Der Bericht des amerikanischen Investigativ-Journalisten Seymour Hersh zieht weiter Kreise. Darin wirft er der Obama-Regierung vor, die Öffentlichkeit über die Tötungsaktion gegen Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden 2011 zu belügen. Nicht nur sei Pakistan über dessen Aufenthaltsort in Abbottabad jahrelang im Bild gewesen, das Land habe die USA auch bei der Kommandoaktion unterstützt.
Einen Tag nach der Veröffentlichung schoss Peter Bergen scharf gegen Hersh und dessen Thesen. Die Stimme des CNN-Terrorexperten hat Gewicht, denn er war der einzige Aussenstehende, der das Anwesen in Abbottabad besichtigen konnte, bevor es vom pakistanischen Militär dem Erdboden gleichgemacht wurde. Bergen hält unter anderem fest, dass er in den Mauern des Gebäudes zahlreiche Einschusslöcher sah, was auf ein Feuergefecht hinweist. Hersh behauptet, ein solches habe nie stattgefunden.
Doch nun bekommt Hersh Schützenhilfe von der Terrorexpertin der «New York Times». Im Magazin der renommierten Zeitung erklärt Carlotta Gall, die zwölf Jahre lang aus Afghanistan und Pakistan berichtete, Hershs zentrale These klinge für sie plausibel: Das Gerücht über den pakistanischen Informant sei bereits wenige Tage nach der Kommando-Aktion 2011 aufgetaucht. Zwei Jahre später während den Recherchen für ihr Buch Der falsche Feind habe ihr ein hochrangiges Mitglied des pakistanischen Geheimdiensts ISI verraten, dass dieser selbst Bin Laden versteckt halte.
Sie habe sich damals dagegen entschieden, ihre Erkenntnisse zu veröffentlichen, so Gall. Das Problem sei gewesen, die Information in den USA zu verifizieren, nicht zuletzt weil der Informant inzwischen dort lebte, vermutlich in einem Zeugenschutzprogramm. Hersh hingegen sei es offenbar gelungen, seine Recherchen sowohl von Quellen in Pakistan als auch in den USA bestätigen zu lassen.
Wie Hersh und viele andere habe sie die Version der US-Regierung nie restlos überzeugt. Angefangen habe es mit dem Statement Obamas, als der US-Präsident wörtlich sagte: «Es ist wichtig zu erwähnen, dass unsere Antiterror-Kooperation mit Pakistan uns half, Bin Laden in seinem Versteck aufzuspüren.» (Siehe Video unten, Position 05:42 )
Wenn die Pakistani das Versteck Bin Ladens kannten, ist es auch plausibel, dass sie von der Kommandoaktion nicht völlig überrascht waren. «Hershs Szenario erklärt ein Detail über die Nacht, als Bin Laden starb, das mich immer stutzig gemacht hat», schreibt Gall. Als einer der Helikopter abstürzte, seien bei der Polizei in Abbottabad Anrufe eingegangen. Sie hätten innert Minuten vor Ort sein können – wurden aber von der Armee zurückgepfiffen. So kam es, dass die Seals 40 Minuten ungestört in dem Anwesen ausharren konnten, bis ein Reserve-Helikopter eintraf. Erst danach sei die Armee aufgetaucht.
Das Weisse Haus sieht sich inzwischen genötigt, sich zum Hersh-Bericht zu äussern. Die Liquidierung Bin Ladens «war durch und durch ein US-Einsatz», sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats von Präsident Barack Obama, Edward Price. Jede andere Darstellung sei «schlicht falsch».
Die Affäre dürfte für Obama noch nicht ausgestanden sein, denn die Angelegenheit nimmt nun auch in Pakistan Fahrt auf: Die Zeitung The News behauptet, die Identität des Informanten zu kennen. Demnach habe ein gewisser Usman Khalid, ehemals Brigadier in der pakistanischen Armee und Mitglied des Geheimdiensts ISI, Bin Laden an die CIA verraten. Dafür habe er die Belohnung von 25 Millionen Dollar sowie die US-Staatsbürgerschaft erhalten, einschliesslich einer neuen Identität. Ob es sich um diese Person handelt, ist unklar.