USA gegen Venezuela: «Trump geht ein unkalkulierbares Risiko ein»
Die Karibik scheint an der Schwelle zu einer potenziell folgenschweren militärischen Eskalation zu stehen. Mit der Entsendung des grössten Flugzeugträgers der Welt, der «USS Gerald Ford», und eines weiteren Kriegsschiffs in die Region befeuern die USA die Spannungen mit Venezuela und Kolumbien. Seit der Kubakrise von 1962 waren nicht mehr solch starke Kräfte der US-Marine in der Karibik versammelt. Das Regime des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro wirft Washington derweil vor, ein Täuschungsmanöver zu planen, das eine Intervention rechtfertigen soll.
Dazu erhöhen US-Politiker auch verbal den Druck auf Maduros Regime. Rick Scott, republikanischer Senator aus Florida und Ex-Gouverneur des US-Bundesstaats, empfahl dem venezolanischen Machthaber, das Weite zu suchen. «Wenn ich Maduro wäre, würde ich mich sofort auf den Weg nach Russland oder China machen», erklärte er am Sonntag in der Sendung «60 Minutes» des Senders CBS. «Seine Tage sind gezählt. Es wird etwas passieren» – sei es «intern oder extern», so Scott.
Auch Lindsey Graham, republikanischer Senator für South Carolina, erklärte am Sonntag beim Sender CBS: «Präsident Trump hat mir gestern mitgeteilt, dass er nach seiner Rückkehr aus Asien die Mitglieder des Kongresses über mögliche künftige Militäroperationen gegen Venezuela und Kolumbien informieren will.» Er unterstütze diese Idee. Auch er riet Maduro, Venezuela zu verlassen, «bevor es heiss wird».
US-Präsident Donald Trump lässt die US-Militärpräsenz in der Region seit Wochen immer weiter aufstocken. Offiziell dient sie dem Kampf gegen Drogenkartelle. 15 angebliche Drogenboote wurden seit August in der Karibik und im Pazifik beschossen, 62 Menschen dabei getötet.
Doch Experten zweifeln an dieser Darstellung: In Wahrheit gehe es nicht um Drogen. Stattdessen wolle Trump mit militärischem Druck Maduro aus dem Amt jagen, heisst es. Was also plant der US-Präsident wirklich? Und könnte es womöglich bald zum Krieg in der Karibik kommen?
«Damit würde auch Russland einen Rückschlag erleiden»
Obwohl sie sich im Grunde einig sind, dass Trump in Venezuela einen Regimewechsel anstrebt, lässt die US-Strategie viele Experten einigermassen ratlos zurück. Zu wenig ist bisher bekannt über die Hintergründe der Entscheidungen in Washington. Lateinamerika-Fachmann Günther Maihold sieht darin eine Fortsetzung früherer Versuche der USA, ihre Kontrolle über die Region auszuweiten. Daran seien sie jedoch schon im Falle Kubas gescheitert, sagt der Soziologe und Politikwissenschaftler t-online.
«Sicherlich ist der Ressourcenreichtum Venezuelas ein interessantes Ziel im Sinne Trumps», fügt der Experte hinzu. Venezuela verfügt über das weltweit grösste bekannte Ölvorkommen und dazu über weitere Bodenschätze wie Edelmetalle oder Mineralien. «Gleichwohl sind die Begleitkosten für ein solches Unternehmen doch als hoch einzuschätzen», schränkt Maihold mit Blick auf eine mögliche Militärintervention für einen Regimewechsel ein.
«Unsicherheitsrisiko schaffen»
Anstelle einer Invasion sieht er in der Militärpräsenz daher vor allem eine Drohkulisse. «Eher denkbar ist wohl das Interesse, für das Maduro-Regime ein 'Unsicherheitsrisiko' zu schaffen, das Spaltungen innerhalb des Machtblocks in Venezuela aus politischer Partei und Militär hervorrufen könnte.» Das Regime soll sich also wegen des Drucks von selbst auflösen. So könnten die USA grösseren Einfluss in dem Land gewinnen. «Damit würde auch Russland als Partner des Maduro-Regimes einen Rückschlag erleiden.»
