Am Ende eines langen Tages, an dem im Kapitol in Washington viel heisse Luft produziert wurde, war die Reihe an Kevin McCarthy. Erstmals in der Geschichte der amerikanischen Republik, sagte der Vorsitzende des Repräsentantenhauses in den späten Abendstunden, werde der Kongress weniger Geld ausgeben als im Vorjahr. Die Schuldenwirtschaft der vergangenen Jahre, sagte der Republikaner, werde damit nicht gestoppt. «Aber es ist der Beginn einer Kehrtwende», und der schwere Tanker Washington befinde sich nun endlich auf Kurs.
Die Freude sei ihm vergönnt. McCarthy gelang es, entgegen vielen Prognosen, eine Mehrheit des Repräsentantenhauses von einem Budget-Paket zu überzeugen, das er zusammen mit dem demokratischen Präsidenten Joe Biden geschnürt hatte. 314 Abgeordnete stimmten mit Ja, 117 mit Nein. Nun geht die Vorlage an den Senat, und die kleine Kammer könnte die Vorlage bereits vor dem Wochenende absegnen.
Damit wäre der Streit um die Erhöhung der Schuldengrenze, gerade noch rechtzeitig, beendet. Und Amerikas Politikerinnen und Politiker müssten sich keine Sorgen mehr darum machen, dass der Bundesregierung vor dem Stichtag 5. Juni das Geld ausgeht.
Was McCarthy allerdings verschwieg, zumindest in seiner einführenden Stellungnahme: Mehr Demokraten als Republikaner stimmten am Mittwoch für den Schulden-Kompromiss. Zwar gelang es «Mister Speaker», wie der Republikaner auch genannt wird, eine Mehrheit seiner Fraktion von der Vorlage zu überzeugen; 149 Republikaner sagten Ja, 71 stimmten mit Nein.
Unter den Abweichlern befinden aber sich zahlreiche Aushängeschilder des rechten Flügels seiner Partei: Abgeordnete wie Chip Roy aus Texas, Byron Donalds aus Florida, Ken Buck aus Colorado oder Matt Gaetz aus Florida. (Lauren Boebert aus Colorado, ein anderes Aushängeschild enthielt sich der Stimme.)
Die Volksvertreter werfen dem Speaker vor, er habe sich von Biden über den Tisch ziehen lassen, obwohl die Republikaner doch immer wieder behaupten, der Demokrat im Weissen Haus habe buchstäblich den Verstand verloren. Auch empören sich rechte Republikaner darüber, dass die Kompromiss-Vorlage keine wirklichen Einsparungen vorsieht und der Speaker angeblich sein Wort gebrochen habe. (McCarthy dementiert dies entschieden.)
Einige rechte Abgeordneten kündigten bereits an, dass sie nun über ein Misstrauensvotum gegen McCarthy sprechen wollten. Das mag zwar wie eine leere Drohung klingen. Gemäss dem Regelwerk des Repräsentantenhauses kann eine solche Abstimmung aber von jedem Mitglied der Kongresskammer beantragt werden; die Hürde ist also denkbar klein.
Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus – 222 Republikaner, 213 Demokraten – würde McCarthy gestürzt, wenn sich mehr als 5 seiner Fraktionskollegen den Demokraten anschliessen würden und gegen ihn stimmten.
Vorerst zeigt sich der Speaker aber ungerührt, angesichts der Kraftanstrengung, die er soeben vollbracht hatte. Auf die Frage, ob es nun zu einem Misstrauensvotum kommen werde, sagte McCarthy am Mittwoch: «That's up to them», dies hänge von seinen parteiinternen Widersachern ab. Dann machte er sich über Journalisten lustig, die ihn ständig fragten, wie lange er das Amt des Speakers noch ausüben werde. (aargauerzeitung.ch)