucht, ihn auf die Einzelheiten festzunageln, und verpackt das Ganze dann in ein Argument über Zensur und Meinungsfreiheit.»
Stellt sich die Frage, ob Tucker Carlson lediglich in der Funktion als Journalist nach Budapest gereist ist. Die Fotos mit Viktor Orban wirken durchaus staatsmännisch. Nun wird in den US-Medien bereits spekuliert, ob der TV-Moderator auch Ambitionen aufs US-Präsidentenamt hat. Zumindest gegenüber «Time» winkte Carlson ab. «Das scheint der unglücklichste Job zu sein, den man haben kann», sagte er. «Ich habe einfach keine Ambitionen in diese Richtung. Ich habe keinerlei Interesse daran, von Leuten geliebt zu werden, die ich nicht kenne.»