Russland ist seit Jahrzehnten ein enger Partner Venezuelas, verkaufte dem Land in den vergangenen Jahren Militärgüter im Wert von mehr als zehn Milliarden Dollar. Dazu schlossen beide Staaten vor wenigen Tagen ein Abkommen über eine strategische Partnerschaft. Russland und Venezuela wollen ihre Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Bergbau, Transport und Sicherheit ausbauen. Wie sehr Russland angesichts seines Angriffskriegs in der Ukraine tatsächlich unterstützen kann, ist jedoch fraglich. Ferner ist aber auch China ein wichtiger Unterstützer Maduros.
Eine Invasion wäre für die USA «unberechenbar»
Nun befinden sich etwa 10'000 US-Soldaten in der Region: die Hälfte davon auf den entsendeten Kriegsschiffen, die andere Hälfte im US-Aussengebiet Puerto Rico. Erreicht der Flugzeugträger «USS Gerald Ford» die Karibik, dürften noch einmal 4'000 bis 5'000 Marinesoldaten hinzukommen. Für eine Invasion Venezuelas ist das zu wenig, für einen Kampf gegen Drogenboote aber deutlich überproportioniert.
Experte Maihold vergleicht das Vorgehen mit der US-Invasion in Panama im Jahr 1989. Damals forcierten die USA den dortigen Regimewechsel mit mehr als 20'000 Soldaten. Im gegenwärtigen Fall aber lägen ganz andere Dimensionen vor, so Maihold: «Venezuela ist etwa zwölfmal grösser als Panama, die dauerhaften Kosten eines solchen Vorgehens sind unkalkulierbar und dürften langfristigen Charakters sein.» Auch der Flugzeugträger ist laut Maihold kein entscheidender Faktor, denn er tauge allenfalls für einzelne militärische Aktionen oder als Drohkulisse.
Besonders eine Bodenoperation sei schwierig, erklärt der Experte – nicht nur wegen der Grösse und geografischen Beschaffenheit des Landes. Denn darüber hinaus sind Waffen in Venezuela weitverbreitet, und dazu gibt es zahlreiche irreguläre bewaffnete Akteure wie die Kartelle, Milizen oder Guerillas, die eine Invasion «unberechenbar» machen würden, sagt Maihold. «Dies würde zudem ein langfristiges US-Engagement zum Wiederaufbau des Landes beinhalten, das seitens der Trump-Anhängerschaft auch eher kritisch gesehen wird.»
Ist der Flugzeugträger das letzte Puzzleteil in Trumps Invasionsplänen?
Die Sicherheitsexperten Mark Cancian und Chris Park von der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) hingegen sehen in der Entsendung der «USS Gerald Ford» einen Indikator dafür, dass entweder Luftschläge oder gar eine Invasion der USA in Venezuela anstehen könnten. Ihren Berechnungen zufolge könnte der Flugzeugträger am 3. oder 4. November in der Karibik eintreffen. Bis zu seiner Verlegung war er im Mittelmeer stationiert, um Israel bei der Verteidigung seines Luftraums zu unterstützen.
Ebenso weisen die Experten auf die Einrichtung eines neuen Marinehauptquartiers in Camp Lejeune in North Carolina hin. Das erklärte Ziel dessen besteht darin, «die Massnahmen zur Drogenbekämpfung in der gesamten westlichen Hemisphäre zu synchronisieren und zu verstärken». Von dort werden also auch die Einheiten befehligt, die aktuell in der Karibik stationiert sind. «Die US-Streitkräfte sind zunehmend gut positioniert, um Luftangriffe gegen die Kartelle oder Venezuela durchzuführen – aber sie verfügen noch nicht über die Kampfkraft für eine Bodeninvasion», resümieren Cancian und Park.
Steht eine «Krise nach libyschem Vorbild» an?
