Kampfjets steigen in den Himmel, Kriegsschiffe feuern auf einen Strand, bewaffnete Taucher und Fallschirmjäger betreten feindliches Territorium. Die chinesischen Streitkräfte – offiziell «Volksbefreiungsarmee» genannt – haben am Sonntag auf der Social-Media-Plattform Weibo ein Video veröffentlicht, das unmissverständlich die Invasion einer Insel zeigen soll.
Sie schreiben dazu: «Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Wir kämpfen auf Befehl, begraben jeden Eindringling und streben eine gemeinsame und erfolgreiche Operation an!» Auch wenn die Insel nicht namentlich genannt wird, ist klar, dass im Propaganda-Video Taiwan dargestellt wird.
Der Zeitpunkt der Publikation ist kein Zufall. Zum einen feierte die chinesische Volksbefreiungsarmee am Sonntag ihren 95. Geburtstag. Zum anderen wird seit Tagen über einen möglichen Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi spekuliert. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses und damit dritthöchste US-Amerikanerin hatte Taiwan zwar nicht als offiziellen Stopp auf ihrer Asien-Reise angegeben. Doch in den vergangenen Stunden bahnte sich der Besuch immer mehr an.
Das ist für China absolut inakzeptabel. Denn China sieht Taiwan als «untrennbaren Teil» der Volksrepublik an. Wäre ein Besuch von Pelosi gar ein «Casus Belli», ein Grund für einen Kriegseintritt? Glaubt man der chinesischen Rhetorik, sind militärische Schläge oder gar eine Invasion nicht auszuschliessen.
Nachfolgend einige Zitate aus den vergangenen Tagen:
Das chinesische Militär kündigte an, dass man für die nächsten vier Tage Übungen im Südchinesischen Meer abhalten werde. Das taiwanische Militär erhöhte darauf die Kampfbereitschaft.
BREAKING 🇨🇳 : Chinese Armed Forces pull military equipment into #Fujian province, close to #Taiwan.#China #US #NancyPelosi pic.twitter.com/dwgSXm8uG2
— Zaid Ahmd (@realzaidzayn) August 2, 2022
Wie ist das Invasions-Video der Chinesen einzuschätzen? Solche Propaganda-Videos seien eigentlich nichts Aussergewöhnliches, sagt Brian Carlson, China-Experte der ETH, gegenüber watson. «Die Volksbefreiungsarmee veröffentlicht immer wieder solche Videos.»
«Interessant ist aber, dass China dieses Video genau jetzt inmitten grosser Spannungen publiziert hat», meint Carlson. China versuche, ein möglichst deutliches Signal zu senden, dass es den Besuch Pelosis nicht akzeptiere. Dazu gehörten nicht nur die Propaganda, sondern auch die Militär-Übungen und allfällige Interventionen bei Pelosis Stopp in Taiwan.
Der chinesische Präsident Xi Jinping müsse nicht nur aus internationalen Gründen die Muskeln spielen lassen. «Auch gegen innen muss er Stärke signalisieren», so Carlson. Xis Hauptaugenmerk liege momentan auf der Innenpolitik, denn im Herbst dieses Jahres wolle er sich beim Parteikongress seine dritte Amtszeit sichern, erklärt Carlson.
Dies sei ein Grund, weshalb es wohl noch nicht zu einer Invasion komme. «Ich glaube nicht, dass Xi vor den Wahlen eine internationale Krise riskieren will.» Militärische Signale seien im Rahmen von Pelosis Besuch möglich, so Carlson, eine Invasion dagegen eher unwahrscheinlich.
Ist das Video also nur ein Bluff? «Das würde ich nicht sagen», so Carlson. China werde Taiwan vielleicht nicht jetzt angreifen, aber es habe bereits seit Jahrzehnten angekündigt, dass es Taiwan allenfalls militärisch einnehmen werde.
Carlson geht davon aus, dass China noch einige Jahre mit einer Invasion zuwarten werde. Denn das militärische Gleichgewicht habe sich in den vergangenen Jahren immer mehr zugunsten Pekings verschoben. Gleichzeitig dürfe man aber nicht vergessen, dass sich auch Taiwan weiter aufrüste, was eher für ein baldiges Handeln der Chinesen spreche.
Am Ende werde Xi entscheiden, wie er mit Taiwan verfahren werde, so Carlson. Er dürfte aber wohl eher agieren als auf einen Besuch reagieren wollen. «Falls China angreift, dann wird es den Zeitpunkt selber bestimmen», so Carlson.