Doch das Szenario von gezielten Luftschlägen könnte eine Gewalteskalation nach sich ziehen, deren Folgen kaum absehbatr sind. Nach Ansicht des Analysten Geoff Ramsey vom US-Thinktank Atlantic Council würden die ersten Luftangriffe der venezolanischen Flugabwehr gelten. Damit aber riskierten die USA eine direkte Konfrontation mit Maduros Militär und so auch einen ausgewachsenen Krieg.
«Wenn Trump nicht vorsichtig ist, könnte eine einseitige Militäraktion der USA in Venezuela das Land ins Chaos stürzen und möglicherweise eine Krise nach libyschem Vorbild auslösen, nur drei Flugstunden von Miami entfernt», schreibt Ramsey im Fachmagazin «Foreign Policy». 2011 starb der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi nach einer Nato-Intervention in dem Land. Seitdem kämpfen mehrere aus dem Ausland unterstützte Akteure um die Vorherrschaft in Libyen. Der Konflikt strahlt auf die ganze Region ab.
Am Ende könnte sich Trumps Druck auch ohne direkten Angriff auszahlen
Angesichts dieser Aussichten hält Ramsey einen diplomatischen Ausweg aus der Krise am wahrscheinlichsten. Zwar haben die USA diplomatische Kontakte nach Caracas derzeit ausgesetzt. Sie könnten diese jedoch wiederbeleben, wenn sie zu dem Schluss gelangen, dass der militärische Druck Maduro nicht zum Aufgeben bewegt. Ramsey nennt dieses Szenario das «am wenigsten befriedigende für Venezolaner, die verzweifelt einen Wandel wollen».
Wahrscheinlich ist dieses Szenario vor allem, weil Trump noch immer darauf pocht, dass der Militäreinsatz in der Karibik nur der Bekämpfung von Drogenkartellen gilt. Eines Tages könnte der US-Präsident also schlicht einen angeblichen Sieg über die Kartelle auf See erklären und sich daraufhin zurückziehen.
Grundlage dessen müsste jedoch wohl eine Einigung mit Maduro sein: etwa über eine Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Migration oder Sicherheit. Diese hatte Maduro laut US-Medienberichten ohnehin bereits angeboten. Trump aber lehnte ab und schickte seine Marine. Die USA könnten so auch versuchen, Maduro wenigstens zu kleineren demokratischen Reformen zu zwingen. So hätte sich der militärische Druck am Ende sogar ausgezahlt und Trump würde das Gesicht wahren.
Venezuelas Bevölkerung gilt als «erschöpft»
Lateinamerika-Experte Maihold hält einen Regimewechsel angesichts aller Unsicherheiten für eher unwahrscheinlich – militärisch wie gewaltfrei. Denn um Maduro ohne den Einsatz von Militär abzusetzen, bräuchte es die venezolanische Zivibevölkerung. «Doch die Trump-Administration hat durch die Deportation venezolanischer Flüchtlinge aus den USA viel Kredit im Lande verspielt», so Maihold. Ein «Aufstand» als Folge einer militärischen Drohkulisse der USA sei aus heutiger Sicht daher nur schwer denkbar.
Ebenso verweist Maihold darauf, dass die Venezolaner nach zahlreichen Versuchen der vergangenen Jahre, das Regime durch Wahlen oder Mobilisierung der Opposition zu stürzen, «erschöpft» seien. Zwar gebe es im Land noch immer grosse Hoffnungen auf einen von aussen induzierten Regimewechsel. Ob aber ausgerechnet Trump den nötigen Stein des Anstosses liefert, der die Venezolaner einmal mehr mobilisiert, sei «schwer abzuschätzen».
Verwendete Quellen:
- Schriftliche Anfrage an Günther Maihold
- csis.org: "U.S. Carrier to the Caribbean: A Step Closer to War" (englisch)
- foreignpolicy.com: "What’s the U.S. Endgame in Venezuela?" (englisch)
- warontherocks.com: "Strategy or Spectacle in South America?" (englisch)
- theatlantic.com: "The U.S. Is Preparing for War in Venezuela" (englisch)


